Gemeinsam mit der Altstoff Recycling Austria AG (ARA) veranstaltete der Report Verlag 2013 eine dreiteilige Diskussionsreihe zum Thema »Urban Mining«. Den Auftakt im März machten »Baustoffe & Metalle«, im Juni wurde über »Konsumgüter« diskutiert und Ende Oktober wurden schliesslich die rechtlichen Rahmenbedingungen in den Fokus gerückt. Christoph Scharff, Vorstand ARA, gab mit seinen Begrüßungsworten die Richtung des Nachmittags vor. »Wir müssen uns die Frage stellen, was notwendig ist, um das Schlagwort Urban Mining Wirklichkeit werden zu lassen.« Welche Regulierungen und Deregulierungen braucht es, um aus Urban Mining eine Erfolgsgeschichte zu machen? Das prominent besetzte Podium, bestehend aus Anne Baum-Rudischhauser, Managing Director Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft; Martin Dupal, Gesellschafter Walter Kunststoffe GmbH, Obmann der Prast Recycling Austria - Verein der Kunststoffrecyclingbetriebe Österreichs; Christian Holzer, Leiter Sektion VI für Stoffstromwirtschaft, Abfallmanagement und stoffbezogenen Umweltschutz, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft; Walter Scharf, Geschäftsführer und Gesellschafter IUT Ingenieurgemeinschaft Innovative Umwelttechnik GmbH; und Stephan Schwarzer, Leiter Abteilung für Umwelt- und Energiepolitik, Wirtschaftskammer Österreich; versuchte die Antworten zu geben. (+) plus: Welche Bereiche umfasst Urban Mining? Wo beginnt es, wo hört es auf?Christian Holzer: Ursprünglich meinte Urban Mining vor allem die Rohstoffgewinnung aus der Infrastruktur. Heute fassen wir den Begriff deutlich weiter, neben den Immobilien sind jetzt auch die Mobilien Gegenstand des Interesses. Urban Mining will aus dem Immobilien- und Mobilienbereich Rohstoffe zurückholen und für die Produktion gewinnen. (+) plus: Wie gut ist die heimische Wirtschaft in dieser Disziplin aufgestellt? Holzer: Österreich ist sicher vorne mit dabei. Vor allem im Abfallwirtschaftsbereich stellt uns die europäische Kommission das beste Zeugnis aus. Was aber die Gewinnung von Rohstoffen aus Infrastruktur und Produkten anbelangt, die ihr Lebensende erreicht haben, haben wir noch großes Potenzial. (+) plus: Sind die Prozesse rund um Urban Mining eine nationale Angelegenheit? Macht es überhaupt Sinn, das Thema auf nationaler Ebene zu betrachten?Holzer: Es gibt natürlich Bereiche, in denen nationale Regelungen immer noch Sinn machen, aber diese Bereiche werden immer kleiner. Wir leben in einer globalen Wirtschaft und weitreichende, rechtliche Rahmenbedingungen müssen zumindest auf europäischer oder einer globalen Ebene gesetzt werden. (+) plus: Frau Baum-Rudischhauser, wie wichtig ist aus Ihrer Sicht eine zentrale Gesetzgebung auf EU-Ebene?Anne Baum-Rudischhauser: Sowohl in Deutschland als auch in Österreich gibt es in den verschiedenen Bundesländern teils unterschiedliche Regeln. Aber natürlich sind diese Regelungen vom europäischen Rechtsrahmen geprägt. Der zeichnet sich durch Mindestvorgaben aus, die unterschiedlich erreicht werden können. Diese Flexibilität ist auch wichtig, denn die Voraussetzungen in den einzelnen Ländern sind doch sehr unterschiedlich. Die Ziele müssen zwar harmonisiert werden und für alle gelten, aber auch Vorzeigeländer wie Österreich und Deutschland haben eine gewisse Zeit gebraucht, um die Deponierung als schlechteste Entsorgungsoption maximal zu reduzieren. Diese Zeit muss man in gewissem Maße auch Ländern wie Rumänien oder Bulgarien zugestehen. Daraus erklären sich die längeren Übergangsfristen für diese Länder. Es ist ein Quantensprung von der Deponierung zur Kreislaufwirtschaft, das braucht Zeit.