Verkehrsinfrastruktur im Wandel: Das Gespräch zu den Herausforderungen und Chancen von Mobilitätskonzepten und in der Vernetzung von Fahrzeugen, Infrastruktur und Menschen. Wie Fahrzeuge auf der Autobahn, bei der Parkplatzsuche und im intermodalen urbanen Umfeld ticken. Welche Servicemodelle und Dienstleistungen nun auf die Straße gebracht werden und welche Rolle die öffentliche Hand dabei spielen wird. Der Report brachte am 22. Juni in den Räumlichkeiten der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG) in der Wiener Innenstadt die digitalisierte Straße und die Mobilität der Zukunft zur Diskussion. »Eine Frage, die uns alle beschäftigt«, wie auch OCG-Gastgeberin Christine Wahlmüller-Schiller bestätigte. Insbesondere automatisierte Fahrzeuge sind im Mittelpunkt vieler Forschungsarbeiten und Gespräche. Die weiteren Partner des Report-Talks, der aufgrund der Rekordhitze Sakko-frei durchgeführt wurde: ITS Vienna Region, T-Systems und Radio Technikum.{youtube}0ZtxgGSTB88{/youtube}Report: Was bedeutet die Digitalisierung der Straße? Wie sieht unsere Zukunft dazu aus?Radu Grosu, TU Wien: Noch weniger Menschen werden selbst ein Auto besitzen. Sie werden bei Bedarf trotzdem stets die schönsten und neuesten Fahrzeuge nutzen. Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung einen Zugewinn an Freiheit bringen wird. Wenn man von A nach B gelangen möchte, wird man in Zukunft ein autonomes Fahrzeug einfach per App am Smartphone rufen. Man wird sich sogar das Modell aussuchen können. Ebenso werden die Parkplatzsuche und der Parkvorgang automatisiert. Und hoffentlich werden auch die Verkehrsunfälle dank Technologie weiter reduziert. Eine Herausforderung, die noch gelöst werden muss, ist die Kommunikation zwischen selbstfahrenden Autos und den Menschen. Hier brauchen wir noch wesentlich bessere Lösungen, damit menschliche und maschinelle Verkehrsteilnehmer einander verstehen und sich in kritischen Situationen gegenseitig richtig einschätzen können. Prinzipiell sollte es uns allen am Ende des Tages bessergehen. Und diejenigen, die weiterhin selbst am Steuer sitzen wollen, sollen dies auch dürfen. Alle anderen können während der Fahrt Zeitung lesen oder mit dem Partner telefonieren.Foto: Radu Grosu ist Leiter des Instituts für Computer Engineering TU Wien sowie Leiter des OCG-Arbeitskreises Cyber-physical Systems/Industrie 4.0Report: Womit beschäftigt sich der OCG-Arbeitskreis, den Sie leiten? Was davon findet auf der Straße statt?Grosu: Unsere Themen sind Cyber-physical Systems, kurz CPS, und »Internet of Things« – beide werden für Riesenveränderungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft sorgen. Das Internet der Dinge ist die Infrastruktur, die man für das Monitoring und die Kommunikation braucht. Es kann in drei Bereiche gegliedert werden. Zum einen ist dies der Schwarm an Geräten – verglichen mit den Zellen eines Körpers. Dann gibt es den »Fog«, das Rückgrat, und die »Cloud«, die analog dem Gehirn eines Organismus entspricht. Die Datenverarbeitung in diesen Systemen muss sehr schnell passieren, ähnlich den Reflexen, wenn man auf eine heiße Herdplatte greift und die Hand zurückzieht. Das ist die Aufgabe des Rückgrats. Dann lernt man, dass es keine gute Idee war, auf die Platte zu greifen – hier sind wir auf der Ebene des Machine Learning. Nun stellt sich die Frage: Was sind meine Anwendungen dazu? Was sollen diese bewirken? Wie stellen wir sicher, dass sich die Anwendungen so verhalten, wie wir das wollen? Das ist die Aufgabe von Cyber-physical Systems mit allen ihren Prognose- und Steuerungsmöglichkeiten. Hier beschäftigen wir uns mit der Anpassung des Verhaltens einer Anwendung auch an veränderte Umgebungen. Diese Systeme lassen sich unter dem Begriff »smart« zusammenfassen: Smart Farming, Smart Factory, Smart Healthcare oder