Weit vorn
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Von wegen, morgen ist Digitalisierung: Ich bin der Zukunft schon längst einen Schritt voraus.
Wenn man ein so beinharter Early Adopter ist wie ich, blickt man mit milder Herablassung auf all das, was mit gletscherartiger Verspätung irgendwann in den Mainstream tröpfelt. Es ist ein Paradoxon, dieses Leben als Avantgarde: Mit dem Kopf ist man schon weit oben und weit vorn in der Zukunft, mit den Füßen steckt man irgendwo unten und weit, weit hinten im technischen Ursuppenschlamm der nachhinkenden Realität fest – klar, dass man da in Schieflage gerät. Ja, ich kann guten Gewissens sagen: Ich war schon ein Hipster, bevor es cool war.
Social Media? Pfff, wie spät ist es auf Ihrer Uhr, bitte – 2003? Diesen altmodischen Kram benutze ich nicht mehr, seit Geocities und Myspace damals von der Plebs überrannt wurden – ich mein, für mich war das schon vor Jahren absehbar, dass die unoriginellen Nachahmer Facebook und Twitter irgendwann zu morastigen Schlammlöchern für nur unter Alkoholschutz ertragbares Stammtischgegröle mutieren würden! Ohne mich – da warte ich lieber noch ein bisschen auf die quantenverschränkten VR-HD-Chatrooms, die dieser Innsbrucker Düsentrieb kürzlich angesprochen hat – wenn schon, dann gleich richtig!
Internet of Things? Also bitte, einen älteren Hadern gibt es kaum – ich hab meinem Kühlschrank, meiner Waschmaschine, meiner Heizung, meinem Auto, meinen Fitnessgeräten, meiner Klobrille und überhaupt meinem seit fünf Jahren per UNIX-Fork-Eigenbauprotokoll vernetzten gesamten Haushalt per beherztem Elektromagnetschlag das Spam-Mail-Verschicken und die DDoS-Attacken inzwischen schon längst wieder ausgetrieben! Da muss man nicht weit vorausschauen, um zu bemerken, dass das Problem des übergroßen Heuhaufens am einfachsten mit einem Kanister Benzin und einem Feuerzeug zu lösen ist! Ich sag’s Ihnen schon jetzt: Die radikale Re-Simplifizierung dieses bei euch Ahnungslosen erst jetzt gepflanzten Wildwuchses ist so offensichtlich im Anrollen, dass sie schon fast wieder uncool ist! Sie sehen Nanobots? Wie retro – ich sehe Faustkeile!
Und Industrie 4.0? Bittschön, ich vertrete seit Jahren mit Leidenschaft einen weitaus visionäreren Ansatz, in dem sich die autonomen künstlich intelligenten Industrie-Konzern-Software-Cluster schon im Vorhinein drauf einigen, was sie alles aus Kundenmangel NICHT planen, bestellen, produzieren, just-in-time ausliefern, assemblieren, verschicken, in Regale stapeln und dann materialgetrennt recyceln – DAS spart erst Geld! Und mal ehrlich: Bis die lahme breite Masse überhaupt bei Industrie 3.9 angelangt ist, hab ich mir per 3D-Drucker schon einen noch größeren 3D-Drucker ausgedruckt, mit dem ich mir dann einen noch größeren 3D-Drucker und im Anschluss die Recycling-Anlage zur Verwertung der vorigen 3D-Drucker ausgedruckt habe – da bleibt von der Industrie 4.0 nur das Punkt Null über, prophezeie ich Ihnen!
Ja, es ist schon auch ein schweres Los, dem Rest der Welt immer so weit voraus zu sein. Denn im Vertrauen gesagt: Da vorne schaut’s gar nicht gut aus.
Ich warte dann dort auf Sie.