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Fürs ganze Leben

\"LautEin Unfall passiert schnell, Altern gehört zum Leben. Nur die wenigsten Wohnungen und Häuser entsprechen den Anforderungen eingeschränkter Mobilität. Barrierefreies Bauen ist die Herausforderung der Zukunft.

Von Karin Legat.

 

Für Monika Klenovec, Architektin und Universitätslektorin für Universal Design und Barrierefreies Bauen sowie Gründungsmitglied des Vereins design for all, steht eines fest: Sie möchte ihren Ruhestand in einem Bungalow mit einem durchgehend gleichen Bodenniveau verbringen. »Alle Lebensfunktionen müssen sich auf einer Ebene befinden«, wünscht sich die leidenschaftlich Reisende. »Ich möchte meinen Trolli beim Heimkommen einfach in die Wohnung ziehen, ohne ihn anheben zu müssen.« Und Klenovec träumt von einer gemütlichen Badewanne als Ergänzung zur schwellenfreien Dusche. Genau hier, im sanitären Bereich, liegt eines der Hauptprobleme im barrierefreien Wohnbau. Sanitärräume bieten zu wenig Bewegungsflächen, Haltegriffe fehlen, Waschbecken können nicht unterfahren werden. »Eine Adaptierung ist vielfach rasch zu realisieren,« berichtet die Architektin aus eigener Erfahrung. »Ich habe den Wellnessbereich im Erdgeschoß meines Hauses an einem Wochenende barrierefrei adaptiert.« Nach dem ÖNORM-Planungskonzept Anpassbarer Wohnbau (B 1600) sind Sanitäreinrichtungen mit Trennwänden zwischen Bad und WC oder Abstellraum und WC so zu planen, dass sie im Bedarfsfall leicht entfernt werden können. Auf unnötige Sanitärgegenstände, Armaturen und Leitungen in diesen Trennwänden muss dabei verzichtet werden. Im Bedarfsfall kann ein barrierefreies Bad mit WC damit schnell und kostengünstig hergestellt werden.

Für uns

Ausreichend Bewegungsraum und flexible Duschwände schätzen nicht nur Menschen mit eingeschränkter Mobilität. »Wer ein Kleinkind duschen oder einen Hund waschen will, ist über diese Lösung sehr dankbar«, weiß Hundebesitzerin Klenovec und verweist auf bestehende Produkte am Markt, etwa von Artweger oder HL. Für den Einsatz in Nassräumen sowie für die schwellenfreie Gestaltung von Übergängen bietet sich das ALUMAT- oder das Gutjahr-System von Ardex an. »Mit Gutjahr sind normgerechte barrierefreie Lösungen einfach zu erreichen. Sie können auch nachträglich und mit geringen Einbauhöhen realisiert werden«, informiert Emanuel Schreiber, technischer Leiter der Ardex Baustoff GmbH. Design ohne Grenzen liegt laut Schreiber voll im Trend. In trockenen Bereichen wie Wohn- und Schlafzimmer sei der Verzicht auf Schwellen technisch einfach umzusetzen. »In Nassbereichen wie im Badezimmer oder bei Eingangs- und Terrassentüren ist die schwellenfreie Gestaltung unter Einhaltung der technischen Richtlinien bezüglich Dichtheit, Wärmebrücken und Schallschutz wesentlich schwieriger.« Für Architektin Astrid Wessely vom Büro für ganzheitliches Planen sollten schwellenfreie Türen heute Standard im Branchenportfolio sein. Dasselbe gelte für Duschwände, Sanitärausstattungen und rutschfeste Bodenbeläge. »Man muss aber nicht immer auf Fertigprodukte zurückgreifen. Rutschfestigkeit lässt sich kostengünstig und zeitgemäß etwa mit ­Epoxidharz erzielen.«

