Angst vor Vernunft
- Written by Redaktion_Report
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Das Platzen der US-Immobilienblase hat die Krise ausgelöst, damit endet aber auch schon die Einigkeit unter den Experten. Wie es überhaupt zur Blase kommen konnte, darüber streiten sich die Kapazunder, und ein Erklärungsmodell nach dem anderen löst sich in nichts auf.
Die Politik sei schuld, meinen Konservative wie Daniel McCarthy, denn Washington habe mit seinem 2004 beschlossenen Gesetz versucht, den amerikanischen Traum vom Eigenheim allen zugänglich zu machen. Banken seien so gezwungen worden, Kredite an schlechte Schuldner zu vergeben.
Aber diese Theorie hält nicht, wie die aktuellen vom Wohnbau-ministerium veröffentlichten Zahlen belegen. Elf Prozent aller Einfamilienhausbesitzer waren mit ihren Kreditraten im Jahr 2010 zumindest 30 Tage in Verzug. Spitzenreiter der Statistik: die Zweitwohnsitze. Jeder fünfte dafür in Anspruch genommene Kredit war überfällig, dahinter, mit 18 Prozent, die Besitzer von Wohnhäusern mit bis zu vier Einheiten, in denen eine vom Besitzer selbst bewohnt wurde. Zweitwohnsitze und kleine Wohnanlagen sind nicht Sache der Unterprivilegierten, also vermag der konservative Erklärungsansatz, dass erst die Einmischung der Politik den an sich funktionierenden Markt durcheinander gebracht hätte, nicht zu überzeugen.
Robert Shiller, Professor an der renommierten Yale Universität, erkennt die Ursache für die Blase in der Irrationalität der Konsumenten. Die Immobilienpreise hätten sich zwischen 1997 und 2006 um 188 Prozent erhöht und die Leute glauben lassen, es werde ewig so weitergehen, obwohl sie es besser hätten wissen müssen. In dem Buch »Irrational Exuberance« (irrationaler Überschwang) hat er seine Thesen zusammengefasst. Shiller geht davon aus, dass es von Vernunft bestimmte Märkte ebenso selten gibt wie vernunftbestimmte Menschen. »Leute glauben, was sie glauben wollen«, erklärt Shiller, und die Vorstellung, dass der Wert des eigenen Hauses nur eine Richtung kennt, nämlich die nach oben, habe die ganze Misere erste möglich gemacht.
Doch Shillers Theorie hat eine entscheidende Schwäche, auf die das Georgetown-Professoren-Duo Adam Levitin und Susan Wachter hinweisen: Irgendwer hat ja die unbestreitbare Irrationalität der Käufer finanzieren, sprich: die Unvernunft zum Geschäftsmodell machen, müssen.
Und so irrational haben die Häuslbauer nicht reagiert, denn der Glaube an den steigenden Marktwert allein war es nicht. Levitin und Wachter arbeiten in ihrem Papier mit dem ambitionierten Titel »Die Erklärung für die Immobilienblase« eines heraus: Seit 2004 ist die Hausfinanzierung billiger und leichter geworden, weil die Verbriefung von Bankkrediten in handelbare Wertpapiere in eine neue Phase eingetreten ist. Während immer mehr Papiere aufgelegt wurden und das Kreditrisiko deutlich gestiegen ist, reduzierte sich der Aufschlag. Mehr Risiko um weniger Geld war die Folge. Damit ist der Häuslbauer aus dem Schneider, er hat vollkommen rational agiert, wenn er ein immer billiger werdendes Angebot angenommen hat. Bleibt die Frage, warum die Institutionellen, also jene, die eigentlich am meisten Wissen gesammelt haben, auf immer geringere Margen bei immer weiter steigender Ausfallswahrscheinlichkeit gesetzt haben. Levitin und Wachter erklären das folgendermaßen: »Die geringeren Aufschläge konnten nur durch höhere Volumina ausgeglichen werden.« Was zwangsläufig zur Beschleunigung des Verfalls geführt hat.
90 Prozent aller Immobilienpapiere trugen ein AAA-Siegel der Rating-Agenturen. »Die Rating-Agenturen waren abhängig vom Umsatz, den sie mit der Bewertung von strukturierten Produkten machten. 2007 sorgte dieses Segment für 40 Prozent des Umsatzes.«
Außerdem folgten die Agenturen dem Ansatz, dass Immobilienpreise tatsächlich den fundamentalen Wert der jeweiligen Liegenschaft widerspiegeln.
Irgendwie hat also jeder für sich rational und konsequent gehandelt, und das ist die eigentlich schlechte Nachricht. Wäre es nämlich Irrationalität gewesen, die den Supergau verursacht hat, könnte man hoffen, dass der kollektive Wahnsinn nicht wiederkehrt. Wenn aber alle Beteiligten vernünftig und logisch handeln und es dabei zur Katastrophe kommt, muss man sich vor der Vernunft zu fürchten beginnen.