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Therapiefall Wohnen

\"SteigendeWohnen ist ein unverzichtbares Grundbedürfnis jedes Menschen. Doch die Schere ­zwischen  Wohnungs­angebot und Nachfrage klafft ­auseinander.

Von Karin Legat

Wenn angesichts der dramatischen Einbrüche bei den Bewilligungen im Wohnungsneubau die verantwortlichen Politiker nicht wachgerüttelt werden, steuern wir auf eine neue Wohnungsnot zu«, bringt es Hans-Werner Frömmel, Bau-Bundesinnungsmeister auf den Punkt. In Zahlen: Wurden 2009 noch 38.048 Neubau-Einheiten bewilligt, waren es 2011 österreichweit nur mehr 26.817. Für Geschoßwohnungen präsentiert sich die Statistik besonders negativ. Von 2009 auf 2011 ist ein Rückgang um 25 % festzustellen. »Der bestehende Wohnungsbedarf wird bei weitem nicht gedeckt«, diagnostiziert auch Andreas Oberhuber, Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen, FGW.

Wie hoch ist nun der aktuelle Wohnungsbedarf?

Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten. »Die Forschung ist hier säumig. Wir brauchen endlich eine umfassende Datenerhebung auf regionaler Ebene«, fordert Josef Muchitsch, Sprecher der Nachhaltigkeitsinitiative Umwelt+Bauen und Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz. Derzeit sind 3,6 Millionen Hauptwohnsitze in Österreich registriert, davon ist jeder vierte sozial gebunden. 570.000 sind gemeinnützige Wohnungen, 330.000 Gemeindewohnungen, 600.000 private Mietwohnungen, 1,8 Millionen Eigenheime. Und die Wohnungsnachfrage hält nach wie vor ungeschmälert an. Die Prognose der Statistik Austria geht von einem Bevölkerungswachstum von 4 % bis 2021 aus. Besonders stark ist das Wachstum in Wien mit prognostizierten 6 %. »Aktuell fehlen rund 7.000 geförderte Wohneinheiten pro Jahr«, ergänzt Muchitsch.

Teurer und teurer

Der geförderte Wohnbau wird zurückgefahren, das soziale System droht zu kippen. »Familien des untersten Einkommensviertels müssen eine Wohnkostenbelastung von mehr als der Hälfte ihres Einkommens tragen. In Ballungszentren sind wir mittlerweile mit auch für Gutverdiener kaum bezahlbaren Mieten konfrontiert, die mehr als 50 % des Einkommens ausmachen«, berichtet Georg Niedermühlbichler, Präsident der österreichischen Mietervereinigung, MVÖ. Wohnen ist immer stärker dem Profitstreben Einzelner unterworfen. Die aus den USA nach Europa geschwappte Finanzkrise und die Angst vor der Inflation haben diese Entwicklung noch verstärkt. Die Flucht in die Immobilie bewirkt, dass es zu irrationalen Immobilienpreisen kommt. Grundstückspekulation steht an der Tagesordnung. Die Bauwirtschaft weist die Schuld den laufend steigenden Auflagen zu, z.B. hinsichtlich Baustandard und Energieeffizienz. Eine Lösung der Finanzmisere am Bau sieht die österreichische Mietervereinigung ebenso wie alle anderen Bauverantwortlichen in der Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbaufördermittel. Dieser Weg wird allerdings als lang und steinig eingeschätzt. »Vor allem der Föderalismus steht im Weg«, bedauert Oberhuber. Auf Bundesebene wird die Wiedereinführung dagegen begrüßt. »Wir erwarten, dass die Zweckbindung spätestens 2014 wieder hergestellt wird«, betont Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. Margarete Czerny, Wohnbauexpertin an der Donau-Universität Krems, schlägt das Modell Zukunftsfonds Wohnen vor. »Ertragsanteile des Bundes und Rückflüsse der Wohnbaudarlehen könnten in den Bundesländern gebündelt und bei Bedarf durch Kapitalmarktmittel ergänzt werden. Diese Finanzierungsmittel sind bedarfsgerecht für den leistbaren, nachhaltigen Wohnbau einzusetzen. In 15 bis 20 Jahren könnte sich der Fonds je nach Ausgestaltung durch die Rückflüsse selbst finanzieren.« Für Umwelt+Bauen gibt es mehrere Zukunftskonzepte für den Bereich leistbares Wohnen. »Wir haben das Strategiepapier ›WOHNEN 2020‹ in enger Kooperation mit über 40 Wohn- und Finanzexperten entwickelt«, betont Muchitsch. Aber auch für ihn ist die Zweckbindung der Wohnbauförderung prioritär. Die MVÖ fordert darüber hinaus die Erhöhung der Wohnbaumittel, die im Jahr 1996 bei 1,78 Milliarden Euro eingefroren wurden. Mieten sollen zudem nicht automatisch an die Inflation angepasst werden. Natürlich spielt auch der steigende Anspruch an Wohnen bei der Miethöhe eine Rolle. Die Qualitätsstandards im geförderten Wohnbau steigen, nicht nur die thermischen, sondern auch jene in Bezug z.B. auf Brandschutz oder Barrierefreiheit. »Man muss reduzieren, das ist keine Frage. Im Neubau wird es ein Mittelmaß brauchen«, stellt der FGW-Chef fest. Zunächst braucht es aber eine Durchforstung der einzelnen Wohnbaunormen und die Prüfung auf ihre Notwendigkeit. Hier erwartet die Baubranche aber keine raschen Änderungen, denn »die Politik ist in diesem Bereich total gelähmt«, beklagt Winfried Kallinger, Geschäftsführer des Bauträgers Kallco.

