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In den Raum gebohrt

Die Eroberung des virtuellen Raums durch die Wirtschaft, durch soziale Netzwerke und die Konsumgesellschaft hinterlässt Fragezeichen. So manch neuer Weg ist für den Menschen nicht mehr begreifbar, IT-Forscher und Medienkünstler versuchen nun, den Missing Link in die reale Welt wieder herzustellen. Der in Dublin schaffende Jonah Brucker-Cohen etwa hinterfragt anhand von Medienprojekten die Wahrnehmungen von Netzwerken und Infrastruktur. Seine Werkstoffe sind die Alltagsgegenstände der IKT-Netze: Router, E-Mails, Web-Applikationen und Datenleitungen. Brucker-Cohen dreht dabei den Spieß der kaum sichtbaren Automatisierung der Technologie um und zwingt die Datenleitungen und IT-Services in ein unübersehbares Gewand - wie etwa eine Schlagbohrmaschine. In der Installation »!Alerting Infrastructure!« sind die Hitcounter einer Website physisch an der Zerstörung eines realen Gebäudes beteiligt. Bei jedem aufgezeichneten Hit auf der Projektwebsite bohrt die Maschine in die Betonhülle des Gebäudes rund um die Installation. Die Idee: Myriaden erzielter Hits, Clicks und Visits können der Struktur des virtuellen Raums nichts anhaben. Die destruktive Verbindung mit der Bohrmaschine stellt dagegen wieder die natürliche Abnutzung her - die ausjudizierte Gerechtigkeit für Infrastruktur jeder Art. Die Prozesse der IT-Welt sollen wieder fühlbar gemacht werden.

Der Spammer. Der Datenwege im E-Mail-Verkehr hat sich Clemens Torggler, Schüler der Fachhochschule Salzburg im Lehrgang MultiMediaArt, angenommen: Das Experiment »Spamologie« untersucht das Phänomen Spamming. Faszinierend sei der Technologiekrieg gegen die Spammer, der sich aber vor den Toren der Mailaccounts der User abspielt, meint Torggler. »Es scheint beinahe so, als ob der Benutzer durch das Delegieren jener Aufgabe der Vor­auswahl seiner eingehenden Nachrichten an ein Programm des ganzen Genusses dieser phänomenalen Entwicklung beraubt wird.« In seiner Arbeit kommt eine Text-to-Speech-Software zum Einsatz, die Parameter von Texten, die durch eine Spam­erken­nungssoftware geprüft wurden, übernimmt. Dabei wird der Grad der Spamwahrscheinlichkeit einzelner Textabschnitte in die Sprachausgabe einbezogen. Die Spamerkennung wird hörbar gemacht: Durch das Verzerren der Sprachlage wird dem Nutzer auf emotionale Weise nicht nur der Inhalt der erhaltenen Nachricht, sondern auch deren Spamfaktor mitgeteilt. »Der emotionale Sprachausdruck erhöht die Aufmerksamkeit des Rezipienten«, sieht er dies auch als praktischen Vorteil in Anwendungen wie etwa einer Evakuierungsnachricht durch ein automatisches Warnsystem.

The Messenger. Der Medienkünstler und »Prix Ars Electronica 2006«-Preisträger Paul DeMarinis hat Anleihe an frühen Ideen zur Telegrafie genommen. Damals wurden etwa 26 Dienstboten als Ausgabegerät seines Telegrafen erdacht, die nach Stimulation durch einen elektrischen Schock jeweils einen Buchstaben der übertragenen Botschaft ausrufen sollten - die sich so dem Zuhörer nach und nach erschließen würde. Heute will DeMarinis E-Mail-Nachrichten mit skurrilen Ausgabegeräten sinnlich erfahrbar machen. So lassen 26 in einem Oval angeordnete Waschschüsseln über eingebaute Lautsprecher die Buchstaben der einlangenden Mail vernehmen. Oder: Ein aus 26 Skeletten bestehendes »corps de ballet« vermittelt die eingegangene Nachricht. Jedes Skelett trägt einen kleinen Poncho, auf dem jeweils ein Buchstabe prangt. Die einzelnen Buchstaben der Nachricht aktivieren das entsprechende Skelett - der Tanz der Truppe gibt die Nachricht wieder.

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