(+) plus: Wo beginnt und wo endet eine sinnvolle Flexibilität und Freiheit der Mitgliedsstaaten?Baum-Rudischhauser: Bei der Umsetzung der Ziele darf es keine Freiheit geben. Das sind Mindestziele und die müssen für alle gelten. Sonst können wir uns die europäische Gesetzgebung gleich schenken. (+) plus: Herr Scharf, Sie haben in unserer Vorbesprechung gesagt, dass die Wirtschaftlichkeit gegeben sein muss, andernfalls bleibe Urban Mining ein PR-Gag. Wie wirtschaftlich ist Urban Mining in Österreich?Walter Scharf: Die Wirtschaft ist letztlich darauf angewiesen, mit dem, was sie macht, Geld zu verdienen. Das funktioniert aber nur dann, wenn die Abnehmer mitspielen. Dafür braucht es aber die richtigen Rahmenbedingungen. (+) plus: Haben wir die richtigen Rahmenbedingungen?Scharf: Im Bereich Bauschutt gibt die EU sehr hohe Ziele vor. Mit sehr hohem Aufwand kann diese Qualität auch erreicht werden, kann etwa Beton wieder zu Beton werden. Aber bei uns ist der Primärrohstoff so günstig, dass das Recyclat da niemals mithalten kann. Das kann nur funktionieren, wenn im Gegenzug die Deponiekosten so hoch sind, dass sich die Verwertung rechnet. Aber die sind immer noch sehr niedrig.(+) plus: Herr Dupal, Abfallwirtschaftsgesetz und Verpackungsverordnung regeln den Umgang mit kurzlebigen Verpackungen bereits seit Jahren gut, auch die Sammlung dazu funktioniert mustergültig. Was aber ist mit langlebigeren Kunststoffen, etwa bei Elektrogeräten? Gibt es hier schon einen Markt?Martin Dupal: Es ist richtig, im Verpackungsbereich zählt Österreich auf jeden Fall zu den Vorreitern. Das Problem bei anderen Materialquellen wie bei Elektroschrott oder PKW-Recycling ist, dass man nur sehr schwer an sortenreine Massenströme kommt. Ich sehe aber noch ein anderes Problem auf uns zukommen: Vor 20 Jahren war die wesentliche Herausforderung, das Material aus dem Markt zurückzubekommen. Dann stellte sich die Frage, wie wir technisch aufrüsten müssen, um die Mengen zu bewältigen und entsprechende Qualitäten zu erreichen. Auch das ist gelungen. Jetzt brauchen wir die Anwendungsgebiete für die Recyclate. Es wird immer mehr recycelt, in immer besserer Qualität, es fehlt aber weitgehend die Akzeptanz für Recyclingprodukten in den Endartikeln. Es bringt nichts, die Mengen immer weiter zu erhöhen, wenn wir auf der Abnehmerseite einen Flaschenhals haben. Es kann nicht sein, dass bei Ausschreibungen Recyclate ausgeschlossen werden, vielmehr müssten sie verpflichtend in Ausschreibungen aufgenommen werden. (+) plus: Welche konkreten Beispiele gibt es dafür?Dupal: Mir hat ein Kunde aus dem benachbarten Ausland eine Ausschreibung für den Kauf von Foliensäcken eines österreichischen Spitalserhalters gezeigt. Die kann man natürlich ganz einfach aus Recyclat herstellen. Aber in dieser Ausschreibung waren Recyclate dezidiert ausgeschlossen. Dabei müssten wir die Leute ganz bewusst dazu bringen, Recyclate einzusetzen. So wie vor rund 20 Jahren ganz bewusst auf Recyclingpapier gesetzt wurde. Das ist heute auch kein Thema mehr. Deshalb sollte man in diesem Zusammenhang auch offen über Quoten nachdenken dürfen.(+) plus: Unternehmen tun sich mitunter auch aufgrund gesetzlicher Auflagen am Markt schwer. Welche Rahmenbedingungen brauchen wir, welche Grundlagen sollen herrschen, damit wir Ressourcen auch in Österreich wiedergewinnen und wieder einsetzen können?Stephan Schwarzer: Es kann immer alles besser sein, aber wir sind nicht so schlecht unterwegs. Es ist noch gar nicht allzu lange her, dass in Österreich ein Müllnotstand herrschte. Das hat sich deutlich geändert. Österreich ist mit dem Dreigestirn Altlastensanierungsgesetz, Abfallwirtschaftsgesetz und Deponierecht ganz gut gefahren. Ich stimme auch allen Vorrednern zu, dass sich die Abfallwirtschaft in den letzten 25 Jahren enorm weiterentwickelt hat. Darauf können wir auch stolz sein. Die neue Herausforderung heißt Ressourceneffizienz, Rohstoffe