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Darfs ein bisserl mehr sein?

  • Published in Archiv

„Darf`s ein bisserl mehr sein?“

 

Diesen Satz aus guten alten Greislerzeiten höre ich kaum mehr. Er brachte mich immer zum Schmunzeln, weil es natürlich ein bisserl mehr sein darf. Wer will nicht etwas mehr? Vor allem etwas mehr Inhalt, mehr Freundlichkeit, mehr Wohn- und Lebensqualität.

 

Für die Mehrheit der Bevölkerung ist das Einfamilienhaus immer noch erstrebenswerteste Wohnform von allen. Deshalb kann ich sie auch verstehen, die Wochenendhaus-Bauer, die Fertighaus von der Stange-Käufer, die halben Doppelhaus-Eigentümer. Wenn sie jahrelang auf Urlaub verzichten, sich ihr Kreuz oder ihre Ehe ruinieren, oder sich mit schlechter Bauqualität und durchschnittlicher Optik zufrieden geben, nur weil sie mehr wollen. Mehr Freiheit, mehr Individualität, vielleicht mehr Ökologie, aber vor allem mehr Ruhe und mehr Grün.

 

Ich verstehe das. Trotzdem ist es keine Lösung unser Land zu zerstückeln, zu verhütteln, zu verasphaltieren, zu verkanalisieren. Weder können sich die Gemeinden die aufwendige Infrastruktur leisten, noch macht es für die stolzen Eigenheimbesitzer Sinn, die zwangsläufig langen Wege in Kauf zu nehmen um an den Arbeitsplatz, zur Schule, zum Laden oder ins Kino oder Theater zu kommen. Es wird auch nicht besser, wenn man das Einfamilienhaus in ein Passivhaus verwandelt, weil der Energiegewinn durch die Abhängigkeit vom Auto meist locker wett gemacht wird.

 

Ich verstehe aber auch, dass es wenig attraktiv ist, in eines der Stadterweiterungsgebiete der Großstadt zu ziehen. Dort ist zwar mittlerweile auch vieles Niedrigstenergie, obwohl die Wohnblöcke kaum anders aussehen als früher, aber die Menschen fühlen sich trotzdem nicht wohl. Eine Tageszeitung titelte einmal: „Moderner Wohnbau auf Irrwegen“ - Überraschendes Ergebnis einer Studie: Neue Wohnviertel sind unbeliebt. Warum? Weil es an echtem privaten Grün fehlt, an guter Luft, an Ruhe und Attraktivität, schlicht an Wohnqualität fehlt. Was ist daran überraschend?

 

Als engagierte Öko-Architekten betrachten wir uns immer als Vordenker für eine bessere Zukunft, oft als Rufer in der Wüste. Und so rufe ich: Wenn schon auf der grünen Wiese gebaut werden soll, dann baut wenigstens hochwertig verdichtet, baut ökologisch, baut menschengerecht weil von einer solchen Bauweise alle profitieren. Vor vielen Jahren schon wurde der Begriff des „verdichteten Flachbaus“ erfunden, als Bezeichnung für etwas ganz altbewährtes, nämlich geschlossene Bauweise, die weniger Platz braucht, en Lärm aussperrt, sichtgeschützte private Gärten ermöglicht, aber auch über Gemeinschaftsbereiche verfügt. Im Idealfall bilden die Gebäude ein einheitliches Ortsbild, welches sich wohltuend vom Einfamilienhaus-Wildwuchs an den Ortsrändern abhebt. Was so einfach klingt, wird aber nur sehr selten realisiert.

 

Eines der bekanntesten und besten Beispiele ist nach wie vor die Siedlung Puchenau von Roland Rainer, der leider wenig Vergleichbares folgte. Sie ist relativ dicht gebaut, grün, bietet individuelle Freiräume, aber auch zwanglosen sozialen Kontakt und Infrastruktur, also genau das bisschen mehr, um das es geht.

 

Leider werden nur zu oft Baulandflächen in Einzelparzellen geteilt, oder langweilige und kaninchenstallartige Reihenhausanlagen gebaut, die wie brutale Fremdkörper im Ortsbild wirken. Ein Kennzeichen guter verdichteter Siedlungsanlagen ist ihre Integration in bestehende Ortsbildstrukturen. Wenn dann auch noch solare Aspekte bei der Gebäudeorientierung integriert werden, macht es auch wieder Sinn an Passivhausqualität zu denken. Da macht es Sinn, über eine gemeinschaftliche Energieversorgung und Heizung nachzudenken. Das ist in jedem Fall wirtschaftlicher und komfortabler als lauter Einzelheizungen.

