Innovation gehört zweifellos zu den Zauberworten unserer Epoche. Die Hervorbringung und Durchsetzung des Neuen - so könnte man den Begriff "Innovation" umschreiben - verspricht nicht nur Verbesserungen in unterschiedlichen Sektoren der Wissenschaft, der Technik und der ökonomie, sondern erscheint uns als das Positive schlechthin. Die Moderne ist gekennzeichnet von dem Glauben, dass das Neue immer besser ist das Alte, dass jede Innovation einen Vorteil bringt und dass Zukunftschancen allein durch Innovationen eröffnet und gestaltet werden können. Vieles an dieser Euphorie hat gute Gründe. Allerdings war dies nicht immer so. In der Antike und im Mittelalter hatte das Neue keinen guten Ruf, und dies aus einem einfachen logischen Grund: das Neue muss sich erst bewähren. Ob es sich um sinnvolle und durchsetzbare Errungenschaften handelt, muss sich erst herausstellen, während das Alte, dessen man sich noch immer bedient, diese Bewährungsproben schon hinter sich hat. Philosophen wie Arthur Schopenhauer oder Friedrich Nietzsche bezweifelten noch im 19. Jahrhundert - eine Zeit stürmischer Erfindungen und ungeheurer technologischer Entwicklungsschübe - den bedingungslosen Vorrang des Neuen gegenüber dem Alten. Dass das Neue auch der Unausgegorene, Ungestüme, Oberflächliche und Kurzlebige sein kann, ist eine Einsicht, die wir nahezu vergessen haben. Dass manche Dinge Zeit und Reifungsprozesse brauchen, können wir gerade noch dem Wein oder Whiskey konzedieren, ansonsten können wir es gar nicht erwarten, dass das, was ist, durch etwas Neues abgelöst wird.Was bedeutet dies? Das Neue ist auch des Neuen Fluch. Nichts altert so schnell wie das Neue, nichts verblasst so rasch wie eine Innovation. Wir bewegen uns deshalb in einer sich immer rascher drehenden Innovationsspirale, denn jede Neuerung, die sich nur einige Zeit halten kann, gilt als veraltet und muss rasch überboten werden. Das hat damit zu tun, dass wir Innovationen fast ausschließlich im Bereich der Technologien ansiedeln und fast all unsere Hoffnungen in diese setzen. Von dort beziehen wird das Bild eines sich beschleunigenden Erkenntnisfortschritts, immer rascher wachsender Möglichkeiten, immer leistungsfähigerer, faszinierender Anwendungen. Die Bedeutung der Innovation im Bereich von Wissenschaft und Technik ist unbestritten. Allerdings könnte man auch hier die etwas polemische Frage stellen, ob das Neue immer neu oder nur das Alte in einem neuen Gewande ist. Stellt die Telekommunikation wirklich etwas Neues dar oder handelt es sich nur um eine etwas komplexere Form von Rauchzeichen, also um eine Variante, ein Urbedürfnis des Menschen zu befriedigen: miteinander auch über große Distanzen zu kommunizieren.Doch abgesehen von solchen Spitzfindigkeiten: Was uns am Kult der Innovation zu denken geben sollte, ist, dass wir in den wichtigsten Bereichen des menschliche Lebens offenbar innovationsunfähig sind. Im Umgang mit unseresgleichen verhalten wir uns nicht wesentlich anders als Menschen vor Jahrtausenden. Nicht nur dass wir in unseren Gefühlen, unmittelbaren Reaktionen und Affekten nach ziemlich alten Mustern funktionieren, kehren wir im Bereich des Sozialen, Politischen und Emotionalen auch immer wieder zu schon überwunden geglaubten Konzepten und Vorstellungen zurück. Und dass wir Konflikte aller Art noch immer durch Kämpfe und Kriege lösen - wenn auch mit tötungseffizienteren Technologien -, müsste uns eigentlich zwingen, über unsere tatsächliche Innovationskraft etwas bescheidener zu denken. Zur PersonKonrad Paul Liessmann ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Seit 1996 ist Liessmann wissenschaftlicher Leiter des "Philosophicum Lech". Soeben ist bei Zsolnay erschienen: "Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft"