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Weniger Emissionen, mehr Industrie: Geht das?

''Man kann nicht von einem Schwimmer verlangen, dass er Bestzeiten schwimmt, aber ihm gleichzeitig einen Mühlstein um den Hals hängen'', kritisiert Gilbert Rukschcio die Politik der europäischen Kommission.Brüssel, Ende Juli: Die Kommission beschließt, die Menge an CO2-Zertifikaten temporär zu reduzieren.

Zwischen den Zeilen bedeutet dies jedoch: Nichts ist so fix wie ein Provisorium. Anfang Oktober: Die Kommission will Europa re-industrialisieren. 20 % des BIP soll die Industrie bis 2020 beitragen. 

Von Gilbert Rukschcio

 

 

 

 

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat es schonungslos offengelegt: Europa ist entweder größtenteils bereits industriefreie Zone oder die Industrie ist nicht wettbewerbsfähig. Nicht innerhalb Europas und schon gar nicht mit dem Rest der Welt. Ausnahmen bestätigen die Regel und finden sich »glücklicherweise« in großer Zahl in Österreich. Das von Industriekommissar Tajani ausgerufene Ziel, binnen acht Monaten den Beitrag der Industrie am BIP um 8 % zu steigern, ist daher eine Herkulesaufgabe. Und der war ja bekanntlich Grieche.
Erschwerend kommt hinzu: Gleichzeitig will die Kommission dem Emissionshandel seine marktbasierte Eigenschaft rauben und kurzerhand die Anzahl der verfügbaren Zertifikate reduzieren. Die Beschwichtigung, dass es sich nur um eine Verschiebung auf das Ende der Handelsperiode handelt, ist ein Ablenkungsmanöver. Tatsächlich kann der angestrebte Effekt, den Preis für die Zertifikate dadurch nach oben zu schrauben, nur dann nachhaltig sein, wenn auch die Reduktion der Zertifikate nachhaltig – sprich: dauerhaft – ist.
Man möchte meinen: Irgendwie geht das nicht zusammen. Denn man kann doch nicht von einem Schwimmer verlangen, dass er Bestzeiten schwimmt, aber ihm gleichzeitig einen Mühlstein um den Hals hängen.

Die Luft wird nicht dreckiger, sondern dünner
Die Gefahr liegt genau hier: Unrealistische Ziele verursachen einen irreversiblen Kahlschlag ganzer Branchen. Natürlich soll der Großteil der Wachstumszahlen aus »grünen Industrien« kommen. Natürlich kann man seine ganze Hoffnung zum Beispiel in Elektroautos legen. Doch dass hier Wunsch und Wirklichkeit weiter auseinander liegen als Nord- und Südpol, wird gerne ignoriert. Anderes Beispiel Solarbranche: Hier regiert schon längst nicht mehr Europa, sondern China und seine Global Players.
Das Problem dabei ist, dass diese Luftschlösser auf Kosten anderer Branchen gebaut werden. Die Ankündigung, dass in Zukunft nicht mit der vereinbarten Zertifikatsmenge gerechnet werden kann, bedeutet für energieintensive Klein- und Mittelbetriebe mehr als nur »Investitionsunsicherheit«.

Gefragt: Keine Politik der Widersprüche
Aus diesem Grund gibt es auch mahnende Worte von Politikern, dass das 20%-Industrieziel dem 20%-Klimaziel gleichgestellt sein muss. Denn eines ist klar: eine Divide-et-impera-Strategie, die Industriebranchen gegeneinander ausspielt, schadet am Ende am meisten der Kommission und ihren ambitionierten Zielen.

 

 

Zum Autor: Gilbert Rukschcio studierte Politikwissenschaft in Wien und Aix-en-Provence. Seine berufliche Laufbahn startete er 2005 im Europäischen Parlament. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter von peritia communications und als Politikberater mit Tätigkeitsschwerpunkt in Brüssel  für verschiedene österreichische und internationale Unternehmen und Verbände tätig. In seiner Kolumne »Nachricht aus Brüssel« versorgt er die LeserInnen der Report-Fachmedien mit Hintergrundinfos zu europäischen Fragen.

 

 

Last modified onDonnerstag, 25 Oktober 2012 13:36
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