Laufkundschaft
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Eines Abends, als ich in körperlich total verwerflicher Art und Weise nach der Arbeit wie üblich faul vor dem Fernseher herumlungerte und in der Werbung junge, erfolgreiche, blendend aussehende Menschen beim fröhlichen Hechten durch sonnendurchstrahlte Auen bewunderte, beschloss ich, jetzt auch endlich zur Besinnung zu kommen und schwor, voller Härte und Kompromisslosigkeit gegenüber meinem inneren Schweinehund, gleich morgen vormittags voller Elan aus dem Bett zu hüpfen, in meine verstauben Turnschuhe zu springen und mich in aller Frische den Millionen lustvoll dahinrennenden Städtern in den Grüngebieten beim gesunden Morgensport Joggen anzuschließen. Noch vor dem Einschlafen malte ich mir voller Vorfreude aus, wie ich meinen erschlafften Körper stählen, meine einrostenden Gelenke neu ölen und beim anderen Geschlecht mit durchtrainierter Figur und einem lässigen Grinsen Eindruck schinden würde. Das war, wenn ich mich recht erinnere, etwa 1995, und jener Abend ist mir insofern fest im Gedächtnis geblieben, als ich in regelmäßigen Abständen schuldbewusst und voller schlechtem Gewissen daran denke, dass ich den so fest beschworenen Vorsatz vielleicht endlich mal tatsächlich in die Tat umsetzen sollte.
Kürzlich traf ich einen Bekannten, oder besser: er traf mich, und zwar voll in die Magengrube. Ich war gerade voll beladen mit Tiefkühlpizza und Schuldbewusstsein aus dem Supermarkt getreten, als mich ein um die Ecke sprintender Mann in dezentem Neon-Trainingsdress mit der vollen Wucht des Langstreckenläufers niederrannte. Unter vielen Entschuldigungen half er mir, nervös auf der Stelle tänzelnd, wieder auf die Beine und die Überraschung war groß, als wir uns als alte Studienkollegen wieder erkannten. Er sei, so erzählte er mir unter nervösem Herumgehüpfe, jetzt in einem großen Konzern in leitender Funktion tätig, und da gehöre Sport einfach dazu. Er hatte meinen wunden Punkt getroffen. Um’s kurz zu machen: Wir verabredeten uns fürs Wochenende, um gemeinsam ein Paar alte Erinnerungen aufzufrischen und zu joggen.
Das war, rückblickend betrachtet, keine gute Idee. Es begann damit, dass mein Bekannter losspurtete und mir schon nach wenigen Minuten raten musste, etwas mehr zu strunzen. Ich war gerade damit beschäftigt, durch heftiges Japsen einen Kreislaufkollaps abzuwenden, und konnte insofern nur ein keuchendes „Öchhrr-chh??“ als Ausdruck meiner Ahnungslosigkeit erwidern, doch mein Laufpartner ließ sich dadurch wenig beirren. Sein tänzelndes Laufen und seine Fähigkeit, während der gesamten Strecke in ruhiger, fast aufreizend entspannter Weise Konversation zu treiben, machten mir auf beschämende Art klar, dass ich wohl in den letzten zwanzig Jahren ohne Sport etwas Kondition eingebüßt haben könnte. So blieb die Unterhaltung etwas einseitig, erlaubte aber immerhin Einblick in die Welt des Hochleistungsmanagements. Es sei, so erfuhr ich, ja schon ziemlich hart geworden in der Chefetage. Wer nicht täglich mindestens sechs Stunden trainiere, sei weg vom Fenster — im mittleren Management wimmle es nämlich nur so von aufstrebenden Athleten und fanatischen Fitnessjüngern, die nur darauf geierten, etwa die Marathonzeiten ihrer direkten Vorgesetzten zu unterbieten, um so beruflich weiterzukommen. Einen Kollegen von ihm hätte es etwa letztes Frühjahr erwischt — der wäre zwar ein hervorragender Stratege und Bilanzprüfer gewesen, hätte aber trotz Trainings die Teamzeit von 2:40 nicht halten können. Aber da sei die Härte verständlich, immerhin gehe es ja im Management beinhart um Leistung und um Ergebnisse. Der neue Kollege sei etwa extra aus Ghana geholt worden; gut, dass er kein Wort Deutsch oder Englisch spräche, sei zwar ein kleines Problem, aber dafür laufe er wie ein Wiesel, der schnellste CEO ganz Wiens. So was schaffe Prestige bei den zweimonatlichen Businessmarathons, da werde Teamgeist und Härte bewiesen, der Konkurrenz eins ausgewischt und außerdem sei Bewegung das ja wohl Natürlichste der Welt.
Während ich gerade damit beschäftigt war, das lästige Herzrasen und die leichte Bewusstlosigkeit durch intensives Liegen auf dem Bankett in den Griff zu kriegen, kreiste mein Bekannter locker plaudernd mit tänzelnden Schritten weiter um mich herum. Natürlich sei Joggen ja nur ein Miniteil des täglich absolut notwendigen Berufsaufwands, man dürfe ja die vielen Golfwochenenden auch nicht vergessen, oder die firmeninternen Konferenzen in der Kraftkammer, oder die strengen Diäten und die Stunden am Ergometer. Tatsächlich, so sagte mir mein Bekannter, während ich auf die Ambulanz wartete, wären der Konkurrenzkampf und der Leistungsdruck im Management inzwischen so hoch geworden, dass er durch die anstrengenden Trainings und das beinharte Ringen um Erfolg heute leider so gut wie keine Zeit mehr fürs Geschäft selbst habe. „Aber dafür gibt’s ohnehin Consulter!“, meinte er augenzwinkernd, und verschwand federnden Schrittes mit einem lässigen Winken in Richtung Sonnenaufgang.