Das Interview mit Martin Leitl. Martin Leitl, Techniksprecher des Fachverbands Steine-Keramik und Präsident der Austrian Cooperative Research, analysiert die Ergebnisse einer Expertenumfrage zu »zukunftsfähigen Gebäudekonzepten«, leitet daraus konkrete Maßnahmen ab und spricht über den hohen Stellenwert der Wohnbauförderung bei der Implementierung neuer Technologien. Report: Der Fachverband Steine-Keramik, die Bundesinnung Bau und andere Partner haben eine Umfrage unter Bauexperten zum Thema »zukunftsfähige Gebäudekonzepte« in Auftrag gegeben. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Ergebnisse?Martin Leitl: Die Umfrage zeigt deutlich, dass es am Thema energieeffizientes Bauen kein Vorbeikommen mehr gibt. Es zeigt sich aber auch, dass selbst die Experten manchmal den Überblick verlieren und gar nicht mehr alle Gebäudekonzepte kennen. Gebäudetypen wie Passivhaus und Niedrigenergiehaus, die auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt sind, genießen auch bei den Experten den größten Bekanntheitsgrad. Die Umfrage hat auch zutage gefördert, dass die EU-Gebäuderichtlinie, die die Weichen in Richtung Gesamtenergieverbrauch stellt, bei den Experten noch keine große Rolle spielt. Dabei wird diese Richtlinie einen viel größeren Einfluss auf die Gebäudekonzepte haben, als die Experten das heute anscheinend glauben. Report: Wenn nicht einmal die Experten Bescheid wissen, wer dann?Leitl: Zu sagen, die Experten wüssten nicht Bescheid, ist sicher übertrieben. Die kennen sich schon sehr gut aus, aber natürlich gibt es auch Gebäudekonzepte, die abgefragt wurden, die noch wenig bekannt sind, etwas das Sonnenhaus. Das wird dann mit Photovoltaik verwechselt, obwohl der wesentliche Kern die Solarthermie ist. Man muss bei der Fülle an Gebäudetypen aber auch verstehen, dass der Überblick verlorengehen kann. Ich sehe das aber positiv, weil es der Beweis dafür ist, dass etwas geschieht. Es gibt ständig neue Entwicklungen und Innovationen. Stillstand wäre das Schlimmste. Report: Aber droht nicht die Gefahr eines Wildwuchses an Gebäudekonzepten, in dem der private Häuslbauer den Durchblick verliert?Leitl: Ich denke, da unterschätzt man die Häuslbauer. Die sind sehr an neuen Entwicklungen interessiert und auch sehr gut informiert. Report: Was sind die Treiber dieses Interesses? Sind es nur die Energiekosten?Leitl: Die Energiekosten sind natürlich ein wichtiger Aspekt, aber bei weitem nicht der einzige. Ein ganz zentrales Thema ist beispielsweise die Vermeidung von sommerlicher Überhitzung und die Qualität der Luft in den Wohn- und Arbeitsräumen. Dafür bietet die massive Bauweise ideale Lösungen. Report: In der breiten Öffentlichkeit gilt die Massivbauweise als traditionell, nicht unbedingt als innovativ.Leitl: Das mag schon sein, es entspricht aber nicht der Realität. Im Bereich der Baustoffe tut sich enorm viel. Einen Ziegel aus den 80er-Jahren kann man mit einem Ziegel von heute nicht mehr vergleichen. Dazu kommen ganz neue Entwicklungen wie die Bauteilaktivierung, die einen ganz wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Heiz- und Kühlkosten leisten kann. Da gibt es ein enormes Zukunftspotenzial. Report: Die Studie zeigt, dass die Entwicklung von neuen Produkten und Innovationen alleine nicht ausreichend ist. Wer ist denn nun in der Pflicht, dass die neuen Entwicklungen auch beim Kunden ankommen? Die Wirtschaftskammer, Interessenvertretungen wie BauMassiv oder die Baumeister und Planer vor Ort?Leitl: Ich denke, dass wir alle gemeinsam in der Pflicht stehen. Wenn sich jeder auf den anderen verlässt, passiert meistens gar nichts. Ganz wichtig sind Forschungsinitiativen wie »Nachhaltigkeit massiv« des Fachverbands Steine-Keramik. Damit wird das Bewusstsein gestärkt, was alles möglich ist. Und alle Beteiligten werden animiert, aktiv zu werden. Die Baustoffhersteller entwickeln neue Produkte, und die Baufirmen bringen die Themen zu den Endkonsumenten. Report: Welche Rolle spielt die Wohnbauförderung bei der Realisierung innovativer Gebäudekonzepte?Leitl: Die Wohnbauförderung ist ein unheimlich wertvolles Instrument. Sie verleiht dem Häuslbauer ein Gefühl der Sicherheit und ist eine wichtige Starthilfe, um die Hürde zum eigenen Bauprojekt zu überwinden. Natürlich spielt die Wohnbauförderung auch bei der Umsetzung innovativer Gebäudekonzepte eine wichtige Rolle. Dabei muss man aber aufpassen, dass der Rahmen nicht zu eng gesteckt wird. Die Wohnbauförderung soll in erster Linie leistbares Bauen ermöglichen. Die Wohnbauförderung soll eine verlässliche Basis sein und darüber hinaus sollten zusätzliche Anreize für innovative Konzepte gegeben werden. Da gibt es noch einiges zu tun. Ich bin aber optimistisch, dass die Länder diese Notwendigkeit sehen. Der Nachhaltigkeitsaspekt muss gestärkt werden. Und natürlich dürfen die Gelder nicht mehr zweckentfremdet verwendet werden, sondern müssen tatsächlich in den Wohnbau fließen. Report: Welche Überraschungen hat die Befragung der Bauexperten aus Ihrer Sicht gebracht?Leitl: Eine Überraschung war sicher das relativ geringe Wissen über die neue EU-Gebäuderichtlinie, die »Nearly Zero Emission Buildings« ab 2020 vorschreibt. Das scheint für viele Experten noch zu weit weg zu sein, um sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Mich persönlich hat auch der hohe Stellenwert des sommerlichen Wärmeschutzes überrascht sowie die Tatsache, dass man Gebäudekonzepte, die man nicht kennt, als wenig zukunftsfähig einschätzt.Report: Welche konkreten Maßnahmen leiten sich aus den Ergebnissen ab?Leitl: Die Forschungsinitiative »Nachhaltigkeit massiv« wird fortgesetzt. Außerdem wollen wir den Dialog mit den Experten verstärken. Damit sollen die Baufachleute vor Ort über neue Entwicklungen und Produkte informiert werden und können ihrerseits ihre Erfahrungen und die Bedürfnisse der Kunden weitergeben. Dazu kommen konkrete Forderungen an die Politik, wie etwa eine stärkere Verankerung der Sommertauglichkeit von Gebäuden in der Wohnbauförderung. Es muss das Ziel sein, über die Wohnbauförderung hinaus Anreize für die Realisierung innovativer Gebäudekonzepte zu setzen.