Banken wie Junkies auf Entzug
- Written by Redaktion_Report
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Christoph Matznetter, Ex-Finanzstaatssekretär, über die Kreditklemme, den harten Weg zurück und die Neuorientierung in der Steuerpolitik.
(+) plus: Die Kreditklemme ist keine Erfindung: KMU haben es in Österreich schwer, an Kapital zu kommen. Was sagen Sie diesen Unternehmen?
Christoph Matznetter: Die Sparte Banken der Wirtschaftskammer hat eine Untersuchung veröffentlicht, in der behauptet wird, es gebe keine Kreditklemme. In der Befragungswoche haben zehn Prozent gesagt, dass sie Schwierigkeiten bei der Kreditaufnahme haben. Stellen Sie sich vor, wie viele es sein würden, wenn man diese Untersuchung monatlich macht.
Wir haben diese Kreditklemme, sie ist auch nicht leicht zu beheben. Jetzt kommt die Kritik an der Politik, dass das Bankensicherungspaket nicht gewirkt habe, weil es immer noch keine Kredite gibt. Da muss man klarstellen, die Bankenpakete wurden nicht gemacht, um die Kreditklemme zu beheben, sondern um den Zusammenbruch von Banken zu verhindern. Die Situation war in ganz Europa dramatisch und es bestand die Gefahr, dass es zu massivem Abzug von Spareinlagen kommt. Das wurde verhindert, das Vertrauen der Sparer ist hergestellt. Wir in Österreich haben das Paket, auch wenn das manchmal anders dargestellt wird, unter strengsten Auflagen beschlossen. Eine der Bedingungen war, dass die Banken, die die Hilfe in Anspruch nehmen müssen, ein bestimmtes Kreditvolumen zur Verfügung stellen. Das ist eine harte Auflage, die es den Banken auch so schwer macht, die Hilfe in Anspruch zu nehmen.
(+) plus: Was ist so schwierig daran, wenn Banken ihrem Geschäft nachgehen und Kredite vergeben?
Matznetter: Weil die Banken gleichzeitig weltweit ihre Bilanzsummen zusammenkürzen müssen. Das Spiel, dass Banken aus einer Einlage 300 bis 500 Prozent Kredit generieren, ist vorbei. Über das System von Asset Backed Securitiers (ABS), Credit Default Swaps (CDS) und Collateralized Debt Obligations (CDO) wurden weltweit Kreditforderungen weiterverkauft. Aus einer Einlage konnten die Banken ein x-Faches an Krediten finanzieren. Wenn jetzt das System zurückgeführt wird auf das traditionelle Modell der Savings & Loans, wo die Höhe der Einlagen das Kreditvolumen bestimmt, dann tritt ein gigantischer Schrumpfungsprozess ein. Das weltweite Kasino ist vorbei.
(+) plus: Die derivativen Produkte haben in Wirklichkeit das gigantische Wachstum der vergangenen Jahre finanziert.
Matznetter: Genau so ist es. Man muss wissen, was das bisherige System getan hat, bevor man auf die Banken schimpft. Jetzt ist die Politik gefordert, konkrete Maßnahmen zu setzen, und dabei sind wir gut unterwegs. Wir haben 400 Millionen Haftungsvolumen beim AWS schon im Dezember beschlossen. Wir haben gut und schnell reagiert. Die gesetzliche Grundlage ist da, jetzt kommt die praktische Umsetzung. Das AWS hat versucht, die Kredite über den Bankschalter an die Kunden zu bringen. Das haben die Banken abgelehnt, mit dem Argument, dass sich die Banken jene Kunden, denen die Kredite gegeben werden können, selbst behalten wollen, außerdem hätten bei den Kreditsätzen und bei den Spesen die Banken nichts verdient. Die AWS bekommt jetzt selbst die Bankkonzession und wir versuchen, durch Information an die Unternehmen zu kommen. In Wien wird sehr viel Information zur Verfügung gestellt, wo die Unternehmen an der Hand genommen werden, die Förderungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Das ist eine gute Maßnahme, die hoffentlich in allen Bundesländern Schule macht.
(+) plus: Auf der europäischen Ebene ist es natürlich verheerend, wenn die Banken eine Menge Kapital zur Verfügung bekommen und es dann bei den Zentralbanken ungenutzt hinterlegen. Im Moment liegen 300 Milliarden Euro bei den Zentralbanken, ungenutzt ...
