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Stolpernd in die Zukunft

Von Rainer Sigl

Die Welt ist, was der Fall ist; das Web ist, was von Google erfasst wird. Dass die beliebteste Suchmaschine der Welt unverzichtbar ist, um den sich sekündlich vergrößernden Heuhaufen der globalen Informationsverkettung zumindest halbwegs nutzen zu können, ist eine Tatsache. Und auch wenn man Googles Beteuerung in der Unternehmensphilosophie Glauben schenken will, dass man »Geld machen kann, ohne böse zu sein«, ist das relative Informationsmonopol des Unternehmens nicht unbedingt vertrauenerweckend. Zu bereitwillig hatte sich Google etwa der totalitären chinesischen Regierung als Geschäftspartner bei der Zensur inopportuner Webseiten angebiedert - eine Entscheidung, die übrigens von Google-Gründer Sergey Brin vor kurzem mit dem Hinweis auf ihre Unrentabilität zerknirscht als Fehler bezeichnet wurde. Auch »Google-Bombing« ist ein Problem: Das gezielte Ausnutzen der Google-internen Suchroutinen, um gewisse Seiten in den Ergebnislisten nach oben zu pushen, führte etwa dazu, dass bis vor kurzem die Google-Suche nach den Worten »völlige Inkompetenz« pikanterweise als Erstes auf die berühmt-berüchtigte Homepage des früheren Finanzministers Karl-Heinz Grasser führte. Nach umfangreichen Reparaturen am Suchalgorithmus im Januar 2007 sollte diese Form der Suchmaschinenmanipulation nun zumindest erschwert werden.

Soziales suchen. Doch es gibt ein Web abseits von Google. Auch wenn das abgenudelte Schlagwort »Web 2.0« inzwischen schon allergische Reaktionen hervorrufen mag, die Strukturen des sozialen Web sind auch nach dem Weiterwandern des PR-Zirkus zu »Second Life« und Konsorten nach wie vor die bedeutendste Veränderungsbewegung. Und neben den großen Namen »Flickr«, »YouTube« und »MySpace« beginnt nun auch eine stille Attacke auf die Suchgewohnheiten der Webbenutzer. »StumbleUpon«, ursprünglich eine Erweiterung für den Open-Source-Browser Firefox, schickt sich an, heimlich, still und leise den Monolithen Google herauszufordern. Das Tool, das inzwischen für fast alle Browser verfügbar ist, erlaubt dem User, aus einer umfangreichen Lis­te bevorzugte Themen zu wählen; von Obskurem wie »kognitive Psychologie« und »Paganismus« über Alltäglicheres wie »Gärtnern« oder »Fotografie« bis hin zu Spezialthemen wie »Peer2Peer« oder »Amateur Radio«. Ein Klick auf den im Browser eingebetteten »Stumble«(Stolpern)-Button führt dann zu einer Seite zu den gewählten Themen, die von einem anderen User der fast zwei Millionen zählenden Community empfohlen wurde. Seiten, die einem gefallen, können mit einem Klick positiv bewertet und auch beschlagwortet werden; aus den gewählten Themen, den protokollierten Bewertungen und Profilen von Stumbler-Usern mit ähnlichen Vorlieben berechnet ein Algorithmus die Seiten, die dem Nutzer am ehesten zusagen werden; das System lernt durch die Benutzung also laufend dazu und wird von Hunderttausenden Usern täglich mit neuen Schlagworten, Links und Bewertungen erweitert.

Intelligenter Schwarm. Was auf den ersten Blick nur wie eine Variante sozialer Bookmarkingsoftware à la »Digg« oder »del.icio.us« aussieht, ist tatsächlich ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Suchtechnologie. Waren Suchmaschinenpioniere wie »Yahoo« noch von angestellten Editoren zusammengestellte Webverzeichnisse, überließ Google die Kartografierung des Web komplexen Algorithmen, die Relevantes ausfiltern sollten. Technologien wie StumbleUpon hingegen profitieren von der beständig wachsenden schieren Masse ihrer Benutzer, die mit ihrer gemeinsamen Erschließung des Web durch Schlagworte und Bewertungen als »Schwarmintelligenz« Suchresultate liefern, die Googles Computerhirn bes­tenfalls an 527. Stelle gereiht hätte. Sowohl das unterhaltsame Zappen durch immer wieder überraschende Webtipps als auch gezielte Suchen profitieren von der Einbindung der immer mündiger werdenden Nutzer in die Kartografierung des Webs. Denn wenn der Heuhaufen zu groß wird, sucht man eben besser gemeinsam.

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