Bildungs-Barrieren

Von barrierefreier Bauweise profitiert jeder. »Sie kostet wenig, wenn sie von Projektbeginn an mitgedacht wird (0,3 bis 3 % der gesamten Bausumme), bedeutet Lebensqualität, bietet erhöhte Sicherheit durch Unfallvermeidung, einen Mehrwert für die Immobilie und schafft Chancen für den Wachstumsmarkt Senioren«, bringt es Architektin Monika Klenovec auf den Punkt. Das hat sich aber vielfach noch nicht in den Köpfen der Menschen festgesetzt, obwohl laut einer GfK-Studie die Mehrheit der Senioren daheim alt werden will und bereit ist zu investieren. Es fehlt an Beratung und qualitativer Aus- und Weiterbildung. Architektin Wessely plädiert hier für eine Unterstützung bei Bildungs- und Aufklärungsprojekten. Derzeit besteht in Österreich in der Architekturausbildung noch keine Pflichtvorlesung für barrierefreies Bauen. Auch in HTLs sowie in baugewerblichen Ausbildungen fehlen einheitliche Standards für die Integration von Barrierefreiheit. »Hier sehe ich aber eine positive Entwicklung aufgrund der Empfehlungen Nr. 2 zum Baukulturreport, der barrierefreies Bauen und ›design for all‹-Planungsgrundsätze in allen Bauausbildungen einfordert«, stellt Klenovec fest. Bei den Bauakademien in Österreich ist barrierefreies Bauen in die Lehrpläne bereits aufgenommen. Ein Blick in die Baupraxis lässt viel Eigeninitiative erkennen. »Ich recherchiere viel im Internet, in Foren und greife gerne auf die Mailingliste der IG-Architektur zurück«, berichtet TU-Absolventin Wessely. »Unsere technischen Berater erhalten mehrmals im Jahr interne Schulungen. Extern betreuen wir in unserem Schulungszentrum in Loosdorf rund 3.000 Teilnehmer pro Jahr«, informiert Ardex-Technikleiter Schreiber, »darunter Berufsschüler, Baumeister, Planer und Verarbeiter.« Das Normungsinstitut bietet seit 2011 einen Lehrgang zum Thema Barrierefreiheit an.

Weit verbreitet

Im Wohnbereich sind nicht nur Pensionisten mit Barrieren wie engen Gängen, schmalen Türlichten, ungeeigneten Haltegriffen und Zugangsstufen vor der Haustür konfrontiert. Es trifft auch Lieferanten oder Eltern mit Kleinkindern. Diese Erschwernisse sind weiter verbreitet als angenommen. Laut einer GfK-Studie sind 63 % der Wohnungen und Eigenheime nicht barrierefrei. »Manche möchten sich einfach nicht mit dem Thema Barrierefreiheit auseinandersetzen«, nennt Wessely einen Grund für die fehlende Adaptierung von Wohnraum. Und das obwohl gleichzeitig in einer Studie zu seniorengerechter Wohnversorgung jeder Zweite der Generation 40+ bei Pflegebedürftigkeit im Alter zu Hause betreut werden möchte. »Wer sechs bis acht Wochen mit einem Gipsfuß o.Ä. sein Heim erkundet hat, kennt die Auswirkungen fehlender Barrierefreiheit«, so Klenovec, die ihren Studenten stets die Aufgabe erteilt, die eigene Wohnung barrierefrei umzuplanen. Die Probleme werden rasch sichtbar. Es gibt keinen ebenen Zugang, Türen sind im Sanitärbereich oft zu schmal und 1,50 Meter Bewegungsfläche bzw 75 cm Bewegungsradius fehlen in den strategischen Bereichen wie Küche, Bad/WC und im Schlafzimmer. Eine entsprechende Sanierung ist laut Klenovec im Altbau oft leichter umzusetzen. Der Grund: Früher waren Bauherren nicht so geizig mit Raum. »Kuranstalten und Spitäler, so würde man meinen, sind barrierefrei. Die Praxis sieht jedoch oft anders aus«, weiß Klenovec aus eigener Erfahrung. »In den Gängen finden sich schwergängige Türen statt automatischer, oder es gibt nur an einer Seite der Treppen einen Handlauf.«

Neunmal Barrierefreiheit

Bauordnung ist Ländersache, das gilt auch für barrierefreies Bauen. Mit der OIB-Richtlinie 4 ist laut design for all ein großer Schritt in Richtung Harmonisierung der früher unterschiedlichen Anforderungen für barrierefreies Bauen gelungen. Sieben Bundesländer haben die OIB RL 4 bereits in ihre Bauordnungen integriert, ausständig sind noch Niederösterreich und Salzburg. Nachholbedarf gibt es auch in der Baukontrolle. Der Mehrfamilienhausbau sollte laut OIB RL 4 längst anpassbar und barrierefrei sein, »es gibt aber nur in Wien eine Bestätigung des Architekten, dass barrierefrei gebaut wurde. Die Baupläne stimmen bei der Einreichung, in der Realisierung fehlt die Barrierefreiheit oft durch falsch ausgeführte Details oder ungeeignete Bauprodukte«, so Klenovec. Neben den länderspezifischen Bauordnungen bestehen auch Unterschiede bei den geförderten Maßnahmen. Oft kann eine Wohnbauförderung erst beantragt werden, wenn ein Familienmitglied behindert ist. In Vorarlberg gibt es keine eigene Wohnbauförderung mehr für barrierefreies Bauen. In Niederösterreich besteht ein Punktesystem für Barrierefreiheit bei Neubau und Sanierung. Im Burgenland und in der Steiermark werden barrierefreie Maßnahmen auch als Präventivmaßnahmen gefördert. Darüber hinaus gibt es für behinderte Personen Förderungen im Sozialbereich, die ebenfalls für Umbaumaßnahmen beantragt werden können. »Die volkswirtschaftlichen Kosten sollten in einer Studie einmal genauer analysiert werden, um der Politik Fakten und Zahlen zur Verfügung zu stellen«, regt Klenovec an und meint: »Wenn wir heute neue Wohnungsbauten nicht nach den Grundsätzen des anpassbaren Wohnbaus barrierefrei planen und bauen, werden wir zukünftig sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen müssen, um weitere Pflegeheime zu bauen und die zunehmend aufwendigen Sanierungskosten des Wohnbestandes zu finanzieren. Können wir uns das wirklich leisten?«


