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Das Kreuz mit Privat und Staat

\"MarschrichtungZwei Jahrzehnte lang wurde weltweit hurtig privatisiert. Fast noch hurtiger wurde zuletzt wieder verstaatlicht. Was macht wirklich Sinn und wie sieht die Bilanz in Österreich aus?

 

Manchmal sind es Kleinigkeiten, die Menschen zur Weißglut treiben. So dürfte es dem renommierten österreichischen Schriftsteller Karl-Markus Gauß ergangen sein. Dass die Post, seit sie teilprivatisiert ist, in seinem Salzburger Heimatort manchmal nur mehr einmal die Woche vorbeischaut, um Briefe zuzustellen, anstatt wie früher täglich, und dass seine Urgenzen an einer kostensparenden »modernen Hotline« abprallten, dürfte Gauß zu viel gewesen sein. In einer ätzenden Satire zog der Salzburger wortgewaltig über die »Segnungen« der Privatisierung her. Spätgeborene konfrontiert er mit der »bizarren Vorstellung«, dass die Post einmal nicht dazu da gewesen war, Aktionären Gewinne zu bescheren, sondern um Briefe und Pakete zuzustellen oder die Telefoninfrastruktur aufrechtzuerhalten. Sein Fett bekommt auch Willi Molterer ab. Gauß attestiert diesem gar »einen vor religiösem Eifer flackernden Blick«, als Molterer im ORF vor drei Jahren eine weitere Privatisierung der Post forderte – und liefert seine persönliche Diagnose ab. Das sei eine Form von »heiligem Irresein«, der »Furor von österreichischen Fundamentalisten, die die Welt privatisieren wollen«, auch wenn alles darüber in Scherben gehe. Selbst einen alten Gassenhauer deklinierte der grantige Schriftsteller: Wer nichts ist und wer nichts kann, saniert die Post und Eisenbahn. Das ist ziemlich ätzend.

Aber welche Rolle muss ein Staat tatsächlich spielen, welche soll er noch spielen? Und wo liegt die vernünftige Balance zwischen Privat und Staat? Eine einfache Frage, über die jedoch seit Jahrzehnten gegrübelt und gestritten wird. Eine Antwort steht aus. Gegrübelt und gestritten wird wohl noch ein paar Jahrzehnte. Fest steht, dass die Krise die Diskussion erneut befeuert hat. Wer vor ein paar Jahren ernsthaft prophezeit hätte, dass selbst in den USA, dem Mutterland des Kapitalismus, Banken, Versicherungen und Industriebetriebe verstaatlicht werden, wäre als Wirrkopf ausgelacht worden. Heute sind Bürger und Steuerzahler rund um den Globus stolze Mitbesitzer von maroden Pleitebetrieben.

Billig war das »Investment« nicht. Ein kleiner Auszug aus der Bilanz des Schreckens: Die amerikanische Notenbank pumpte knapp 140 Milliarden Dollar in den Kreditversicherer AIG, die Regierung noch einmal 150. Dafür gibt es knapp 80 Prozent von Anteilen an einem Unternehmen, dass mit 61,7 Milliarden Dollar den größten Quartalsverlust aller Zeiten eingefahren hat. Auch kein Schnäppchen war der Erwerb des abgewrackten Autoherstellers General Motors. Nachdem die milliardenschweren Staatshilfen schneller verbrannt waren, als man nachschießen konnte, folgte die finale Verstaatlichung einer Insolvenzleiche.


