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Arbeitslos? Oder doch McJob?

Die Zahlen sind alarmierend. Mehr als vier Millionen Arbeitslose meldet Deutschland im August. In österreich sind es rund 200.000. Die lahmenden Volkswirtschaften machen Arbeit zum knappen Gut. Und das ist brandgefährlich. Darin sind sich Experten einig.

Europa, unkt etwa der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman, werde am Thema Arbeitslosigkeit zerbrechen. Der überbürokratisierte, wenig flexible alte Kontinent werde nicht die Kraft haben, die eingefahrenen Bahnen zu verlassen - und letztlich kläglich scheitern. Dass der Ideologe des freien Marktes den Mut zum Tabubruch, der da und dort aufkeimt, möglicherweise unterschätzt hat, zeigt jetzt der deutsche Wahlkampf. Ausgerechnet die Sozialdemokraten unter einem Kandidaten, der sich als »Genosse der Bosse« einen Namen gemacht hat, schickten den VW-Vorstand Peter Hartz aus, um das Unsagbare zu Papier zu bringen. Die Hartz-Kommission präsentierte Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes, die reihenweise ideologische Positionen über Bord gehen ließen und trotzdem heftig von Partei und Gewerkschaft akklamiert wurden. Im Papier ist von Minijobs, Ich-AGs und Zeitarbeit die Rede, und es baut auf dem Eingeständnis auf, dass regulär, abgesichert, mit Kollektivverträgen gesegnet das Heer der Arbeitslosen nicht zu verkleinern ist.

Peter Hartz hat vollmundig angekündigt, dass er mit seinen Maßnahmen die Arbeitslosigkeit bis 2005 glatt halbieren könne, und sein Rezept heißt: eine neue Klasse der Arbeitenden schaffen, die McJob-Kategorie einführen.

Der sanfte Revolutionär. Hartz hat sich Anfang der Neunzigerjahre einen Namen gemacht, als ihn Ferdinand Piëch, damals VW-Vorstandsvorsitzender in Wolfsburg, mit einer heiklen Aufgabe betraute. 30.000 Stellen sollten bei den Autobauern, die am Rande des Zusammenbruchs standen, gestrichen werden. Hartz, der über gute Kontakte zur Gewerkschaft verfügte, fand kreativere Wege. Statt Massenentlassungen gabs die Viertagewoche. Freiwillig arbeiteten die Wolfsburger kürzer und verdienten weniger. Hartz brachte das unverblümt auf den Punkt: »Wir müssen schlicht schneller arbeiten.«

Dabei gilt Hartz als sanfter Revolutionär, der Unkonventionelles und schwer Verdauliches so serviert, dass es von den Betroffenen mit getragen wird. Selbst als er die Auto5000 GmbH gründete, die deutlich unter VW-Tarifschema Leistungen erbrachte, blieb der Aufschrei der Gewerkschafter aus. Gar Beifall erntete er, als er die explodierenden Kosten für überstunden kappte, indem er ein Zeit-Wert-Papier einführte. überstunden in jungen Jahren werden schlicht fürs Alter gutgeschrieben - und ermöglichen dann den sanften übergang in die Pension.

Das Hartz-Papier, das Mitte August im französischen Dom in Berlin präsentiert wurde, stellt eine ideologische Trendumkehr dar; das zeigt sich an zwei zentralen Sätzen. Erstens, so Hartz, sollen die Arbeitslosen in Zukunft zwar gefördert, aber mehr gefordert werden. Zweitens, und das hängt unmittelbar damit zusammen, soll die aktive Arbeitsmarktpolitik ersetzt werden durch eine aktivierende. Die Hauptrolle spielt der Arbeitslose, der zwingend seinen Beitrag leisten muss, um den Weg zurück in die Welt der Wirtschaft zu finden. Die Arbeitsämter definieren ihre Rolle neu und verstehen sich als Servicecenter, die stark mit privaten Vermittlern zusammenarbeiten. Sie geben Hilfe, aber sie machen auch Druck, wenn sich herausstellt, dass die Bereitschaft, seinen Beitrag zu leisten, allzu unterentwickelt ist. Die Unzumutbarkeitsbestimmungen werden neu gefasst, und die deutsche Hartz-Kommission will, dass derjenige, der einen Job nicht annimmt, weil er sich für überqualifiziert hält, erst beweisen muss, dass eine Unzumutbarkeit tatsächlich vorliegt.

Ich-AG. Das Kernstück der Hartz-Vorschläge hat einen Namen: die Ich-AG. Gedanklich schaffen die Erfinder damit eine Vorstufe zur Selbstständigkeit - oder, wie Kritiker meinen, ein Ausgedinge für Arbeitslose. Der Vorschlag lautet: Wer eine Ich-AG anmeldet, soll drei Jahre lang Zuschüsse kassieren dürfen - dieser Betrag errechnet sich aus der Höhe des Arbeitslosengeldes, den einbezahlten Sozialversicherungsbeiträgen und dem Einkommen der Ich-AG, die maximal 25.000 Euro verdienen darf. Zu bezahlen sind allerdings: zehn Prozent Einkommenssteuer. Außerdem ist die Ich-AG voll versicherungspflichtig.