Leistbares Wohnen

Das Segment des geförderten Wohnbaus trägt die Hauptlast der Einsparungen im Wohnbereich. Bausozialpartner und Wohnbau-ExpertInnen haben daher ein Vierpunkteprogramm für leistbares Wohnen erarbeitet. Neben der Schaffung des Zukunftsfonds Wohnen muss die bedarfs­orientierte Wohnbauförderung gesichert werden - und diese muss an aktuelle Baunormen angepasst werden und ist ausschließlich für die Wohnbauförderung einzusetzen. Wohnbeihilfen, Heizkosten und vorgeschriebene nicht bauliche Auflagen schließlich sind den zuständigen Budgets zuzuordnen. Die Bundesinnung Bau schlägt darüber hinaus ein bundesweites Finanzierungskonzept für den Wohnbau mit fiskalischen Anreizen sowie mit der verpflichtenden Rechnungslegung für geförderte Baudienstleistungen vor. Großes Einsparungspotenzial sieht die BI Bau auch in der Vereinheitlichung des Baurechtes in Österreich. Vor allem Firmen, die in mehreren Bundesländern tätig sind, könnten so ihre Planungs-, Bürokratie- und Kalkulationskosten reduzieren. Die Vereinheitlichung des Bau-Verfahrensrechtes bringt laut Bundesinnungsmeister Frömmel bis zu 3 % Einsparung. Detaillierte Vorschläge für faire Preise in der heimischen Bauwirtschaft hat auch die Landesinnung Bau Tirol gemeinsam mit Planern, Ausführenden, Generalunternehmern und Bauträgern erarbeitet. Sie spricht von einem Sparpotenzial von bis zu 15 % v.a. durch die Rücknahme überzogener ­Baustandards (Stellplatzregelung, Aufzugsanlagen, Brandschutz, Reduktion von Gutachten in den Bereichen wie Wasserrecht, Versickerung und Geologie). Dem Kostendruck könnten auch eine wohnbaugerechte Raumordnung oder neue Finanzierungsmodelle entgegenwirken.