Smart Mobility.Report: Wenn wir uns der Smart City zuwenden – womit beschäftigt sich ITS Vienna Region? Was sollten öffentliche Stellen zur Digitalisierung in der Stadt beitragen?Hans Fiby, ITS Vienna Region: Als Verkehrstelematik-Kompetenzzentrum für Wien, Niederösterreich und Burgenland bündelt ITS Vienna Region verschiedene Themen rund um Verkehrsdaten, -information und -steuerung. Am bekanntesten unter allen VerkehrsteilnehmerInnen ist sicher unser Service AnachB, das wir als App, Web, Widget und Schnittstelle anbieten. AnachB stellt Echtzeit-Verkehrsinformationen für alle Verkehrsmittel und deren Kombinationen – also zu Fuß gehen, Radfahren, öffentlicher Verkehr, Autos, Bike-and-Ride oder Park-and-Ride – zur Verfügung und schlägt für jedes Ziel verschiedene Möglichkeiten und Wege vor. Als Grundlage sammelt ITS Vienna Region Verkehrsdaten aus zahlreichen Quellen – etwa Floating Car Data, Meldungen oder auch Daten von straßenseitiger Sensorik, bereitet diese auf und berechnet daraus Verkehrslage und Reisezeiten. Und das nicht nur für den aktuellen Zeitpunkt sondern auch für die nahe Zukunft. Die Daten sind auch eine wichtige Grundlage für digitale Verwaltungsvorgänge.Foto: Hans Fiby ist Leiter von ITS Vienna RegionReport: Services für urbane Mobilität – geht es hier um eine Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Anbietern? Wer kann dies besser bewerkstelligen?Fiby: Ich gehe davon aus, dass es immer eine Kombination sein wird – das funktioniert auch heute bereits gut. Wie ein Taxi gefunden und gerufen wird, wie man den öffentlichen Verkehr nutzt, auf welche Weise der Fahrer bezahlt oder wie ein U-Bahn-Ticket erworben wird – all diese Aspekte und Vorgänge sind Teil eines Gesamtsystems. Gewisse Informationen und Prozesse, wie etwa Ampelsteuerungen, werden wohl immer von der öffentlichen Hand kommen. Auch die Anmeldung einer Baustelle bedingt immer einen bestimmten Prozess innerhalb der öffentlichen Verwaltung. Aber erst wenn der entsprechende Bescheid nicht nur in Textform vorliegt, sondern alle Informationen auch georeferenziert und mit klaren gemeinsamen Standards dokumentiert sind – etwa, ob und welche Fahrspuren nur eingeschränkt benutzbar sind – werden daraus wertvolle und nutzbare Beiträge für digitale Verkehrsservices, Steuerungs- und -informationssysteme. Solche verfügbaren Daten der öffentlichen Hand, oft auch als ›Open Government Data‹, haben das Potenzial für eine vielseitige Zusammenarbeit mit privaten Partnern. Sie fördern aber auch die effiziente Kooperation innerhalb der Verwaltung, indem der interne Datenaustausch zwischen Abteilungen einfacher wird.Und darüber hinaus gibt es auch noch viele andere Formen der Zusammenarbeit, etwa mit kommerziellen Anbietern im Payment-Bereich. Die öffentliche Hand ist prädestiniert für den diskriminierungsfreien Betrieb einer unabhängigen Plattform zur Integration kostenpflichtiger Verkehrsangebote.Report: Was bedeutet für Sie die Digitalisierung der Straße, Herr Decker? Welchen Beitrag leistet dazu die Deutsche Telekom?Alexander Decker, T-Systems: Digitalisierung auf der Straße bedeutet für mich im Wesentlichen das Zusammenspiel von drei Komponenten: Machine-to-Machine-Computing, das Sammeln von Sensordaten von Verkehrsteilnehmern und Verkehrsinfrastruktur in einer Cloud, und schließlich die Umwandlung dieser Daten mit Big-Data-Analysen in nützliche Informationen für Steuerungsmöglichkeiten. Die Vernetzung von Verkehrsteilnehmern, -mitteln und -infrastruktur hilft mir bei der Wahl des richtigen Mobilitätsmodells. Das kann die Information zu einem Stau sein, noch bevor ich überhaupt ins Auto steige.Die Deutsche Telekom ist Infrastrukturprovider dazu und deckt mit ihren Lösungen prinzipiell alle drei Komponenten ab. Sie werden heute keinen BMW mehr finden, in dem nicht eine