Maria Vassilakou im Interview. Report: Die Bauwirtschaft bekommt eine Krise traditionell mit Verzögerung zu spüren. Bereits zugesagte Konjunkturpakete des Bundes werden unter dem Primat der Budgetkonsolidierung schon wieder aufgeschnürt. Wird die Stadt Wien das Bauwesen mit zusätzlichen Investitionen stützen und ein eigenes Konjunkturpaket auflegen?Maria Vassilakou: Wien muss auch weiterhin investieren. Dabei liegen die Prioritäten in der Schaffung von Arbeitsplätzen und in der Ausbildung von jungen Menschen in dieser Stadt. Neben der Förderung der bereits bestehenden Unternehmen soll Wien sich auch zu einem führenden Standort der Zukunftstechnologien wie Umwelt- und Energietechnologien weiterentwickeln. Report: Im Kampf gegen die Krise hat Wien viel Geld in die Hand genommen und investiert. Für neue Projekte ist deshalb kaum Geld da. Welche Rolle können private Investoren und PPP-Modelle in der Infrastrukturentwicklung spielen?Vassilakou: Leider haben in der Vergangenheit einige missratene PPP-Projekte, wie etwa der Riesenradplatz, die Schwachstellen dieses Modells sehr klar aufgezeigt. Denn wenn sich letztlich niemand mehr wirklich als Bauherr verantwortlich fühlt, muss jedes Projekt scheitern. In Zukunft wird es sicher wieder PPP-Projekte geben, diese müssen aber dann seitens der Stadt viel professioneller abgewickelt werden. Report: Wo wird am Ende der Legislaturperiode in der Verkehrspolitik die grüne Handschrift erkennbar sein?Vassilakou: An einer deutlichen Hebung des Anteils der Öffis am allgemeinen Verkehr und an einer Verdoppelung des Radverkehrsanteils. Generell soll es für umwelt- und klimaschutzfreundliche Fortbewegungsmittel mehr Platz in der Stadt geben. Wir wollen das Straßenbahnnetz in Wien ausbauen und in Wohngebieten gemeinsam mit den Anrainerinnen und Anrainern verkehrsberuhigende Maßnahmen setzen. Report: Wien verfügt im internationalen Vergleich bereits über ein sehr gutes öffentliches Verkehrsnetz. Dennoch wollen Sie den Individualverkehr um ein Drittel reduzieren. Mit welchen konkreten Maßnahmen wollen Sie dieses Ziel erreichen?Vassilakou: Verbesserungen sind immer möglich. Speziell in den Außenbezirken Wiens gibt es da einen großen Bedarf bei der Angebots- und Qualitätssteigerung. Besonders wichtig ist mir die Verlagerung des Pendlerverkehrs vom Auto hin zu schnellen und zuverlässigen Öffis zwischen der Stadt und dem Wiener Umland. Report: »SharedSpace/fair teilen« ist ein innovatives Verkehrskonzept, das derzeit in Teilen Österreichs mit großem Erfolg getestet wird. In Wien bieten sich laut dem grünen Bezirksvorsteher Blimlinger Teile der Mariahilferstraße für dieses Projekt an. Bislang ist die Umsetzung laut Blimlinger an Stadtrat Schicker gescheitert. Wollen Sie dieses Projekt realisieren und sind weitere Shared Spaces geplant?Vassilakou: Wir wollen gemeinsam mit der Bevölkerung und Wiens Bezirken SharedSpace-Pilotprojekte realisieren. Dabei geht es mir um mehr Platz und Lebensqualität im Grätzel für Wiens Bevölkerung. Was die Mariahilferstraße betrifft, werden wir nun zügig eine Lösung finden können. Report: Christoph Chorherr hat im Zuge der Veranstaltung »Chance Hochbau 2010« das Verkehrserschließungskonzept für die Seestadt Aspern kritisiert. Obwohl laut Verkehrsexperten eine Landstraße völlig ausreichen würde, soll aus Finanzierungsgründen die Asfinag eine Autobahn bauen. Welche Straße soll aus Ihrer Sicht in Zukunft in die Seestadt führen?Vassilakou: Wir wollen keine Autobahn in die Seestadt. Es wird eine stadt- und umfeldverträgliche Straßenvariante geben. Wichtig für uns ist, dass es eine perfekte Anbindung der Seestadt Aspern mit den Öffis gibt. Report: Wo wird die grüne Handschrift bei Stadtentwicklung und Stadtplanung erkennbar sein?Vassilakou: Ziel ist eine nachhaltige Stadtentwicklung, die sich den Herausforderungen der Zukunft stellt und neue