Die jüngste Italien-Krise ist überstanden. Alle sind erleichtert, die Kurse von Aktien steigen. Bloomberg hatte auf dem Höhepunkt der Krise getitelt, es fühle sich an wie 2012, Italien sei Griechenland mal zehn. Guter Vergleich.
Was für ein bizarres Kasperle-Theater: Nachdem die Parlamentswahlen in Italien Anfang März zunächst zu einer Patt-Situation im Parlament geführt hatten, wurde schließlich eine Koalitionsregierung zusammengezimmert. Die lehnte Staatspräsident Mattarella Ende Mai ab, weil ein Euro-Kritiker als Finanzminister benannt worden war. Einige Tage später stimmte er einer neuen Regierung zu, in der eben dieser Kritiker nun Minister für europäische Angelegenheiten ist.
Die beiden Parteien in der Regierung waren in der Parlamentswahl angetreten mit dem Versprechen, ein Grundeinkommen einzuführen und die Steuern zu senken. Das würde die Staatsverschuldung von 2,3 Bill. Euro um geschätzte 180 Mrd. Euro steigern. Um die Finanzierung zu erleichtern und sich ein Stück weit vom Euro abzukoppeln, denkt die Regierungskoalition über einen „mini-BOT“ nach, eine Art Parallelwährung, die wahrscheinlich zwischen 5% und 10% niedriger gehandelt würde als der Euro.
Italien ist mit seiner Staatsverschuldung von 132% des BIP nicht das einzige Problem der Eurozone. Deutschland weist einen starken, nachhaltigen Handelsbilanzüberschuss gegenüber dem Rest der Eurozone aus und finanziert die Nachfrage der Partner „großzügig“. Das schlägt sich u.a. im Target-Saldo des Eurosystems nieder, hier stehen Forderungen von 902 Mrd. Euro gegenüber den anderen Mitgliedern der Eurozone. Diese Forderungen sind weder besichert, noch werden dafür Zinsen bezahlt. Wer glaubt, dass diese jemals wieder hereinkommen?
Ein wichtiger Teil dieser Forderungen steht in den Büchern europäischer Banken. Das Kreditrating der Deutschen Bank wurde erst kürzlich auf BBB+ gesenkt, andere deutsche Banken könnten folgen. Was ein Vorteil der deutschen Wirtschaft ist, ist ein Nachteil insbesondere der südlichen Peripherie der Eurozone. Hier müssen die Löhne immer weiter sinken, um Güter von dort konkurrenzfähig zu machen. Abgesehen davon hat die deutsche (Export-)Wirtschaft in den zurückliegenden Jahren auch über den Eurokrisen-bedingt schwachen Euro-Kurs massiv profitiert.
Der frühere Chef-Volkswirt der BIS, der „Zentralbank der Zentralbanken“, William White, sagte angesichts der überbordenden weltweiten Verschuldung, der Auslöser einer Krise kann irgendetwas sein, seine Bedeutung muss nicht einmal in irgendeiner Relation zum Gesamtsystem stehen. Daher sollte man sich nicht mit möglichen Auslösern einer Krise beschäftigen, sondern frühzeitig Zeichen möglicher Instabilitäten identifizieren.
Italien gehört ganz sicher dazu. Dazu der Chart der Rendite der zweijährigen itanienischen Staatsanleihen. Würde man in diesem nach Hinweisen auf einen möglichen Krisentrigger gesucht haben, hätte man zu dem Schluss kommen müssen, mit Italien ist alles in Ordnung. Bis Mitte Mai lag die Rendite sogar im negativen Bereich – ein Land mit der nach Griechenland zweithöchsten Schuldenquote in der Eurozone bekam noch Geld, wenn es sich weiter verschuldete. Dann schoss die Rendite im Kontext der Regierungskrise bis auf 2,4% in die Höhe und fiel nach „genehmigter“ Regierung bis auf unter 0,8%. Jetzt scheint sie sich irgendwo bei 1,5% einzupendeln (Chartquelle).
Die Euro-Währungsunion lässt alle Mitglieder ihre eigene Fiskalpolitik machen. Das mag ja mal übergangsweise funktionieren, kann aber keine Dauerlösung sein. Genau das ist es aber, es war einer der Eckpfeiler, auf die sich die Gründungsmitglieder verständigt haben. Die europäischen Regierungen haben unvereinbare Interessen. Das mag an Geschichte und Geographie liegen, auf europäischem Boden gab es jahrhundertelang Kriege. Die Abwesenheit von Krieg mit militärischen Mitteln wurde erreicht, der Krieg um die eigenen wirtschaftlichen Pfründe geht weiter. Im Grunde hat sich nichts geändert, auch der bewaffnete Krieg dient letztlich immer wirtschaftlichen Interessen.
An diesem Grundproblem ändert auch die EZB nichts, wie kreativ sie auch immer bei der Erfindung neuer Finanzinstrumente und Programme vorgeht, um die Risse in der Eurozone zu kitten. Es trifft zu, was Ludwig von Mises vor Jahrzehnten sagte: „Durch Kunstgriffe der Bank- und Währungspolitik kann man nur vorübergehende Scheinbesserung erzielen, die dann zu umso schwererer Katastrophe führen muss. Denn der Schaden, der durch Anwendung solcher Mittel dem Volkswohlstand zugefügt wird, ist umso größer, je länger es gelungen ist, die Scheinblüte durch Schaffung zusätzlicher Kredite vorzutäuschen.“
Würde es tatsächlich in Italien zur Einführung des „mini-BOT“ kommen, muss sich die EZB etwas einfallen lassen. Denn das würde sofort weltweit Zweifel am Bestand des Euro aufkommen lassen und natürlich auch andere besonders Schulden-geplagte Euro-Länder auf ähnliche Ideen bringen. Selbst wenn es nicht dazu kommt, wäre das ein effektives Druckmittel, um der EZB weitere „Innovationen“ abzuringen. Der deutschen Export-Industrie würde ein solchermaßen unter Druck kommender Euro in die Hände spielen, aber möglicherweise gibt es dann ganz andere Widrigkeiten.