Magenta-SIM-Card steckt. Und in unseren Rechenzentren aggregieren Unternehmenskunden ihre Daten, unterstützt auch von Data-Scientists. Diese haben vielfach keinen Informatikhintergrund mehr, sondern großes Fachwissen, um Daten für Predictive Maintenance oder Wetterprognosen aufzuarbeiten.Foto: Alexander Decker ist Manager bei T-Systems für Strategic Projects & InnovationReport: Wieso spielt die Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur für den Durchbruch von E-Mobilität eine Rolle?Decker: Elektromobilität funktioniert aufgrund des Reichweiten- und Ladethemas derzeit noch völlig anders als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Hier wird es eine Steuerung und Vernetzung von Verkehrsteilnehmern und Infrastruktur geben müssen. Der Automobilhersteller Daimler hat dazu den Begriff »CASE – Connected, Autonomous, Shared and Electric« geprägt. Das beschreibt aus meiner Sicht die Zukunft des Automobils sehr gut. Sharing wird erst dann vernünftig funktionieren, wenn das Fahrzeug autonom die letzten paar hundert Meter vom Parkplatz zu mir gelangen kann und mit einem rein elektrischen Antrieb wesentlich weniger Wartung erfordert. Es werden dann hoffentlich Fahrzeuge auch nicht mehr 80 oder 90 Prozent ihrer Zeit nutzlos stehen, sondern in Bewegung sein.Report: Wir haben nun viel über Technologie gesprochen – welche Herausforderungen sehen Sie, Frau Knoll, wenn wir den Menschen in der Verkehrsplanung und bei Mobilitätskonzepten beachten?Bente Knoll, B-NK: Ich bin Landschafts- und Verkehrsplanerin und sehe den Fokus auf den Faktor Mensch unerlässlich, wenn wir uns mit technologischen Artefakten jeder Art – von der einfachen Straße bis zu den hier genannten Zukunftsvisionen – beschäftigen. Die Verkehrsplanung hatte als ingenieurswissenschaftliche Disziplin den Menschen bislang nur ein bisschen am Rande im Auge – aber nicht im Zentrum. Bei den Computerwissenschaften ist es ja ähnlich. Wenn ich nun höre, dass die Digitalisierung allgemein Komfort und Freiheit bringen wird, erscheint mir dies zu kurz gegriffen. Menschen sind vielfältig, es gibt ganz unterschiedliche Personen und Personengruppen, die verschiedenen Vorerfahrungen und Ansprüche an Technologien haben. Wir brauchen also auch in der Verkehrsplanung dringend differenzierte Sichtweisen, und deshalb beschäftigen wir uns in unserer Arbeit auch mit den Themen Gender und Diversity in diesem Zusammenhang. Foto: Bente Knoll ist Geschäftsführerin des Büros für nachhaltige Kompetenz B-NK GmbHReport: Was kann man und frau sich darunter vorstellen? Warum ist diese Berücksichtigung auf der Straße wichtig?Knoll: Die Gender- und Diversity-Perspektive lädt ein, kritische Fragen zu stellen und Normen zu hinterfragen. Der Mensch – der »Mann« oder die »Frau« – wird nicht mit Schablonen, sondern in seiner tatsächlichen Vielfalt gesehen. Studien zufolge gibt es beim Mobilitätsverhalten keine großen Unterschiede mehr zwischen Männern oder Frauen, die unterwegs sind. Signifikante Unterschiede zeigen sich, wenn Personen, die aktiv im Alltag Betreuungspflichten für andere übernehmen, mit Personen, die das nicht tun, verglichen werden. Bin ich im öffentlichen Raum gemeinsam mit Kindern mobil, benötige ich völlig andere Verkehrsinformationen und Services.Dies gilt auch für andere Gruppen: Wir beschäftigen uns in einem aktuellen Forschungsprojekt mit Mobilität von Menschen mit Demenz. Die Informationen, die diese Personengruppe braucht, finden wir noch nicht bei den Verkehrsinformationssystemen. Solche besonderen Informationen könnten dann auch Kinderwagen- und Rollstuhlplätze betreffen. Der Faktor Mensch muss umfassend berücksichtigt werden.Report: Arbeitet ITS Vienna Region daran, auch solche Informationen zu integrieren?Fiby: Ja, wir arbeiten seit langem auch an diesem Thema. Wir haben aber rasch festgestellt, dass