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Stiefkind der Konjunktur

\"C.Die österreichische Baustoffindustrie geht durch ein wirtschaftliches Wellental. Die Branche zählt zwar nicht zu den ganz großen Verlierern der Krise, nachhaltiger Aufschwung ist aber auch noch nicht in Sicht. Wie es in Zukunft weitergehen wird, hängt auch von der Politik ab.

Gastkommentar von Carl Hennrich, Geschäftsführer des Fachverbands der Stein- und keramischen Industrie.

 

Die wirtschaftlichen Perspektiven der Baustoffindustrie gleichen derzeit einem Wetterbericht. Nach einem sehr guten ersten Quartal mit vorzüglichen Witterungsbedingungen gab es zwar im April eine Delle, der schöne Mai hat uns umsatzmäßig aber wieder einigermaßen zufriedengestellt. Dabei vergessen wir nicht, dass wir nach einem zweistelligen Umsatzeinbruch von 11 Prozent im Jahr 2009 auch 2010 nicht aus dem Wellental herausgekommen sind. Als aktueller Befund steht fest, dass wir nicht zu den ganz großen Verlieren in der Wirtschaftskrise gehörten. Derzeit zählen wir aber zu den Stiefkindern der wirtschaftlichen Konjunktur. Wir haben die turbulenten Zeiten ganz gut überlebt, weil wir in den »Boom-Jahren« vor der Lehman-Pleite vor allem im Export gute Geschäfte gemacht haben. Eine namhafte Zahl von österreichischen Baustoffunternehmen hat zwischen Bratislava und Moskau intelligent investiert. In etlichen Regionen zählen wir zu den größten Investoren – ein Umstand, der sich langfristig bestimmt bezahlt machen wird.

Die Momentaufnahme fällt leider etwas nüchterner aus. Wir sind derzeit mit einer Zurückhaltung bei Investitionen konfrontiert. Vor allem der materialintensive Neubau schleppt sich dahin, dies gilt für Wohnungen, für Projekte von Gewerbe und Industrie genauso wie für Infrastrukturvorhaben aller Gebietskörperschaften. Die Wohnbauproduktion wird auch heuer wieder 20 Prozent unter dem Bedarf liegen und außerdem um rund 4 Prozent gegenüber 2010 nachlassen. Die Unternehmen der Sachgüterproduktion zögern stark mit ihren Erneuerungen. Bei Straße und Schiene wurde der weitere Ausbau im November 2010 zurückgenommen. Das ursprüngliche Programm wurde um 4,3 Mrd. Euro gekürzt. Es fällt mit 19,3 Mrd. Euro bis 2016 aber immer noch zufriedenstellend aus. Für die langfristige Entwicklung des Standortes Österreich erachten wir aber gut ausgebaute Schienenwege und leistungsfähige Straßen als genauso wichtig wie nachhaltige Lösungen bei Gesundheit, Pensionen und Pflege. Trotzdem muss die Devise lauten: Investieren statt weiter zu sozialisieren.

Rechnen wir für 2011 daher trotz des schwungvollen Beginns nicht wirklich mit einer kräftigen Erholung, erwarten wir uns doch im Jahr 2012 für den Baustoffsektor Zuwächse in der Größenordnung von 3 Prozent und mehr. Der anhaltende Bevölkerungszuwachs, die steigende Zahl der Haushalte, verbesserte verfügbare Einkommen, ein leichtes Nachlassen der hohen Sparquote, ein konstantes Wachstum des BIP in der Größenordnung von 2 Prozent und mehr sowie eine anhaltend gute internationale Konjunktur könnten zu besseren Ergebnissen für unsere hochbauorientierten Sparten führen. Für die weitere Entwicklung des Tiefbaues wird es wohl davon abhängen, wie sich neben ASFINAG und ÖBB die sonstigen Gebietskörperschaften verhalten. Derzeit ist offenbar noch Haushaltskonsolidierung angesagt, obwohl aufgrund der sprudelnden Steuerquellen die Ertragsanteile für Länder und Gemeinden wieder besser fließen.

Für die weitere Entwicklung der Stein- und keramischen Industrie ähnlich bedeutsam ist die Frage, welchen Weg die derzeit intensiv geführte Energiedebatte nimmt. Sie hat mit der deutschen Energiewende ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Unsere energieintensiven Unternehmen agieren an zwei Fronten: Einerseits müssen wir mit einer Verknappung und damit einer Preissteigerung des Energieangebotes umgehen lernen. Andererseits haben wir Anpassungsbedarf für die Technologie unserer Produkte wegen der wärmeschutztechnischen Anforderungen der EU bis zum Jahr 2020. Obwohl wir uns in einer kritischen Situation befinden, haben wir unseren Optimismus nicht verloren. Die EU-Institutionen haben nicht nur bei der Versorgung Europas mit mineralischen Rohstoffen den Ernst der Lage erkannt. Sie wissen, es geht beim Baustoffsektor um 200 Mrd. Euro Umsatz und um mehr als 2 Mio. Arbeitsplätze. Daher gehen wir davon aus, dass Europa auch weiterhin seine Baustoffindustrie hüten und pflegen wird und der alte Kontinent nicht zu einem reinen Baustoffmarkt verfällt. Das große Ziel, bis 2050 den Ausstieg aus der fossilen Energie und überhaupt aus der Raumheizung zu schaffen, kann wohl nur mit mineralischen Baustoffen erreicht werden. Nur sie garantieren solide Fundamente, sichere Werte und langfristige Stabilität. Jede Dematerialisierungsideologie wäre daher völlig fehl am Platz.

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