Präsent vom Christkind
Zu unfreiwilligen Investoren wurden auch die Briten, die sich nach milliardenschweren Finanzhilfen über rund 70 Prozent der Royal Bank of Scotland freuen dürfen. Dafür gibt es aber auch jede Menge Thrill und Nervenkitzel: In den Eingeweiden der Bank schlummern Ramschpapiere im Nennwert von geschätzten 325 Milliarden Pfund. Dem Deutschen Michel wiederum gehört die Mehrheit an der Bankleiche Hypo Real Estate, die nach einem Zuschuss von 87 Milliarden Euro im Oktober letzten Jahres teilverstaatlicht wurde. Ein paar Wochen später gab’s gleich die nächste Finanzspritze von drei Milliarden, damit der Neuerwerb nicht augenblicklich kollabiert. Bis nächstes Jahr werden wohl weitere sieben Milliarden nachgeschossen werden. Die Deutschen sind entgeistert – um das Geld hätte man statt einem Bankenzombie auch eine Good Bank bekommen oder die traurigen Hartz-IV-Sätze ein paar Jährchen lang auffetten können. Schadenfreude ist nicht angebracht: Die Kommunalkredit gehört den Österreicher schon seit 2008 – 1,5 Milliarden Euro im Wind. Im Dezember, quasi als Christkindl, durften die Österreicher mit der Kärntner Hypo Alpe Adria ein weiteres Schätzchen erwerben. Was den Bürgern die anrüchige Bankenklitsche am Ende des Tages kosten wird, steht in den Sternen. Dass Analysten den Finanzbedarf bereits nach oben korrigiert haben, ist kein gutes Omen.

Dafür bekommen die Österreicher aber auch Krimispannung und großes Theater. Vermeidbar war die Notverstaatlichung wohl schwer. Finanzminister Josef Pröll gab bei den Verhandlungen mit den Eigentümern zwar geschickt den Pokerspieler, hatte aber ein denkbar schlechtes Blatt. Durch die aberwitzige 19-Milliarden-Bürgschaft Kärntens stand ein ganzes Bundesland an der Kippe zum Abgrund. Kärntner zu sein, ist trotz Fasching derzeit nicht lustig. Der Imageschaden ist enorm, dazu droht ein Schaden für Wirtschaft und Fremdenverkehr. Der Kärntner IV-Präsident Otmar Petschnig sah sich beim Neujahrscocktail schon zu flammenden Appellen veranlasst. Trotz Hypokrise und desolater Landesfinanzen sei das Land »nicht der Balkan Österreichs«. Der Industrie- und Wirtschaftsstandort sei mindestens genauso gut wie in anderen Regionen. Das renommierte Institut BAKBASEL habe das Bundesland bei Forschungsquote und Bildungsstand der Arbeitnehmer gegenüber den Nachbarregionen ins absolute Spitzenfeld gereiht. Petschnigs Absichten sind ehrbar, die Fakten richtig. Für eine schnelle Imagekorrektur wird das aber trotzdem nicht reichen.

\"DiskutiertDer nächste Schlag
Der Hypo-Brocken ist noch kaum verdaut, winkt bereits die nächste Verstaatlichung. Vor kurzem preschte Finanzminister Josef Pröll mit dem Vorschlag vor, die Nationalbank (OeNB) zur Gänze zu übernehmen. Private Aktionäre – zu den größeren zählen etwa Raiffeisen, Uniqua oder die Wirtschaftskammer – sollen mit rund 50 Millionen Euro abgefunden werden. Wirklich neu ist Prölls Idee nicht, die Neuauflage kommt aber taktisch zu einem guten Zeitpunkt. Dass sich etwa Raiffeisen als Nationalbank-Aktionär quasi selber kontrolliert, mag bei den 8,73 % Anteil des Grünen Riesen an den Haaren herbeigezogen sein. Glücklich ist die Optik trotzdem nicht. Dazu kommt, dass die OeNB wegen verschlafener Bankenkontrolle ohnehin in der Kritik steht. Ob Prölls Vorhaben durchgeht, ist offen. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl oder Raiffeisen zieren sich. Die Industriellenvereinigung – die IV hält zwei Prozent der Anteile – signalisierte hingegen Zustimmung. »Eine Vollverstaatlichung der OeNB würde eine Angleichung an internationale Standards bedeuten und ist prinzipiell durchaus akzeptabel«, sagt IV-Generalsekretär Markus Beyrer. Notenbanken waren bis zum Zweiten Weltkrieg oft in privater Hand, wurden aber danach wie die Bank of England oder die Banque de France verstaatlicht. Die amerikanische FED ist ein »Mischwesen« und teils privat, teils staatlich strukturiert. Die Notverstaatlichungen rund um den Globus belebten die Diskussion um die »wahren« Aufgaben eines Staates neu.

Speziell konservative und neoliberale Kreise tun sich mit der Entwicklung – gelinde gesagt – schwer, zumal es, sieht man von »Spezialfällen« wie vielleicht Nordkorea oder Kuba ab, nicht einmal mehr Linke gibt, die in Verstaatlichung das Allheilmittel sehen. Wie schwer, konnte man in stramm rechtskonservativen und einflussreichen US-Blogs wie etwa americanthinker.com verfolgen. Bereits bei den ersten Staatshilfen wankte das Weltbild, die Verstaatlichung von GM & Co war nur mehr Teufelswerk. Konsequenz kann man dem Hardcore-Republikaner nicht absprechen. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte man keinen Dollar Staatshilfe locker gemacht und marode Unternehmen in den Konkurs geschickt. Gott, Markt und Darwinismus hätten das schon irgendwie geregelt, ein Eingriff in diese heiligen Mechanismen sei ohnehin nur Frevel. Dass man sich ein privates Gesundheitssystem leistet, das das teuerste und ineffizienteste der Welt ist, will zum Leidwesen Barack Obamas nicht einmal in den Köpfen des Durchschnittsamerikaners landen. Egal, wie die Fakten aussehen, egal, dass 50 Millionen Amerikaner nicht krankenversichert sind: Nach jüngsten Erhebungen glauben rund 65 Prozent der Bevölkerung, dass ihr Gesundheitssystem ohnehin das beste des Universums sei.


\"PröllsLicht und Schatten
Dabei muss ein Eingriff des Staates, wenn er nur zur rechten Zeit und mit Bedacht erfolgt, kein Fehler sein. Österreichs Verstaatlichte wünscht sich niemand zurück. Aber trotz aller Unkenrufe war es gerade der Verstaatlichtensektor, der nach dem Weltkrieg jahrzehntelang für Identitätsstiftung, Stabilität und Prosperität gesorgt hat (siehe Kasten). Bis in die frühen 80er-Jahre waren Umsatz- und Wertschöpfungssteigerungen höher als bei den Privaten. Und für die Politik war der Sektor ein Vehikel zur Steuerung von Beschäftigung und Wachstum oder zum Austarieren von Krisen. Bei allen Nachteilen wie politische Lähmung und Proporz – der Sektor hat maßgeblich zum Wohlstand der Republik beigetragen. Bis diese Organisationsform endgültig überholt war. Als eine der gelungensten Privatisierungen darf die voestalpine gelten, deren Aktien seit 1995 zu den Top-Performern der Wiener Börse zählen. Warum die restlichen Staatsanteile des Goldesels Austria Tabak 2001 zum Diskontpreis verschleudert wurden, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Das traurige Ende der AUA ist ebenfalls kein Ruhmesblatt für die Staatsholding ÖIAG.

Die Privatisierung von Post und Telekom verlief hingegen vergleichsweise erfolgreich. Ein Privatisierungsbrocken, der früher oder später noch ansteht, ist wohl der Cargo-Bereich der ÖBB. Infrastrukturministerin Doris Bures sieht Privatsierungen »unideologisch« (siehe Interview) und verweist darauf, dass ein Teilverkauf der ÖBB in dieser Legislaturperiode durch das Regierungsübereinkommen ausgeschlossen sei. Besonnenheit im Umgang mit der Bahn ist aus mehreren Gründen geraten: Einerseits hat die Teilung und Wiederzusammenführung von Einzelgesellschaften ohnehin schon genug Zeit und Geld gekostet, andererseits bergen überhastete Bahnprivatisierungen gerne den Keim des Scheiterns in sich (siehe Kasten).

Wenn es darum geht, Infrastruktur in großem Maßstab zu finanzieren, ist Vater Staat ohnehin gefragt. Beim Ausbau der Telekommunikation ist das nicht anders. Bis auf wenige Ausnahmen wird die Hauptlast von öffentlichen Haushalten getragen. Ausgerechnet die wirtschaftsliberalen Länder Australien und Neuseeland gehen seit kurzem noch einen Schritt weiter: Die Staaten pumpen nicht nur Milliarden in den flächendeckenden Ausbau von High-Speed-Breitband der nächsten Generation, sondern betätigen sich auch gleich noch als Errichter und Betreiber der Netzinfrastruktur. Das erinnert fast schon an die gute alte Staatspost.

 

Exkurs: Teure Privatisierungspannen
Ein besonders hartes und teures Pflaster für Privatisierungen dürfte der Bahnverkehr sein – vor allem für Steuerzahler und Bahnkunden. Als negatives Musterbeispiel gilt die englische Staatsbahn. In Heilserwartung wurde die »British Rail« unter der »Eisernen Lady« Maggie Thatcher und Nachfolger Gordon Brown günstig an Private verscherbelt. Ein paar Jahre später waren diese um geschätzte zehn Milliarden Pfund reicher, an die Privaten wurde gleichzeitig mehr gezahlt als jemals zuvor in der Geschichte der Staatsbahn – und das Bahnsystem war komplett am Ende. Die Infrastruktur verlotterte, wer das »Glück« hatte, nach stunden- oder gar tagelangen Wartezeiten einen Zug zu kriegen, musste sich fürchten, aus der nächsten Kurve zu fliegen. Selbst die geduldigen Briten waren nah am Volksaufstand. Und durften die bankrotte Privatbahn wieder zurückkaufen. Seither stieg nicht nur die Sicherheit wieder auf europäisches Niveau, sondern auch die Fahrgastzahlen um knapp 50 Prozent. Nach dem gleichen Strickmuster durften auch die neuseeländischen Steuerzahler gleich mehrfach bluten. Nach der Privatisierung Anfang der 90er waren die Zustände Mitte 2008 derartig desolat, dass selbst das liberale und privatisierungsfreundliche Neuseeland auf die Notbremse stieg und re-verstaatlichte. Die Steuerzahler dürften leicht sauer sein: Der privaten »Toll Holdings« wurde dafür, dass sie das Bahnsystem der Insel grandios abgewrackt hatte, noch einmal 336 Millionen Euro in den Rachen geschoben.

Exkurs: Österreichs Verstaatlichte im Zeitraffer
Der Geschichte der Staatsbetriebe beginnt schon vor der Stunde Null der Republik – und war quasi aus der Not geboren. Via Verstaatlichungsgesetzen wollten ÖVP und SPÖ Schlüsselunternehmen dem Zugriff der sowjetischen Besatzer entziehen, gleichzeitig sollten mögliche Fragen über mögliches »deutsches Eigentum« erst gar nicht entstehen. Hand in Hand mit den Verstaatlichungen ging der Proporz. Verstaatlichte und Proporz dominierten die Republik auf Jahrzehnte und sorgten nicht nur für Stabilität und Prosperität, sondern auch für endlose politische und personelle Querelen. Bis in die frühen 80er-Jahre waren die Umsatz- und Wertschöpfungssteigerungen des Verstaatlichtensektors höher als bei den Privaten. Dann folgten Lähmung und Niedergang, beschleunigt durch Krisen und gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Wandel. Als Musterprivatisierung darf die voestalpine gelten, die seit 1995 zu den Top-Performern der Wiener Börse zählt. Mitte der 90er wurden die Staatspost in die PTA AG transformiert und so die Weichen für eine nicht unumstrittene, aber durchaus erfolgreiche Teilprivatisierung von Post und Telekom gestellt. Völlig verschlafen wurde die Entwicklung bei der AUA: Die ehemalige »Visitenkarte« Österreichs wurde 2008 notverkauft – unter massivem Zuschuss von Steuergeld. Als zukünftiger Privatisierungskandidat wird die Cargo-Schiene der ÖBB gehandelt.

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