Wege aufzeigt. Wir wollen mehr Qualität durch bessere Verfahren, mehr Grün- und Freiflächen, eine andere Planungskultur durch mehr Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern, mehr Transparenz und Mitbestimmung. Außerdem sollen Klimaschutz und ökologisches Bauen höchste Priorität bekommen.Report: Sie haben wiederholt die Vergabemodalitäten und Widmungspraktiken der Stadt Wien kritisiert. Was soll sich bei der Vergabe ändern?Vassilakou: Bei der Vergabe brauchen wir die Weiterentwicklung des Wettbewerbsleitfadens, mehr Transparenz und klare Vorgaben auch für die ausgegliederten Unternehmen der Stadt Wien. Report: Wird die Flächenwidmungsabgabe kommen, wird sie zweckgebunden sein und wenn ja, wofür?Vassilakou: Es wird eine Arbeitsgruppe aus Expertinnen und Experten einberufen werden, die klären soll, wie und unter welchen rechtlichen Bedingungen die Einführung der Planwertabgabe in Wien möglich ist. Wir werden uns auch die Praxis in München dazu genau ansehen. Dort gibt es die Planwertabgabe schon seit mehr als zehn Jahren, und das für alle Seiten sehr zufriedenstellend. Für die Investoren bringt es weiterhin genug an finanziellen Anreizen, mehr Planungssicherheit und Gleichbehandlung. Der Allgemeinheit bringt es finanzielle Mittel für notwendige Investitionen in Grünräume, Schulen, Kindergärten und Ähnlichem. Report: Welche Rolle wird der Ausbau der sozialen Infrastruktur wie Kindergärten, Schulen, Gesundheitseinrichtungen in Ihrer Amtszeit spielen? Welche Projekte haben Priorität?Vassilakou: Wir brauchen dringend Schulen, die modernen Unterrichtsmethoden gerecht werden. Wenn wir sukzessive den Unterricht auf die Ganztagsschule umstellen wollen, brauchen wir Investitionen in neue Schulgebäude, kindergerechte Aufenthaltsräume und vor allem auch Platz für Sport- und Spielbereiche. Der Ausbau der Kindergartenplätze in Wien wird weiter forciert werden, insbesondere in jenen Gebieten der Stadt, wo derzeit Defizite in der Versorgung bestehen. Ein besonderer Schwerpunkt wird in den nächsten Jahren auf den Ausbau von Kinderkrippenplätzen gelegt. Im Bereich der Pflege wird sowohl im stationären Bereich als auch in dezentrale Einrichtungen investiert werden. Report: Derzeit wird viel in den äußeren Bezirken in Transdanubien gebaut. Sabine Gretner hat im Interview mit dem Bau & Immobilien Report die Priorität vor allem in »stadtverträglichen zentrumsnahen Entwicklungen wie dem Arsenal« gesehen. Wo liegen Ihre Schwerpunkte?Vassilakou: Wir werden weiterhin die innerstädtischen Brachen priorisieren, um möglichst ressourcenschonend nachhaltige Stadtentwicklung zu ermöglichen. Das bedeutet sparsam mit dem Boden und der Infrastruktur umzugehen, etwa am Nordbahnhofgelände, am ehemaligen Nordwestbahnhof, am Stadtentwicklungsgebiet Hauptbahnhof und Arsenal sowie Eurogate.Report: Wie soll sich Wien aus stadtplanerischer Sicht positionieren: als Wirtschaftsstandort im Herzen Europas, als Tourismusmetropole oder als Großstadt mit hoher Lebensqualität?Vassilakou: Ich sehe Wien als Großstadt im Herzen Europas, die sowohl als Lebensraum als auch für die Wirtschaft und für den Tourismus attraktiv ist. Von Wiens hoher Lebensqualität profitieren doch alle. Eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung muss daher alles daran setzen, diese hohe Lebensqualität in Wien zu erhalten und weiter zu steigern. Report: Ihr Vorgänger Rudi Schicker hatte eine besondere Affinität zum Zielgebiet Prater – Messe – Krieau – Stadion. Das war für ihn das Vorzeigeprojekt einer gelungenen Stadtentwicklung. Was liegt Ihnen persönlich besonders am Herzen?Vassilakou: Ich schätze die Vielfalt in einer Stadt und auch die unterschiedlichen Qualitäten verschiedener Stadtgebiete. Ich will bisher unterschätzte Potenziale der Stadt heben, besonders reizvoll scheint mir beispielsweise, die Stadt näher an die Donau zu bringen.