Der Kampf um das »geistige Eigentum« eskaliert zum Krieg. Was dahintersteckt, wie wichtig Patente für Österreichs Industrie und Wirtschaft sind und wie heimische KMU den Weg zum Patent finden. Text: Heinz van Saanen Die Wirtschaft ist kein Mädchenpensionat. Entsprechend ruppig kann es dann zugehen, wenn sich die großen Spieler so richtig in die Haare kriegen. Gespielt wird direkt und brutal, manchmal auch über die Bande oder mit kleinen und schmutzigen Fouls. Um sich unliebsame Konkurrenten vom Hals zu halten, sind Patente besonders beliebt. Einerseits lassen die Schutzansprüche für Erfindungen auf dem Weg von Lizenzzahlungen die eigene Kassa klingeln und die Konkurrenz bluten. Andererseits sind die Schutzansprüche ein probates Mittel, um Mitbewerber im Markt kleinzuhalten oder überhaupt am Markteintritt zu hindern. Vor allem die Riesen der IT-Branche legen fast schon gigantisch zu nennende Patent-portfolios an. Rekordhalter IBM übertraf sich letztes Jahr selbst und meldete 2010 knapp 6.000 Patente an – bald 20 pro Tag. Konkurrent Microsoft brachte es immerhin noch auf rund 3.000 Anmeldungen. Die Flut von Patenten schwillt seit Jahren unaufhörlich an. Noch Anfang der 90er brachte es selbst IBM gerade einmal auf rund 1.000 Patente pro Jahr. Für „Big Blue“ ist der riesige Patentpool so etwas wie eine Lebensversicherung. Einen ernsthaften Patentkrieg mit IBM erwägen wohl nicht einmal die kühnsten Mitbewerber. Schon eher wahrscheinlich ist, dass Konflikte im Weg von wechselseitigen Kreuz-Lizenzierungen bereinigt werden. Der Chip-Riese Intel, AMD und IBM gehen etwa bei Prozessortechnik gerne so vor.Gleichzeitig sind die Schutzansprüche für IBM eine endlos sprudelnde Geldquelle. Berühmt-berüchtigt war etwa das »A20-Gate« – eine technologisch fragwürdige Simpelschaltung, über die sich jeder CPU-Hersteller dieser Welt nicht nur grün und blau ärgerte, sondern dafür auch noch jahrzehntelang Lizenzgebühren blechte. Um »geistiges Eigentum« wurde schon häufig spektakulär gestritten. Ende letzten Jahres ist in der Mobilfunkbranche ein regelrechter Patentkrieg ausgebrochen. Fast jeder streitet mit jedem, die Teilnehmer rekrutieren sich aus allen Lagern. Im Brennpunkt stehen mobile »Gadgets« wie iPhone, iPad oder Smartphone-Technologien auf Basis von Googles Mobilbetriebssystem Android. Kurz vor Weihnachten legte etwa Motorola im Streit mit Microsoft nach und brachte zusätzlich zu den bereits gerichtsanhängigen Verfahren noch eine Beschwerde bei der US-Handelsaufsicht ein. Auch Oracle und Google liegen sich in den Haaren. Google soll Code-Schnippsel aus Oracles Java geklaut haben. Im November schlug der Suchmaschinenprimus zurück und bezichtigte Oracle der Beweismanipulation. Nokia liegt wiederum im Clinch mit Apple. Der iPhone-Produzent brachte letztes Jahr eigene Patente in Stellung. Die Finnen schlugen zurück und revanchierten sich nach England und Holland wenige Tage vor Weihnachten auch noch in Deutschland mit Gegenklagen.Ramschpatente versus Qualität Neben Nokia steht Apple gleichzeitig auch noch mit Motorola oder dem Handyhersteller HTC im Ring. Im Dezember ergänzte Apple seine gegen Motorola laufenden US-Klagen um ein weiteres Dutzend Patente. Die Kriegskasse von Apple ist dank der diversen »i-Booms« gut gefüllt. Trotzdem wird spannend, wie sich die Kalifornier in den diversen Patentkriegen schlagen werden. In Cupertino sammelt man zwar seit Jahren Patente rund um Smartphone-Technologien. So richtig technisch klingen aber Erfindungen wie eine Lasche, die beim zu weiten Öffnen eines Gehäusedeckels reißt, aber auch wieder nicht. Nokia oder Motorola halten hingegen unzählige Schutzansprüche, die »harte« Kerntechnologien des Mobilfunks abdecken. Als ob die Lage im Mobilsektor nicht ohnehin schon unübersichtlich genug wäre, treten neben den klassischen Spielern noch »Patenttrolle« auf, wie reine Patentverwerter genannt werden. Solche Patenthaie segeln im Windschatten des liberalen US-Patentrechts, das kaum Einschränkungen kennt und eine erdrückende Flut von trivialen Ramschpatenten erzeugt. An der rechtlichen Wirksamkeit ändert die aus europäischer Sicht oft gänzlich fehlende Erfindungshöhe – zumindest in den USA – freilich nichts. So schlummert in Microsofts Patentportfolio seit 2003 etwa der »is not«-Operator, mit dem freilich schon Steinzeitmenschen logische Überlegungen angestellt haben dürften. Die banale Idee einer schwarzen Liste hat wiederum Amazon in einem 25-seitigen Antrag zum »Geschenkschutz« vor unerwünschten Präsenten ausgebaut.In Österreich ticken die Uhren anders. Wer hierzulande ein Patent anmeldet, muss mit einer neuen Idee überzeugen, der zudem noch eine minimale Erfindungshöhe nicht abzusprechen ist. Mathematische Methoden, Geschäftsprozesse oder Software bleiben damit außen vor. »Mit der Qualität der erteilten Patente liegen wir im europäischen Spitzenfeld«, so Friedrich Rödler, Präsident des Österreichischen Patentamtes. Die Österreicher dürften strengere Maßstäbe anlegen als ihre Kollegen vom Europäischen Patentamt (EPA) in München. Zwar gelten die genannten Einschränkungen auch für die Münchener, das EPA gerät durch fragwürdige Patenterteilungen jedoch immer wieder in das Schussfeld der Kritik. So sollen zehntausende von Software- und Trivialpatenten von der EPA – gegen geltendes Recht – für schutzwürdig befunden worden sein. Erst jüngst mussten die Münchener zurückrudern. Nach heftiger öffentlicher Schelte nahm die Beschwerdekammer zwei umstrittene Patente für eine spezielle Sorte und biologische Züchtungsverfahren für Brokkoli wieder zurück. Demnächst dürfte es auch einer ähnlichen »Erfindung« für Paradeiser an den Kragen gehen. Pflanzensorten oder Tierarten sind so wie in Wien eigentlich auch in München nicht patentierbar. Kritik am EPA wird immer wieder laut. München wirke wie ein Magnet für politische Einflussnahmen und Wirtschaftslobbyisten, ist zu hören.Preiswerte Nationalpatente Im Vergleich zu Österreich gilt auch die lange durchschnittliche Verfahrensdauer als schleppend. Wie gemunkelt wird, nehmen das heimische Patentanwälte manchmal bewusst in Kau, um fragwürdige Erfindungen durchzubringen, deren Erfolgsaussichten in Wien eher bescheiden wären. Dabei sind die formalen Hürden, die das heimische Patentamt aufstellt, äußerst bescheiden. Vorausgesetzt, Neuheit und Erfindungshöhe sind erfüllt, genügt ein schlanker Antrag, und im besten Fall ist man bereits ein halbes Jahr später Inhaber eines nationalen Patents. Andere Patentämter brauchen schon so lange, um einen Eingangsstempel zu platzieren. Die Verfahrensdauer hängt naturgemäß stark von der Komplexität der Patentrecherche ab. Die Kosten für den Antrag sind überschaubar und beginnen bei 230 Euro. Die Durchschnittskosten für eine nationale Patentanmeldung liegen – inklusive Erteilung und Veröffentlichung – bei mindestens 430 Euro. Regelmäßige Jahresgebühren werden ab dem sechsten Jahr fällig. Die Gebühren beginnen bei 100 Euro und steigen bis zu 1.700 Euro im zwanzigsten Jahr. Danach ist das Patent abgelaufen. Unangefochtener Spitzenreiter in der heimischen Anmeldestatistik ist der steirische Motorenbauer AVL List (siehe Kasten). Siemens wurde vom Heiztechnik-Hersteller Vaillant diesmal knapp auf Platz drei verwiesen.Im Bundesländerranking führt wenig überraschend der Industriestandort Oberösterreich, gefolgt von Wien, der Steiermark und Niederösterreich. Unmittelbar dahinter platziert sich bereits das kleine Vorarlberg, das pro Kopf gerechnet sogar alle anderen Bundesländer überflügelt. Maßgeblichen Anteil an dieser Sonderstellung hat der Feldkircher Beschlägehersteller Julius Blum. Bei den Universitäten liegen naturgemäß die Techniker vorne. So brachte es die Technische Uni Graz auf acht Anmeldungen, die TU Wien knapp dahinter auf sieben. Vergleichsweise rührig waren noch die Tiroler. Uni und MedUni Innsbruck brachten es gemeinsam auf vier Anmeldungen. Rund ein Dutzend weitere Bildungs- und Forschungseinrichtungen bessern die Statistik mit einer Anmeldung auf. Kaum beeinträchtigt wurde die Patentstatistik – ganz im Gegensatz zu Markenregistrierungen – durch die Wirtschaftskrise. Aber vielleicht ist das in Zukunft ohnehin alles bedeutungslos. IBM meldete in den USA gerade so etwas wie die Mutter aller Patente an. Eine datenbankgestützte Software generiert und kontrolliert vollautomatisch das Erzeugen und Verwalten von Erfindungen und beschreibt die dafür notwendigen Prozesse akribisch im Detail. Wie Skeptiker befürchten, ist das nichts anderes als ein Patent auf den Vorgang des Patentierens. Wenn dieses Szenario jemals Wirklichkeit werden sollte, ist das Patentsystem wohl endgültig an sich selbst gescheitert.