 

Ganz zu schweigen von den positiven sozialen Auswirkungen von sogenannten „Nachbarschaftseinheiten“. Beispiele wie die Ökosiedlung Gärtnerhof aus den 80er-Jahren haben bewiesen, dass es vor allem die Kinder sind, die von dieser autofreien, kompakten Siedlungsform profitieren. Sie können sich im geschützten Rahmen bewegen und interagieren, sind im Durchschnitt heute sozial aktiver als ihre Elterngeneration. Aber auch die Erwachsenen profitieren. Ältere Menschen, Hausfrauen oder -männer sind nicht isoliert, der Kontakt ist aber ein freiwilliger.

 

In den letzten Jahren hat sich der Begriff Co-Housing für eine verdichtete Bauweise etabliert, die sehr stark die Aspekte „Selbstverantwortung“ und „Gemeinschaft“ betont. Im Regelfall finden sich Interessierte über persönliche Kontakte oder vermehrt über Plattformen wie „Gemeinsam-Bauen-Wohnen“ in Wien oder „Gemeinsam Bauen“ in Vorarlberg. Diese Graswurzelprojekte sind ganz bewusst als Gegenmodelle zum verordneten Wohnen gedacht. Leider bieten die Bundesländer teilweise sehr schlechte Bedingungen im Rahmen der Wohnbauförderung. Niederösterreich hatte bereits einmal ein Modell der Gruppenförderung, das aber aus verwaltungstechnischen Gründen wieder eingestellt wurde. Somit klafft derzeit zwischen Einfamilienhaus und Geschoßwohnbau ein Förderloch, das symptomatisch ist für die offizielle Sicht. Nun wäre es an der Zeit durch neue Fördermodelle diese Bewegung hin zu mehr Wohnqualität zu unterstützen.

 

Es wird diesen Gruppen also nicht leicht gemacht. Ein geeignetes Grundstück zu finden, den passenden Architekten und den richtigen rechtlichen Rahmen sind da nur die kleineren Probleme. Der konsequente Weg der gemeinsamen Entscheidungsfindung fordert von den Gruppenmitgliedern viel Engagement aber auch Konfliktfähigkeit im Sinne ihrer selbst gewählten Wertewelt. Somit geht es bei einem Wohngruppenprojekt um viel mehr als nur gemeinsam kostengünstiger zu bauen.

 

Dieser Kostenfaktor verlangt natürlich auch eine klare Linie. In den meisten Fällen ist die Devise: Gemeinsam bauen senkt die Kosten, und das Ersparte fließt in Gemeinschaftseinrichtungen verschiedenster Art. Welche das sind, und in welcher Qualität ist individuell zu entscheiden. Dazu gehört auch die Frage nach der Verbindung von Wohnen und Arbeiten. Überhaupt bestimmt das Kürzel „sharing“ das Denken vieler Baugruppen. Vom Carsharing über kidssharing bis zu cooksharing und worksharing ist vieles denkbar und wird immer häufiger praktiziert. Im Idealfall entsteht innerhalb eines solchen Projektes eine Community, eine Nachbarschaftseinheit, eine gesellige Gemeinschaft, wie das Leopold Kohr in seinem Buch „Die überentwickelten Nationen“ genannt hat, und wie sie teilweise in dörflichen Strukturen noch vorhanden ist. Man kennt sich gut genug, um einander persönlich um einen Gefallen bitten zu können. Man andererseits hat genug Privatsphäre, um sich nicht auf die Nerven zu gehen.

 

Es darf und soll daher ruhig ein bisserl mehr sein. Architektonisch, technisch, ökologisch und vor allem spirituell.

 

Architekt DI. Heinrich Schuller ist selbstständiger Planer und Spezialist für Solararchitektur und ökologisches Bauen, Gründer von ATOS Architekten, Mitglied des österr. Inst. f. Baubiologie und Ökologie sowie der IG Passivhaus. Dieser Text basiert  auf einem früheren Text, der aufgrund der aktuell wachsenden Schar von Baugruppen und der Beschäftigung mit diesem Thema im Rahmen des derzeit in Planung befindlichen Projektes Co-Housing Maria Anzbach an Aktualität gewonnen hat. Am 18. 2. 2012 fand auf der Wiener Messe BAUEN und ENERGIE eine Diskussion mit Fachleuten und Interessenten zum Thema „Bauen in der Gruppe – Chancen und Risiken“ statt, deren Beiträge in diesen Text eingeflossen sind.  

 


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