>> Maßnahmen zur seniorengerechten Adaptierung der Wohnung/ des Hauses

Bei der Frage nach Maßnahmen zur seniorengerechten Adaptierung der Wohnung/des Hauses denken Bewohner vorrangig an Sanitärräume und Durchgänge.
(Studie GfK Austria, Barrierefreies Wohnen, Lifestyle 2011 [Basis 40-99, N=2.820])

- barrierefreies Bad                                                                    60

- barrierefreies WC                                                                    50

- rollstuhlgerechte Türen                                                           42

- Treppenlift                                                                            34

- barrierefreie Küche                                                                 28

- Aufzug                                                                                 18

- AAL »Ambient Assisted Living«- Systeme,

d.h. Unterstützung im Alltag durch Installation

neuer Technologien in der Wohnung (z.B. Sensoren, Telemedizin)  17

- Stiegenhausvergrößerung                                                         3

- sonstiges                                                                                8

- nichts                                                                                   14

>> Ein Sanierungsscheck in Form eines Einmalzuschusses von bis zu 6.500 Euro würde 70 % der Bevölkerung laut einer GfK Studie im Auftrag der Bundesinnung Bau zu senioren- und behindertengerechtem Umbau motivieren.
(Studie GfK Austria, Barrierefreies Wohnen, Lifestyle 2011 [Basis 40-99, N=2.820])

>> Neuer Ratgeber:

Auch Ziegelspezialist Wienerberger bekennt sich zum barrierefreien Bauen. Gemeinsam mit der Organisation »freiraum-europa die expertInnen für barrierefreiheit« und dem Land Oberösterreich hat Wienerberger den Ratgeber »Barrierefrei Bauen und Wohnen für Generationen« herausgegeben. »Wienerberger engagiert sich aktiv in Projekten, die generationenübergreifendes Bauen und damit auch weitgehend barrierefreies Leben in den Mittelpunkt stellen. Denn wer mit Ziegel baut, wählt einen besonders flexiblen, nachhaltigen und die Wohngesundheit unterstützenden Baustoff«, so Mag. Christian Weinhapl, Geschäftsführer der Wienerberger Ziegelindustrie GmbH. Noch herrscht bei vielen Menschen, Unternehmen und Organisationen ein großes Informationsdefizit, was genau unter barrierefreiem Bauen und Gestalten zu verstehen ist. Dietmar Janoschek, freiraumeuropa-Präsident: »Oft wird ›barrierefrei‹ mit ›rollstuhlgerecht‹ verwechselt. Dass aber Barrierefreiheit auch wichtig ist für seh- und hörbehinderte Menschen, ältere und pflegebedürftige Menschen sowie ihre Betreuungspersonen oder für Menschen mit Kinderwagen, wird meist vernachlässigt.« Der neue Ratgeber informiert auf 90 Seiten Senioren- und Pflegeeinrichtungen, Wohnbauträger, Bau- und Immobilienwirtschaft, Architekten, Planer und Privatpersonen, was beim Neu- oder Umbau von Häusern und Wohnungen zu berücksichtigen ist.

Erhältlich ist der Ratgeber um 18 Euro bei freiraum-europa unter der Telefonnumer 0732 94 66 00 oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! sowie im Buchhandel.

 

>Lesetipp BARRIERE:FREI! Handbuch für barrierefreies Wohnen (BMASK, Stand 2011)
>Veranstaltungshinweis: Austrian Standards plus GmbH, Lehrgang Zertifizierte/r Experte/-in für barrierefreies Bauen, 3 Module ab 18.6.2012, Wien, Informationen www.as-plus.at/trainings

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