Leistbare Zukunft

Kallinger ortet großes Einsparungspotenzial durch die Änderung der Bauweisen. »Wir bauen derzeit zu schwer und zu dick, haben zu hohe Anforderungen hinsichtlich Schall- und Wärmeschutz.« Beide sind zwar sehr wichtig, aber für ihre Umsetzung müssen Konzepte mit möglichst geringem technischen Wartungsaufwand herangezogen werden. Die Entwicklung zum Passivhaus sieht er generell bedenklich. »Niedrigenergiehäuser in Kombination mit solaren Gewinnen bilden eine sinnvolle Alternative zu einem Haus mit 50 cm starken Wänden, die vor allem aus Styropor bestehen.« Die Forderung nach einer Reduktion der Barrierefreiheit wird von der Bauwirtschaft nur teilweise mitgetragen. »Barrierefreiheit ist wichtig – für nachhaltiges Bauen ebenso wie für die Nutzbarkeit des Gebäudes. Aber man sollte es nicht übertreiben«, meint etwa Andreas Oberhuber. Barrierefrei muss der Zugangsbereich eines Gebäudes sein, »das ist gesetzlich schon lange durch das öffentliche Baurecht verankert.« Der Lift ist im mehrgeschoßigen Wohnbau ebenso bereits Standard. »Aber muss jedes Badezimmer für den worst case ausgestattet sein?«, stellt der FGW-Geschäftsführer in den Raum.

Nächste Wohnbau-Generation

Über die Treiber der Wohnbaukosten sind sich die Bauverantwortlichen einig. Unterschiedlich ist der Zugang zum »Wo soll neu gebaut werden?«. Für die FGW liegt die Lösung in der Nachverdichtung. »Bestehende Flächen müssen besser genutzt werden, Aufstockungspotenzial ist vorhanden.« Auch an Reconstructing thermisch mangelhafter Gebäude muss gedacht werden. Eine 2009 im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellte Studie schätzt das Potenzial in Österreich auf 40.000 bis 50.000 Wohnungen, die reconstructed werden könnten. »Man kann nicht immer weiter wachsen, es gilt die Folgekosten für Verkehr, Handel und Gewerbe zu berücksichtigen. Bei der Nachverdichtung fallen diese Kosten nicht an, man muss vielleicht nur etwas nachbessern«, zeigt Oberhuber auf und fordert eine staatliche Kofinanzierung auch z.B. bei Dachgeschoßausbauten. Kallco hingegen tendiert in erster Linie in Richtung der Erschließung neuen Baulandes. Das sei aber regional sehr unterschiedlich: neun Bundesländer, neun Bauordnungen – mit ein Grund für den Abschied vom leistbaren Wohnen?

 

>> Smarte Wohnungen

55 Quadratmeter mit Wohnküche, Schlafzimmer, Flur, Sanitärräumen und Balkon – so sieht eines der Siegermodelle der neuen Smart-Wohnungen aus, die bis 2015 im Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof sowie in Simmering nahe dem Gasometer entstehen sollen. Die Bruttomiete beträgt für die Zwei-Zimmer-Wohnung 409 Euro monatlich. Der Eigenmittelbedarf beläuft sich auf 3.300 Euro, um den Zugang für junge Menschen, Alleinerziehende oder ältere Personen möglichst kostengünstig zu gestalten.
48 % aller Wiener Haushalte werden nur von einer Person bewohnt, im Jahr 2000 gab es erst 28 % Single-Haushalte. »Auch die quantitativen Anforderungen sind gestiegen«, erklärt Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. Wurden in den 1970er-Jahren noch 25 m² Wohnfläche pro Person veranschlagt, sind es heute bereits 40 m². Um die »smarten« Wohnungen dennoch erschwinglich zu halten, gestalteten die beiden Architektenteams Geiswinkler & Geiswinkler sowie BKK3 die Räume sehr kompakt. Mietkosten für nicht benötigte oder nicht nutzbare Wohnflächen wurden vermieden. Besonders attraktiv sind die variablen Grundrisse: Durch das Einziehen bzw. Verschieben von Wänden ist es möglich, zusätzliche Räume zu schaffen, etwa wenn sich ein Baby ankündigt oder fallweise eine Pflegekraft übernachtet. Auf Gemeinschaftsflächen in jedem Stockwerk können in unmittelbarer Nähe der Wohnung Kinderwägen und Fahrräder abgestellt werden. Zunächst sind drei Wohnungstypen mit 40, 55 und 70 m² geplant. Für die 316 Wohnungen im Sonnwendviertel kann man sich bereits anmelden. Besitzer eines Vormerkscheins für Gemeindewohnungen werden bei der Vergabe bevorzugt.

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