Gebautes Marktversagen
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Wenn Bürobauten nicht mehr für einen tatsächlichen Bedarf, sondern vorrangig spekulativ errichtet werden, geht das zulasten der architektonischen und städtebaulichen Qualität. Schuld daran sind nicht zuletzt internationale Pensionsfonds.
Von Reinhard Seiß
Kein Gebäudetyp steht so sehr für die jüngste Entwicklung Wiens wie der Bürobau: Nichts prägte das Stadtbild und die Silhouette im letzten Jahrzehnt mehr (Stichwort Millennium Tower), kein Typus verkörpert laut Stadtmarketing die Modernität Wiens besser (Stichwort Donau City), kaum eine andere Projektgattung erregte derart die Gemüter (Stichwort Wien Mitte). Gleichwohl sind viele Bürobauten ein wirtschaftlicher Misserfolg (Stichwort Florido Tower) und bieten in urbanistischer wie bauökologischer Hinsicht Beschämendes (Stichwort Vienna Twin Towers). Dabei ist der in Mode gekommene Bürogroßbau hiesiger Ausprägung an sich schon un-urban – so wie die meisten Großwohnanlagen der 1960er- und 70er-Jahre öde, weil monofunktional sind. Was bei Wohnbauten dank der Wohnbauförderung bisher noch zu keinen ernsthaften Verwertungsproblemen geführt hat, stellt bei Bürobauten zunehmend einen Grund für Leerstand dar. Denn ein städtisches Flair zählt zu den wichtigsten »weichen« Bewertungskriterien von Immobilien, und ein solches lässt sich allein durch hunderte Angestellte, die um neun Uhr in ein Gebäude strömen und es um 17 Uhr wieder verlassen, nicht erzeugen.
Schwer vermittelbar
Selbst in »Wiens zweiter City«, im Hochhausviertel auf der Donauplatte, ist es schwierig, Großstadtatmosphäre durch großvolumige Bürobauten zu generieren – obwohl dort wenn schon kein Miteinander, so doch zumindest ein Nebeneinander von Arbeiten und Wohnen besteht. Holprig gestaltet sich auch die Stadtentwicklung über der U3 in Erdberg, wo ein reiner Office District geplant und bereits mehrheitlich realisiert wurde: Im neuen Stadtteil TownTown werden im Endausbau 20 Bürogebäude 5.000 Beschäftigten Platz geben. Nachdem das von der Soravia Gruppe in Public Private Partnership mit den Wiener Stadtwerken entwickelte Projekt mangels Nachfrage jahrelang auf Eis gelegen war, sprang die Politik mit der »Vermittlung« von Mietern wie dem Wiener Krankenanstaltenverbund, der Landessanitätsdirektion und mehreren Magistratsabteilungen helfend ein. Der Office Tower von Baumschlager & Eberle wird von den Wiener Stadtwerken gleich selbst als neues Headquarter genutzt.
Rund 600.000 Quadratmeter Bürofläche sind in der Bundeshauptstadt unvermietet – darunter auch in so mancher »Ikone« des Bürobaubooms seit Mitte der 1990er-Jahre: Der vom Porr-Konzern im Jahr 2001 erbaute Florido Tower im 21. Bezirk, der die nötige Flächenwidmung als gemischt genutzter Turm mit Wohnungen, einem Hotel und anderen Funktionen erhalten hatte, fand in den ersten Jahren kaum Mieter – und gilt mit seinen 31 Büroetagen abseits des leistungsfähigen öffentlichen Verkehrs bis heute als schwach ausgelastet. Der Galaxy Tower im 2. Bezirk wiederum blieb nach seiner Sanierung im Jahr 2002 – in deren Zuge dem Investor aus Rentabilitätsgründen eine Aufstockung um sechs Stockwerke bewilligt wurde – zunächst komplett unvermietet und erfreut sich nach wie vor eher zurückhaltender Nachfrage am Wiener Immobilienmarkt. Blättert man die Immobilienseiten der Wiener Tageszeitungen durch, fallen größere Leerstände aber auch an sehr guten Standorten wie etwa im Millennium Tower von Gustav Peichl und Boris Podrecca oder in der Donau City, insbesondere in Hans Holleins Saturn Tower, auf.
