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Gegenverkehr

\"DasBislang floss Energie überwiegend »one way« – von zentralen Produzenten zu den Verbrauchern. Heute ist das Einbinden zahlreicher kleiner Energielieferanten in das Stromnetz gefordert. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Von Karin Legat

Eine Bekannte hat unlängst gemeint, den Netzanbieter ginge es nichts an, wann und wieviel Strom sie verbraucht – das sei ihre Privatsache. Doch sie irrt: Das Energienetz war noch nie Privatsache. Es verlangt nach Balance und Ausgeglichenheit von Erzeugung und Verbrauch und ist damit auf allen Ebenen ein öffentliches Thema. Bei zentraler Energieerzeugung ist das System einfach aufrechtzuerhalten. Turbinen-Generator-Systeme wirken durch ihre Schwungmassen stabilisierend auf die Netzsituation. Bei erneuerbaren Energien ist dies meist nicht der Fall. »Experten haben deshalb schon vorgeschlagen, die Generatoren stillgelegter Atomkraftwerke als Schwungmassenmotoren zur Netzstabilisierung weiter zu verwenden«, erwähnt Barbara Schmidt, Generalsekretärin Oesterreichs Energie.

Spannungsregelung

»Energie wird heute auf Netzebenen eingespeist, die dafür nicht gedacht und entwickelt wurden«, erklärt Andreas Veigl, Projektmanager Energiewirtschaft und Energiepolitik bei der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT). Wieviel dezentrale und fluktuierende Energie das Netz verträgt, ist auch laut Michael Hübner, Themenmanager Smart Grids am BMVIT, von den lokalen Gegebenheiten wie Netz- und Verbrauchsstruktur sowie lokalem Energieaufkommen abhängig. »Mit Smart-Grids-Konzepten kann das Netz jedenfalls wesentlich mehr davon verkraften.« In  Demonstrationsnetzen im Lungau und im Großen Walsertal konnte dabei gezeigt werden, dass doppelt so viel Leistung aus dezentralen Kraftwerken aufgenommen werden kann. Die monetären Einsparungen beliefen sich im Vergleich zum klassischen Leitungsausbau auf bis zu 70 %. Ohne diese smarten Konzepte sei die klassische Leitungsverstärkung auf jeden Fall auch im Verteil­netz ab einem gewissen Ausbaugrad an fluktuierenden erneuerbaren Energien erforderlich. »In den meisten Fällen wird sie vermutlich teurer kommen als die Smart-Grid-Konzepte.«

Spannungs-Bandbreiten

Durch die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energieträger wird das Stromnetz um neue Player erweitert, doch die Einhaltung von Spannungsbandgrenzen bleibt oberstes Ziel. Vor allem Photovoltaikanlagen und Windparks führen durch ihre Einspeisecharakteristik zu Spannungsschwankungen. In der Nieder- und Mittelspannung gilt laut E-Control ein Spannungsband von +/- 10 % der Nennspannung. Für Hoch- und Höchstspannung gibt es laut Vorstand Martin Graf keine genormten Grenzwerte. Die­se werden vertraglich vereinbart. »Abweichungen aus den in den Normen vorgegebenen bzw. vereinbarten Spannungsbandbreiten führen zu Einschränkungen bei der Funktion von Geräten und Anlagen, im Extremfall zu deren Zerstörung.« Vor dem Hintergrund dieser Schwankungen entwickelt das Energy Department des AIT Regelungsstrategien zur Integration der dezentralen Erzeuger in die bestehende Netzinfrastruktur bei Gewährleistung der hohen Versorgungsqualität und Netzstabilität (Smart LV Grid). Intensive Forschungsarbeit zum Thema Spannungsregelungskonzepte wird auch im Rahmen des Programms »Neue Energien 2020« betrieben.

Zählen ist die Voraussetzung

»Netzanbieter müssen wissen, wann und wo Energie verbraucht wird, um entsprechend Energie anzufordern und einzuspeisen. Früher war das Handling verhältnismäßig einfach«, hält Andreas Veigl fest. Lastprofile zeigen, wo und wann Energie benötigt wird. Für jeden Verbrauchstyp gibt es Lastprofile, zum Beispiel für Haushalte und Betriebe, letztere untergliedert nach Branchen. Temperaturvorhersagen spielen ebenfalls eine Rolle. Übereinandergelegt bilden diese Profile Energiefahrpläne, die die Netzbetreiber und Stromanbieter an Kraftwerke und an die Strombörse weiterleiten. Eingespeist und weiterverteilt wird zentral auf der Höchstspannungsebene. Die regionale Verteilung erfolgt über das Mittel- und Niederspannungsnetz. »Dementsprechend waren die Netze ausgelegt, die in den 1960ern und 1970ern gebaut wurden«, so Veigl. »Zählen ist eine Voraussetzung, um zeitnäher über Zustände im Netz Bescheid zu  wissen. Die Netzbetreiber müssen jeden Tag für den nächsten prognostizieren. Ohne Prognose wäre die Betriebsführung unmöglich. Echtzeitdaten verbessern die Berechnungen und ermöglichen die verstärkte Integration von Erneuerbaren Energien.«

Gleichzeitigkeit

Immer mehr Haushalte speisen ins Netz ein. Laut Zielvorgabe aus dem Ökostromgesetz 2012 wird sich die PV-Leistung verzwölffachen. Dadurch ergibt sich eine völlige Veränderung der Aufgaben der bisherigen Verteilnetze. Die Anschlusswerte für Haushalte sind für einen niedrigen Gleichzeitigkeitsfaktor ausgelegt. Das bedeutet, dass nie alle Haushalte gleichzeitig auf höchstem Level Strom beziehen, aber auch nicht einspeisen können. »Dafür ist das Netz zu schwach. Lösungsmöglichkeiten sind eine enorme Verstärkung der Netze oder die Integration von Smart Grids«, so Barbara Schmidt. Zudem müssen bestehende Anlagen wie etwa Kabel, Freileitungen und Transformatoren bestmöglich ausgenutzt werden, auch mithilfe von Steuerungs- und Regelungstechnik. »Elektrische Energie wird weiterhin über Kupfer, Aluminium und Eisen übertragen, neue Leitungen bleiben vorrangiges Thema. Das Prinzip der Energieübertragung und -verteilung ändert sich auch durch intelligente Netze nicht«, betont Graf. Michael Hübner sieht den Bedarf der Leitungsverstärkung in erster Linie auf Transportnetzebene. Veigl rechnet mit einer Kapazitätsverstärkung auf allen Verbrauchsebenen, wobei auf den unteren Netzebenen erst »smartness« gefragt ist und weniger der Neubau. »Der Nachteil von erneuerbaren Energien ist ihre Unsicherheit. Laufwasserkraftwerke produzieren ausgeglichen und permanent. Wind und PV erzeugen mit großen Leistungsspitzen. Darauf sind die elektrischen Netze nicht ausgelegt. Eine Alternative wären erzeugungsnahe Speicherelemente. Da gibt es aber in absehbarer Zukunft keine Lösung. Die Pumpspeicher befinden sich derzeit im Westen, die Windenergie im Osten – wir brauchen also eine Leitungsverbindung. Außer Pumpspeichern gibt es derzeit noch keine konkurrenzfähigen Speicher im großen Stil.«

>> Österreichs Stromnetz:

Die gesamte Trassenlänge des heimischen Stromnetzes umfasste per Ende 2010 234.606 km. Davon bildeten 1.371 km die Höchstspannungsebene mit 380 KV, 1.856 km die Höchstspannungsebene mit 220 KV. Über 6.540 km liefen 110-KV-Leitungen, 65.233 km bildeten die Mittelspannung (1 bis 110 KV) und 159.605 km die Niederspannung  (1 KV und darunter).

 

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