Der Lockdown ermöglichte einigen Menschen vorübergehende Entschleunigung. An eine dauerhafte Änderung der Lebensweise glaubt Führungskräfte-Coach Corinna Ladinig nicht. (+) plus: Der erste Lockdown führte durch den Stillstand einiger Branchen zu einer Entschleunigung, die viele zunächst auch genossen. Nun macht sich Unzufriedenheit breit. Was hat sich gegenüber dem Frühjahr geändert? Corinna Ladinig: Im Frühjahr war die Angst vorherrschend, weil über das Virus noch wenig bekannt war. Trotzdem überwog die Zuversicht auf eine baldige Besserung der Lage. Zwei oder drei Monate hält man schon durch. Das erhoffte Ende dieses Ausnahmezustands ist aber immer wieder in die Ferne gerückt, Medikamente gibt es noch keine, die Impfung ist erst wenigen zugänglich. Das ergibt eine unplanbare Situation. Menschen sind aber stark in Richtung Zukunft orientiert. Wir haben nie gelernt, mit Unsicherheit zu leben. Die Entschleunigung habe ich auch in meinem Umfeld wahrgenommen. Wenn man selbstständig ist, neigt man eher dazu, zu viel zu arbeiten. Einmal zwischendurch loszulassen, tut ganz gut. Jetzt schleicht sich bei vielen Existenzangst ein. Zu ausbleibenden Umsätzen kommt die Sorge, wie es mit der Wirtschaft insgesamt weitergeht. (+) plus: Zu Beginn der Krise sahen manche Menschen eine Chance, ihr Leben zu überdenken. Wird man weitermachen wie bisher, wenn die Pandemie überstanden ist? Ladinig: Ich bezweifle, dass sich viele Menschen ernsthaft Gedanken gemacht haben, ihr Leben zu ändern. Wirkliche Prozesse sind nicht in Gang gekommen, zumindest nicht bei der breiten Masse. Schön wäre es, wenn sich Werte zum Positiven wandeln würden, aber nur wenige Leute haben Ideen, wie das funktionieren könnte. Ich arbeite viel mit Menschen in Richtung Persönlichkeitsentwicklung. Meiner Erfahrung nach braucht es eine Unmöglichkeit, in alte Muster zurückzufallen, oder eine starke Motivation, um etwas zu verändern. Das erfordert viel Willensanstrengung. (+) plus: Sehnt sich der Mensch nach Entschleunigung, je schnelllebiger das Leben ist? Ladinig: Dieser Wunsch nach Entschleunigung war schon vor dem Lockdown präsent – aber es blieb eben ein Wunsch. Tatsächlich auszusteigen, schaffen viele erst durch ein Burnout, wenn Körper und Geist dem Druck nicht mehr standhalten. Die ältere Generation ist noch stark leistungsorientiert. Die Jungen haben schon einen anderen Blick auf das Thema Work-Life-Balance und achten auf mehr Ausgewogenheit. (+) plus: Kann zu viel Freizeit auch überfordern? Ladinig: Sicher, es gibt ja kein Muss. Wenn man nur zu Hause ist, befindet man sich in einem ganz anderen Kontext. Die Tagesstruktur fehlt. Viele Menschen brauchen vorgegebene Strukturen, weil sie selbst nicht strukturieren können. Manche Führungskräfte unterstützen dabei, indem sie in der Früh immer ein kurzes Meeting ansetzen. (+) plus: Was wird von Corona bleiben? Ladinig: Vernünftige Konzepte für Homeoffice werden sich etablieren. Im Trainingsbereich haben sich Blended-Learning-Konzepte gut bewährt – man wird sich überlegen, welche Themen sich besser für Online- oder Präsenztraining eignen. Ich glaube auch, dass sich einige Meetings und Beratungen vermehrt in den Online-Bereich verlagern werden. Das spart Reisezeit und Kosten. Die Krise bewirkte einen starken Ausbau von digitalen Fähigkeiten. Das sehen viele zu Recht als Chance und es eröffnet die Möglichkeit für neue Entwicklungen. Einen leichten psychischen »Depscher« werden wir wohl alle davontragen. Schließlich haben wir noch nie etwas Ähnliches erlebt, das macht schon was mit uns. Verschwörungstheoretiker gab es früher auch schon, solche Spinner waren aber immer eine Minderheit. Was mich entsetzt, sind diese Anfeindungen, in denen nur das Gegensätzliche hervorgehoben wird. Ich hoffe, wir finden wieder zurück zu einer lösungsorientierten Argumentation.