Matznetter: Das Problem ist so komplex, dass es in wenigen Zeilen schwer zu erklären ist. Eine Bank, die einen Kredit herausgibt, muss Eigenkapital hinterlegen. Aber Eigenkapital ist Mangelware. Wenn das Geld aber einer andern Bank geborgt oder bei der Zentralbank hinterlegt wird, muss kein Eigenkapital hinterlegt werden. Das ist kein böswilliges Handeln der Banken, sondern aufgrund der geltenden Spielregeln im Moment gar nicht anders möglich.
Die EZB hat gehandelt und nun die Einlagezinsen halbiert. Aber Sie haben Recht, es wird Geld zur Zentralbank getragen, obwohl es dringend gebraucht wird. Allerdings, so meine Behauptung: Wir hatten das Gelddrucken in der Vergangenheit, es wurden viel zu große Geldmengen umgesetzt. Banken haben von den Zentralbanken dann Geld bekommen, wenn sie Collaterals hinterlegt haben. Aber durch das Produzieren der Collaterals – innovative Finanzprodukte – hat man sich selbst die Sicherheiten für das herausgegebene Geld gedruckt. Das gesamte Finanzsystem und nicht nur die Zentralbanken haben Geld gedruckt. Das billige Geld war die Droge und alle haben agiert wie Junkies. Jetzt ist die Zeit des Entzugs. Das tut weh, aber es gibt keine Alternative.
(+) plus: In dieser Situation ist die Frustration in den Unternehmen sehr groß. Bei Kreditvergaben haben Riskmanager die Antragsteller gequält, unter Verweis auf Basel II bis zum Freischwimmerausweis der Urstrumpftante alles verlangt, dann noch bei den Sicherheiten zugeschlagen. Dann verjankern Banken Kapital in Island, bei Lehman Brothers, bei Madoff, und die Rechnung dafür zahlen wieder die vielen Klein- und Mittelbetriebe. Die Frustration ist mehr als verständlich, oder?
Matznetter: Ja, es war das gleiche System. Wir haben uns politisch intensiv bemüht, dass Basel II erst ab einer Million Kredit angewendet werden muss. In der letzten Minuten haben wir noch hineingebracht, dass der typische Familienunternehmer, der die hypothekarische Besicherung seiner Privatvermögens hineinbringt, für diese Beträge außerhalb von Basel II bleibt. 90 Prozent der KMU wären demnach von Basel II gar nicht betroffen gewesen. Aber das ist nur nach der Papierform so gewesen. Die sogenannten innovativen Finanzprodukte haben dafür gesorgt, dass sogar der 5.000-Euro-Kredit sofort hinterm Bankschalter gewürfelt und geschnitten und in ein handelbares Finanzprodukt umgewandelt wurde. Daher musste er geratet werden, um überhaupt Papiere machen zu können, die weiterverkauft wurden. In Wirklichkeit ist der Kunden nicht in Bank gegangen und hat einen Kredit aus den Einlagen der Sparer bekommen, er ist in ein Brokerinstitut gegangen und hatte vor sich einen Agent, der für einen weltweiten Markt Finanzprodukte erstellt hat. Das war Kasino-Monopoly. Aber jenen Unternehmern, die das jetzt zu Recht kritisieren, muss man auch sagen, dass viele mitgemacht haben. Wie viele haben nicht mehr in den eigenen Betrieb investiert, sondern sind den Verlockung des Kapitalmarktes erlegen? Viele haben nicht mehr ihren Hausverstand eingesetzt und gefragt, warum irgendeine große Bude besser funktionieren soll als der eigene Betrieb. Jetzt geht es zurück zu den Wurzeln. Der beste Betrieb ist ein österreichischer, bei dem der Manager der Eigentümer ist und weiß, was er tut.
(+) plus: Er ist halt dummerweise auch der, der die Rechnung für das Ganze in Form hoher Steuern zahlt …
Matznetter: Das ist der praktische Effekt, das Unternehmen beschäftigt ja auch die Mitarbeiter. Mich hat man oft gefragt, wo ich mein Geld investiere, und ich hab immer gesagt, in die eigene Kanzlei. Dort habe ich das geringste Misstrauen gegenüber der Geschäftsführung und die höchste Eigenkapitalrendite. Dieses Selbstbewusstsein müssen wir auch bei vielen KMU wieder wecken: Die beste Investition ist der eigene Betrieb.