hier eine unglaublich große und anfänglich nicht vermutete Bandbreite aufgeht. So sind auch Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, natürlich keine homogene Gruppe – Einschränkungen gibt es in unterschiedlichsten Ausprägungen und Dimensionen. Es ist viel individuelle Information nötig, um die verschiedenen Bedürfnisse zu befriedigen.Report: Wenn wir auf autonome System zurückkommen – gibt es nicht auch die Gefahr, dass der Mensch hier auf eine Netzwerkkomponente reduziert wird? Wie sehen Sie das als Techniker?Grosu: Wir dürfen nicht die Maschinen die Entscheidungen treffen lassen, das sollte immer Aufgabe des Menschen bleiben. Die modernsten Maschinen oder Autos, die heute gebaut werden, haben grob gesagt nicht einmal die Intelligenz einer Kakerlake. Der Mensch mit seinen Trillionen Neuronen und Vernetzungen ist unendlich intelligenter als die Maschine. Es wird noch sehr lange dauern, bis die Technik nur einen Bruchteil dieser Intelligenz haben wird. Die zentrale Frage ist, wer etwa bei einem Unfall zwischen einem Menschen und einem selbstfahrenden Auto die Verantwortung trägt. Ist es der Fahrzeughersteller oder der Mobilitätsanbieter? Ist es ein Sensorhersteller? Dies wird sicherlich auch eine eigene Gesetzgebung brauchen. Ich bin überzeugt: Wenn sich autonomes Fahren durchsetzt, dann eher in geschlossenen, kontrollierbaren Umgebungen – dort wo die Vernetzung und Kommunikation von Verkehrsteilnehmern klaren Regeln folgt.Report: Wenn lokal emissionsfreie E-Automobile auf dem Vormarsch sind, warum ist intermodale Verkehrsplanung trotzdem für den urbanen Raum wichtig?Decker: Auch Elektroautos brauchen Parkplätze und können genauso Staus verursachen. Im innerstädtischen Bereich ist der motorisierte Individualverkehr immer noch eine eher schlechte Wahl. Lediglich die Antriebsart eines Fahrzeugs zu verändern wird vielleicht die Luft verbessern, aber die Verkehrssituation weiter verschlechtern.Gerade für die Peripherie, für das Leben am Stadtrand, ist Intermodalität wichtig. Trotzdem ist heute der Besitz eines eigenen Fahrzeugs immer noch mit viel Emotion verbunden, auch wenn dies nicht immer sinnvoll ist. Es ist ja komisch: Eine 15-Euro-Taxifahrt sehen viele als Luxus. Dass ich bei einem Fahrzeug, das den ganzen Tag in der Garage steht, täglich mehr Geld verliere, nimmt man dagegen nicht wahr.Ich glaube fest daran, dass sich künftig Mobilitätspakete durchsetzen werden. Bei diesen zahlt man einen monatlichen Pauschalpreis nicht für ein bestimmtes Fahrzeug, sondern für Mobilität als Service. Wenn so etwas bequem genutzt werden kann – ein Carsharing-Angebot vielleicht in Kombination mit den Öffis –, wird das auch angenommen.Knoll: Die große Herausforderung bei der Digitalisierung der Straße wird immer die möglichst umfassende Bereitstellung von Information sein. Nicht nur Sensordaten, sondern auch die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer selbst werden dazu beitragen können, Stichwort »Citizen Science«. So wie man es etwa bei Ökologieprojekten bereits kennt, bei denen Schmetterlinge gezählt werden, kann die Bevölkerung auch im Verkehrsbereich zum Datensammeln angeregt werden. Das ist vor allem eine Chance, um qualitativ hochwertigere Informationen in ein System einzuspeisen.Kritisch sehe ich das Thema autonomes Fahren. Wenn diese Maschinen derzeit noch so wenig Intelligenz haben, möchte ich mich auf so etwas auch nicht im Straßenverkehr verlassen. Weiters im Publikum diskutierten unter anderen:Johannes Freudenthaler von Ibiola Mobility Solutions sieht autonome Fahrzeuge in der Stadt weniger als Fortschritt, es brauche eine Veränderung von Mobilitätskonzepten. Christian Adelsberger vom Start-up Parkbob erläuterte das Geschäftsmodell, Informationen zu Parkplätzen zu digitalisieren und der Community bereitzustellen.