„Vergessen Sie Patek und Rolex“
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Uhrenexperte Karl Heinz Nuber über Geheimtipps, Paul Newman und die Entschleunigung der Zeit.
(+) plus: Welche Uhren bzw. Marken sind nicht nur wertbeständig, sondern auch eine gute Investition?
Karl Heinz Nuber: Unter dem Gesichtspunkt der Werterhaltung respektive der Wertvermehrung gibt es leider nur zwei Marken: Patek Philippe und Rolex. Es vergeht kein Monat, in dem nicht ein Weltrekordpreis erzielt wird. Wer hinter den Verkäufen steht, lässt sich nur vermuten – wahrscheinlich Patek und Rolex selbst. So etwas wird in den Unternehmen unter Markenpflege verbucht. Fazit: Vergessen Sie Patek und Rolex, diese werden von allen gekauft und sind überbezahlt.
(+) plus: Eine Uhr macht noch keine Sammlung. Wie könnte ein »Uhrenportfolio« aussehen?
Nuber: Die größte Herausforderung liegt darin, die eingefahrene »Zauberformel Patek Philippe und Rolex« zu knacken. Strukturieren Sie Ihre Sammlung nach sogenannten »Datoras«, Datum- und Vollkalender-Uhren mit Originalkalibern – diese Uhrwerke werden heute nicht mehr gebaut. Die Marke Breitling, vor allem Vintage-Uhren aus den späten 40er- und 50er-Jahren, ist zum Beispiel völlig unterbewertet. Besonders beim Breitling-Modell Datora-Datocompax (Chronograf mit Vollkalender), Kaliber Valjoux 88 mit Mondphase, ist der Markt komplett leer, trotz Schnäppchenpreisen von nur 2.500 bis 8.000 Euro. Die gleichen Rolex-Modelle kosten bis 480.000 Euro, von Breitling waren in den letzten zehn Jahren nur ganze drei Stück am gesamten Weltmarkt. Geld bewirkt da gar nichts, es ist reine Glückssache, überhaupt eine zu finden. Auch von der Heuer Dato12 mit Valjoux 88 gibt es nur drei oder vier Stück am Markt, Minerva, Baume & Mercier, Tourneau und andere Marken sind ebenfalls kaum zu finden. Die Breguet Dato-Compax wandelt bereits auf Rolex-Niveau und kostet mittlerweile zwischen 70.000 und 200.000 Euro. Ein großer Geheimtipp ist Bovet, sie wird bald der Breguet im Preis folgen.
All diese Uhren waren in den späten 1940er- und 1950er-Jahren das Nonplusultra der Uhrmacherkunst und wurden von über 50 Marken baugleich verkauft. Selbst Patek benutzte das Basiskaliber Valjoux 72C/88 für seine berühmten Perpetual Calendar, die heute 500.000 bis 2 Millionen Euro kosten. Für den Preis einer einzigen Rolex kann man den gesamten Weltmarkt an völlig identischen Uhren sowohl mit Valjoux 88 als auch mit Valjoux 72C leerkaufen. Besonders beachten sollte man die »Oyster«-Modelle mit verschraubtem Boden, die extrem selten sind. Von Breitling habe ich in 20 Jahren nur zwei mit Mondphase und zwei ohne gesehen. Datoras sind ein noch recht unbeachtetes Sammlergebiet, das Breitling-Spezialist Michael März entdeckt hat. Ich arbeite mit ihm an zwei Büchern zu diesem Thema.
(+) plus: Wie wichtig ist der Erhaltungszustand – besser eine ungetragene oder restaurierte Uhr als eine mit Geschichte?
Nuber: Der Erhaltungszustand der Armbanduhr ist das A und O. Ungetragene Uhren erzielen bei den Auktionen die besten Resultate. Wer die Uhr getragen hat, interessiert niemanden – eine Ausnahme sind bekannte Persönlichkeiten. Zum Beispiel wurde eine Rolex von Konrad Adenauer bei Sotheby´s in Genf für 170.500 Schweizer Franken versteigert. Der Schätzpreis dieser Uhr lag zwischen 60.000 und 80.000 Franken. Ein Klassiker ist auch die Rolex Ref. 6239, Paul Newman Cosmograph, Daytona von 1967, die in Stahlausführung bei Antiquorum Genf für 70.900 Schweizer Franken über den Tisch ging. Die Uhr ist im Film »Winning« von 1969 interessanterweise kaum je am Handgelenk von Paul Newman zu erkennen. Trotzdem wurde die Rolex Daytona dank dieses Films zum Kultobjekt. Er soll diese Uhr bis zu seinem Tode 2008 getragen haben.
(+) plus: Wie kann man sich vor Fälschungen schützen?
Nuber: Im Falle einer Unsicherheit sucht man den Händler seines Vertrauens auf. Bei Patek oder Rolex kann man sich auch einen Stammbuchauszug kommen lassen, das geht ganz unkompliziert. Ich habe vor Jahren eine Rolex Daytona in Gold mit Goldarmband auf Rhodos bei einem autorisierten Rolex-Händler gesehen. In meiner Database hatte ich einen italienischen Geschäftsmann, der genau diese Uhr suchte und bereit war, jeden Preis zu bezahlen. Auf Rhodos haben bei mir sofort die Glocken geläutet. Nach Durchgabe der Gehäuse- und Werknummer erhielt ich per Telefon grünes Licht von Rolex, dass es sich hierbei um ein Original handelt.
(+) plus: Wie lässt sich im digitalen Zeitalter die anhaltende Faszination für mechanische Uhren erklären?
Nuber: Es ist die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, nach Individualität. Bei den mechanischen Uhren aus der aktuellen Produktion handelt es sich um rein industrialisierte Produkte, die in hoher Auflage produziert werden. Das Tragen einer Vintage-Uhr aus den 50er-Jahren ist hingegen ein einzigartiges und klares Statement, das Bestandteil des unverwechselbaren Stils ist. Für mich persönlich ist es die Sehnsucht nach »tiempo a lento«, der Entschleunigung der Zeit.