(+) plus: Jetzt sind wir mitten drinnen im Thema Steuerreform. Eigenkapital hängt ja immer stark mit der Frage der Steuerlast zusammen. Wenn das Unternehmen Gewinn macht und ein wesentlicher Teil wandert zum Finanzamt und nicht in den Betrieb, ergibt sich ein Problem. Was bringt die Steuerreform den Unternehmen?
Matznetter: Im internationalen Vergleich ist der Zusammenhang zwischen Höhe der Steuer und Höhe des Eigenkapitals nicht feststellbar. Länder mit einer hohen Steuerlast haben nicht automatisch eine niedrige Eigenkapitaldecke in den Unternehmen. Der skandinavische Raum etwa hat eine hohe Steuerlast und gleichzeitig eine hohe Eigenkapitalquote.
Der banale Zusammenhang ist statistisch nicht feststellbar. Die Frage ist, was kann die Politik zur Stärkung des Eigenkapitals beitragen. Eine der blödesten Maßnahmen war unter Grasser die Begünstigung für nicht entnommenen Gewinn. Das konnten nämlich nur jene in Anspruch nehmen, die nicht vom eigenen Betrieb leben und ihn als Sparkasse betrieben haben. Die meisten hatten nichts von der Maßnahme und bei den wenigen, die die Begünstigung in Anspruch genommen haben, wurden hohe Steuerersparnisse ausgelöst. Da ist viel vernünftiger, was jetzt beschlossen wurde, nämlich der Freibetrag von 13 Prozent. Damit ergibt sich eine direkte steuerliche Entlastung.
(+) plus: Aber der wirklich große Wurf ist die Steuerreform nicht …
Matznetter: Das war auch nicht angesagt, es geht jetzt darum, sofort Kaufkraft zu stärken, sofort Investitionen zu fördern. Und der Vergleich macht sicher. Sieben Jahre lang war überhaupt nichts und jetzt haben wir 2,2 Milliarden Entlastung für alle, die Steuer zahlen. Wir haben 500 Millionen für die Familien. Wir haben für die Selbstständigen diesen Freibetrag und wir haben endlich wieder die Investitionsbegünstigung. Wenn ein Unternehmer in sein Unternehmen investiert, gehört das belohnt. Das Dümmste ist, diese Begünstigung zu streichen. Genau das hat man getan. Als Chefverhandler habe ich in diesem Punkt die degressive Abschreibung leider nur mit 25 Prozent erreicht. Ich hätte mir 40 Prozent gewünscht, aber Molterer und Pröll wollten über den deutschen Wert nicht hinausgehen. Mein Motto war: Klotzen, nicht kleckern!
(+) plus: Sie haben ja ein paar radikale Dinge gefordert: einen 10-Milliarden-Hilfstopf für die Wirtschaft, eine Art Marshallplan?
Matznetter: Ja, die Industriellenvereinigung hat das schon auf 15 Milliarden aufgedoppelt. Es war völlig klar, dass wir mit dem Bankenpaket nicht auskommen. Für die Kleinen haben wir die AWS-Haftungen, das ist auf Schiene, bei den Industriebetrieben brauchen wir etwas. Direktbehaftungen sind ein guter Weg.
Die Gefahr besteht, dass Kernindustriebetriebe endgültig verloren gehen, obwohl sie über Jahre Gewinne gemacht haben, gesund sind, aber aus einem plötzlichen schockartigen Einfrieren der Auftragseingänge vom Markt verschwinden würden. Diese Betriebe brauchen Unterstützung, weil sie, wenn die Konjunktur wieder anspringt, gute Betriebe sind, Arbeitsplätze schaffen und Kern der industriellen Struktur des Landes sind.
Dabei geht es nicht um eine dauerhafte Verstaatlichung, sondern darum, sie nach der Krise in private Hände überzuführen. Die SPÖ hat das schon lange in ihrem Programm, nämlich die Wiederherstellung der Gesellschaft für Industriebeteiligungen. Die gab es von Mitte der 80er-Jahre bis Anfang des Jahrzehnts, sie hat den Steuerzahler nie einen Euro gekostet, im Gegenteil war es ein Gewinn für den Steuerzahler, für die Arbeitsplätze und für die Entwicklung der industriellen Struktur. Warum sollte man dieses Instrument nicht wiederbeleben, nur weil einige Ideologen zu viel Staat befürchten?
Zur Person
Dr. Christoph Matznetter war in der Regierung Gusenbauer Staatssekretär im Finanzministerium, jetzt ist er Mitglied des Nationalrates, Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes und Vizepräsident der Wirtschaftskammer.