Ein besonderes Zuckerl für Unternehmen: Sie können Ich-AGs als Subunternehmer beschäftigen und damit ihren Personalstand flexibel an die aktuelle Auftragslage anpassen. Auf jeden Angestellten darf eine Ich-AG kommen.

Gerade dieser Vorschlag erweist sich unter heimischen Interessenvertretern und Politikern als besonderer Zankapfel: »Arbeitslose würden damit für eine bestimmte Zeit in die Selbstständigkeit gedrängt, um danach wieder arbeitslos zu werden.« So formuliert Bernhard Achitz, Leiter des sozialpolitischen Referates im öGB, seine Vorbehalte. Der Sozialsprecher der Grünen, Karl öllinger, befürchtet eine Verschärfung der Klassenunterschiede. »Ich halte die angedachte Schaffung eines Niedriglohnsektors für keine positive Entwicklung. Das spaltet den Arbeitsmarkt noch mehr und ist der Weg in die Dienstbotengesellschaft.«

Applaus hingegen kommt von unerwarteter Seite: »Die Ich-AG ist eine goldrichtige Forderung«, meint Hubert Gorbach, stellvertretender Parteiobmann (FPö). »Wir brauchen die Rute im Fenster«, so Gorbach und fügt hinzu: »Ich würde Arbeitslose nach vier bis acht Monaten für Arbeiten im öffentlichen Interesse einteilen.«

Reinhold Mitterlehner (öVP), Generalsekretär der Wirtschaftskammer, hält die Ich-AG für eine interessante Idee zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, schränkt jedoch ein: »Mir schweben eher Steuerfreibeträge als ein niedrigerer Steuersatz vor, um nicht zwei unterschiedlich begünstigte Gruppen zu schaffen.«

Auch die Industriellenvereinigung steht den Vorschlägen sehr positiv gegenüber. »Wir bräuchten genau die von der Hartz-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen,« sagt Lorenz Fritz, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (öVP). Ein Teil der Arbeitslosen leide zwar sehr, etwa 40 Prozent hätten sich jedoch arrangiert und wollten gar nicht raus aus dieser Situation. »Da braucht man Zuckerbrot und Peitsche«, so Fritz. Zuckerbrot wäre die Zeitarbeitsgesellschaft, Peitsche eine Pauschalierung des Arbeitslosengelds.

McJOBS. Die Kluft zwischen denen, die den vollen Schutz des Rechts und damit die Privilegien der Arbeitenden für sich in Anspruch nehmen können, und den anderen, die im Vorhof der Arbeitswelt deutlich schlechter gestellt sind, tritt klar zutage.

Minijobs nennt die Hartz-Kommission, was in österreich unter die Rubrik »geringfügig Beschäftigte« fällt. Die Geringfügigkeitsgrenze liegt hierzulande bei 301,54 Euro, in Deutschland bei 325 Euro. Der Hartz-Plan sieht eine Erhöhung für steuer- und sozialabgabenbegünstigte Minijobs im Haushaltsbereich von 325 auf 500 Euro monatlich vor. Das Ziel ist es, alle »haushaltsnahen« Dienstleistungen aus der Schwarzarbeit herauszuführen. Putzfrauen und Babysitter werden großteils schwarz bezahlt, weil sich das gute Gewissen, das eine Anmeldung mit sich bringen würde, sonst kaum jemand leisten kann.

»Wir haben uns dazu noch keine endgültige Meinung gebildet«, erklärt der Leiter der Abteilung Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer, Martin Gleitsmann. Was wenig wundert, gibt es doch Wirtschaftszweige, die lautstark nach möglichst vielen Geringfügigen verlangen.

Gleitsmann hält die Stärkung des Niedriglohnsegmentes (zumindest offiziell) für nicht wirklich wichtig. »Wir müssen mehr Wert auf Qualität und Weiterbildung legen, denn mit an österreich angrenzenden Niedriglohnländern werden wir nicht konkurrieren können«, meint er. Ein Standpunkt, der von Gewerkschaft und Arbeiterkammer geteilt wird. Bernhard Achitz, Leiter des sozialpolitischen Referates im öGB, steht nicht an, die »vernünftige Gesprächsebene auf Expertenebene« zu loben. Er will jedenfalls alle atypischen Beschäftigungsverhältnisse mit einer Sozialversicherungspflicht gekoppelt wissen. Eine Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze lehnt Achitz definitiv ab. Er pocht darauf, dass alle Beschäftigten, die Bagatellgrenzen überschreiten, abgesichert sein sollen.

Jobcenter statt Amt. »Ich kann mit allen Vorschlägen der Kommission leben«, meint AMS-Chef Herbert Buchinger, »weil die ohnehin nicht über das hinausgehen, was in österreich gang und gäbe ist.« Tatsächlich ist mit der Ausgliederung des AMS im Jahr 1994 einiges passiert.

Die Entwicklung am Arbeitsmarkt, erklärt Buchinger des Weiteren, gehe in Richtung »Just-in-time-Jobs«, also in Richtung Tages- oder Stundenlohn. »Das ist eine Tatsache. Wer sich darüber beschwert, kann genauso gut darüber jammern, dass es regnet.«

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