nicht verschwinden zu lassen. Ich glaube aber nicht, dass man sofort nach neuen Regelungen rufen muss. Aber wenn es zu neuen Regelungen kommt, dann macht das nur auf EU-Ebene Sinn. (+) plus: Österreich hat eben gewählt. Gibt es seitens der Wirtschaftskammer konkrete Wünsche oder Forderungen an die Politik?Schwarzer: Die Politik will in der Regel nur das Beste und auch der Wirtschaft Gutes tun. Ich bin da aber oft skeptisch. Abgaben zu erhöhen erscheint mir angesichts der ohnehin schon sehr hohen Abgabenquote nicht sehr sinnvoll. Vorschläge zur Abgabenerhöhung, egal aus welcher Ecke und unter welchem Deckmäntelchen, sind verzichtbar und sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Vielmehr muss es darum gehen, den Wirtschafts- und Industriestandort zu stärken und das gelingt sicher nicht über Abgabenerhöhung.(+) plus: Herr Holzer, wie viel Staat verträgt das Thema »Urban Mining«?Holzer: Auch wenn ich als Sektionschef des Lebensministeriums hier stehe, bin ich keiner, der nur den Regulierungen das Wort redet. Nicht alles kann man mit Regulativen in den Griff bekommen. Auch Urban Mining muss sich irgendwann rechnen. Man kann sicher zu Beginn mit Incentives arbeiten, aber auf Dauer wird ein Wirtschaftsbetrieb etwas nur dann machen, wenn es ihm etwas bringt. Und ich bin auch der festen Meinung, dass sich Urban Mining rechnen kann. Es ist aber gar nicht so einfach, die rechtliche Basis für diese Incentives zu schaffen. Aber man könnte etwa im Bereich der Reifenproduktion die Hersteller, die ihre Reifen in Europa produzieren oder nach Europa importieren, zwingen, einen gewissen Recyclatanteil zu verwenden. Es ist Fakt, dass entsprechende technische Lösungen bereits existieren. Es macht nur keiner ohne Druck den ersten Schritt. Da kann man sinnvolle Regelungen auf den Weg bringen. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass wir eine Ökologisierung unseres Steuersystems brauchen. Wir müssen die Lohnnebenkosten deutlich senken und dafür die Kosten für den Verbrauch von Ressourcen erhöhen. (+) plus: Frau Baum-Rudischhauser, sind Ihrer Meinung nach die Weichen auf europäischer Ebene zur Stärkung des Recyclings richtig gestellt? Baum-Rudischhauser: Auf jeden Fall. Die Wirtschaftskrise hat in der Kommission eine starke Bewusstseinsveränderung in Richtung einer effizienteren Nutzung von Ressourcen bewirkt. Jetzt ist es wichtig, die europäischen Rahmenbedingungen zu verschärfen. Es gibt aber auch weitere Schrauben als die Erhöhung verpflichtender Quoten. Wir müssen danach trachten, dass die Deponierung in der Union zügig weiter abnimmt. Das heißt: von hinten zumachen, um den Druck auf den Markt zu erhöhen. (+) plus: Herr Schwarzer, welche Rolle soll der Staat aus Ihrer Sicht in Sachen Urban Mining spielen?Schwarzer: Ich denke, dass der Staat durchaus ein starker Staat sein soll. Ich glaube aber auch, dass ein schlanker Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert, fitter ist als ein fettleibiger Staat. Der Staat soll sich auch nicht selbst als Akteur in den Wettbewerb einbringen, in welcher Form auch immer. Der Staat soll Kontrollfunktionen ausüben, aber sich selbst zu beaufsichtigen ist schwierig. Auch der Innovationsgedanke passt besser zu privaten Unternehmen. (+) plus: Herr Holzer, Sie haben die Ökologisierung des Steuersystems angesprochen. Was kann man sich konkret darunter vorstellen?Holzer: Ich möchte festhalten, dass es nicht um neue Steuern geht, sondern darum, ein Steuersystem intelligent umzubauen. Wir müssen Unternehmen, die ressourceneffizient arbeiten, belohnen. Es muss doch möglich sein, so ein System zumindest zu diskutieren. Aber sobald man das Thema nur anspricht, ist man leider mit ablehnenden Haltungen konfrontiert.{youtube}0fMeT4xgH64{/youtube}