Die hinter der Italienkrise stehende „Mutter aller Krisen“ ist der mittlerweile erreichte enorme Verschuldungsgrad. Er liegt weltweit bei knapp 300% in Bezug auf das BIP (siehe auch hier!). Die entwickelten Länder sind weit höher verschuldet als die Emerging Markets mit 210%. Aber bei diesen ist die Gefahr eines „Betriebsunfalls“ deswegen nicht kleiner, sind ihre Finanzierungsquellen doch häufig weniger stabil (Chartquelle nach Zahlen des IIF).
So lange mit Schulden Produktivität finanziert wird, besteht die Chance, den Schuldendienst aus zusätzlichem Einkommen heraus zu finanzieren. Aber dieser Punkt ist längst überschritten. Ein immer größerer Teil neuer Schulden wird zur Refinanzierung alter Schulden oder für privaten und staatlichen Verbrauch verwendet.
Das führt zu der Erkenntnis, dass der angehäufte Schuldenberg überhaupt nicht mehr abgetragen werden kann. Und das gilt erst recht, wenn man nicht-bilanzierte Verbindlichkeiten wie etwa Pensions- und Rentenansprüche mit einbezieht. Für die USA hat das Congressional Budget Office (CBO) unter Annahme eines beständigen Wirtschaftswachstums von 3% p.a. ausgerechet, dass innerhalb der nächsten 18 Jahre das gesamte Steueraufkommen hierfür eingesetzt werden muss. In Deutschland müssen die Lohn- und Einkommenssteuern nach Berechnungen der Deutschen Bank bis 2045 auf 80% steigen, um Renten und Pensionen zu finanzieren.
Nach 2007 stiegen die Staatsschulden besonders stark an. Das hat in erster Linie mit der Rettung des Finanzsystems nach dem Kollaps in 2008 zu tun. Aber auch die Unternehmen (non-financial) sahen keinen Anlass, ihre Neuverschuldung zurückzufahren, ermuntert durch die Geldflut der Zentrabanken zur Bekämpfung der Finanzkrise. Hätten sie damit produktive Innovationen finanziert, wäre das zu begrüßen gewesen. Stattdessen dienten neue Unternehmensschulden häufig dazu, eigene Aktien zurück zu kaufen. Aktionäre freut das, fragt sich nur, wie lange. Unproduktiver lassen sich Firmenschulden kaum einsetzen. Wie stark der Umfang der Aktienrückkäufe in den zurückliegenden Monaten zugenommen hat, zeigt der folgende Chart (Chartquelle).
Aktienrückkäufe lassen die Bewertung eines Unternehmens attraktiver aussehen, seine Finanzsituation entwickelt sich jedoch in eine ungünstige Richtung. Das ist ein Problemkreis, den man hinsichtlich künftiger Instabilitäten beachten muss, ich hatte mich hier damit zuletzt näher befasst, dabei spielen auch die näher rückenden Refinanzierungen eine Rolle. Kleinere Unternehmen haben hier weniger Spielraum, erst recht mit schlechtem Kreditrating (hi-yield – Junk). Seit der Rezession 2008 hat sich der gemittelte Schuldenhebel der nicht-Finanz-Unternehmen in den USA von 3,4 auf 4,1 gesteigert. Haben die Firmenlenker nichts gelernt? Vielleicht doch – wenn sie davon ausgehen, dass die Fed sie schon retten wird.
Eine weitere Quelle von Instabilitäten ist bei den Emerging Markets angesiedelt. Diese sind zwar als Gruppe niedriger verschuldet als die entwickelten Länder. Aber ihre Finanzierungsquellen sind häufig instabil. Für einen Renditeaufschlag von ein, zwei Prozent greifen „westliche“ Anleger hier zwar gerne zu. Aber eine langfristige verlässliche Finanzierung ergibt sich daraus gewöhnlich nicht.
Bis 2020 müssen in den Emerging Markets etwas 4,8 Bill. Dollar refinanziert werden (Chartquelle).
Die Kreditratings sind per Saldo rückläufig. Wenn das so bleibt und wenn sich die Zinsen zumindest in den USA weiter aufwärts bewegen, wird dies nur zu höheren Zinsen möglich sein. Entwickelt der Dollar Stärke, wäre das ein zusätzliches Problem.
Was führt aus der Blase nicht rückzahlbarer Schulden heraus? Zentralbanken könnten diese in ihre Bilanz übernehmen – eine scheinbare einfache Lösung, sie können nicht pleite gehen. Den Schulden des einen steht eine Forderung des anderen gegenüber. Was passiert dann mit der Forderung? Würde sie mit frischen Zentralbankgeld beglichen, dürfte das genauso wenig werthaltig sein wie die Schulden. Ein Schuldenschnitt wirkt ähnlich Asset-vernichtend. Also werden lieber neue Schulden gemacht…
[Unter Verwendung von Material aus Debt Clock Ticking]
Die Italien-Krise ruft ins Gedächtnis, dass die Eurozone weit von Stabilität entfernt ist. Dahinter steht letztlich eine gewaltige globale Blase von Schulden, die nicht mehr zurückgezahlt werden können. Auf dieser Grundlage gibt es zwei weitere Problemkreise im Bereich der seit 2008 deutlich gewachsenen Unternehmensverschuldung und im Bereich der Emerging Markets. Ein Funke kann zu einem Flächenbrand führen.