Teufelskreis Leerstand
Zwar liegt die – kolportierte – Büroleerstandsrate in Wien mit 6,5 % noch unter dem europäischen Durchschnitt von etwa 10 % (Brancheninsider gehen indes von bis zu 15 % aus), signifikant hoch ist allerdings der Leerstand von rund 20 % unter den Wiener Bürobauten der letzten zehn, 15 Jahre. Als mahnendes Beispiel dient die Büro-Geisterstadt »Marximum« in Simmering: ein immens dicht verbautes Quartier, in dem zigtausende Quadratmeter Bürofläche in großmaßstäblichen Gebäuden seit zwei Jahren leerstehen – und in dessen steril gestaltetem öffentlichen Raum höchstens das Security-Personal zu sehen ist, das das Potemkin’sche Viertel bewacht.
Die Pensionsfonds kommen
Bleibt die Frage, warum Investoren trotz Leerstands nach wie vor auf mittelmäßige bis schlechte Bürogroßprojekte setzen. Die Antwort ist vor allem an den internationalen Finanzmärkten zu finden, insbesondere bei den Pensionsfonds. Die teilweise Privatisierung und Kommerzialisierung der bis in die 1990er-Jahre öffentlichen Rentensysteme in den meisten europäischen Staaten ließ binnen weniger Jahre hoch dotierte Fonds entstehen, die ihre Gelder langfristig anlegen mussten und müssen – zumal sie in den ersten Jahrzehnten überwiegend Einnahmen verbuchen und noch kaum Pensionsauszahlungen anstehen. Zudem setzen Investmentfonds in wirtschaftlich flauen Zeiten verstärkt eher auf sichere Immobilienrenditen als auf riskante Gewinne an der Börse. So beruhte die Errichtung zahlreicher Bürobauten, die neben Einkaufszentren als attraktivste Investitionsform gelten, schon bald nicht mehr auf dem konkreten Büroflächenbedarf von Unternehmen, sondern auf der Notwendigkeit, überschüssige Gelder zu veranlagen.
Vor allem deutsche Fonds fanden – nachdem der Markt in der Bundesrepublik nicht mehr genügend Objekte geboten hatte – Interesse an Wiener Immobilien und waren damit hauptverantwortlich für viele Bürogroßbauten, die ab dem Jahr 2000 in dieser Stadt entstanden. Einer Analyse der Immobilienexperten von CB Richard Ellis zufolge stieg der Anteil deutscher Fonds an den gesamten Immobilieninvestitionen in Österreich allein von 2000 auf 2001 von 14 % um mehr als das Doppelte auf 33 % an und erreichte in den Jahren 2002 und 2003 über 50 %. Dies zeigt nicht nur die Dominanz deutscher Fonds gegenüber Anlegern aus Drittländern, deren Anteil konstant bei 20 % lag, sondern auch, wie wenig die errichteten Bürobauten mit der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung Wiens zu tun hatten – und bis heute haben.
Gefahr der funktionalen Verödung
Den Marktforschern des Immobilien-Consulters ERES zufolge sind in Wien seit Mitte der 1990er-Jahre »als Konkurrenz zum klassischen Bürobezirk – dem 1. Bezirk – elf neue Stadtzentren entstanden beziehungsweise im Entstehen«. Im dadurch ausgelösten Mietpreiskampf konnte die Innenstadt ebenso wie andere traditionelle Bürodistrikte bald nur noch bedingt mithalten.
Dies ging und geht auf Kosten der Branchenvielfalt der dicht bebauten Gebiete sowie zulasten von Handel und Gastronomie im Umfeld – und bewirkte abseits der touristisch aktiven Zonen eine funktionale Verödung.
>> Zur Person:
Dr. Reinhard Seiß ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung