US-Aktien haben gestern in den letzten Handelsminuten noch neue Rekordhochs herausgequetscht, nachdem Dow und S&P 500 zuvor geschwächelt hatten. Manchmal sagen solche minimalen Bewegungen einiges aus – in diesem Fall haben wohl große Akteure vor dem langem Feiertagswochenende in den USA dafür gesorgt, dass das Bild vordergründig weiter positiv aussieht.
Im VIX stecken häufig frühe Hinweise auf künftige Kursänderungen. So hat Tom McClellan jetzt darauf hingewiesen, dass der Preis der teuersten VIX-Future-Kontrakte (also in aller Regel die mit der längsten Laufzeit) zu sinken beginnt. Trotz der Tatsache, dass der Spotpreis des VIX seit Juli 2016 fast ausschließlich unter 15 lag, blieb der teuerste VIX-Future-Kontrakt bisher über 20. Das änderte sich erst vor wenigen Tagen, am 15. Februar wurden lediglich 17,675 bezahlt, das ist der tiefste Wert seit August 2015, bevor es zum China-befeuerten Mini-Crash kam.
Werte unter 18 für den teuersten VIX-Kontrakt sind selten, sie zeigen übergroße Sorglosigkeit und das fällt gewöhnlich mit signifikanten Topps bei Aktien zusammen. Keine Regel ohne Ausnahme: Während QE3 lagen die Preise der teuersten VIX-Kontrakte längere Zeit deutlich unter 18. Aber seitdem funktioniert der Zusammenhang wieder, sagt McClellan (Chartquelle).
Aus der Gegenüberstellung der Volatilitäten im S&P 500 und im VIX lassen sich ebenfalls Signale für bevorstehende Kursänderungen ableiten. Der entsprechende Chart wird täglich auf der Startseite veröffentlicht. Ein Signal wird bisher nicht erzeugt. Die kurzfristige Korrelation zwischen S&P 500 und VIX zeigt aktuell einen deutlichen Gleichlauf. Gewöhnlich entwickeln sich beide Indices gegenläufig, Gleichlauf weist auf Instabilität des Gefüges hin. Solche Instabilitäten treten oftmals mit einigem zeitlichen Vorlauf auf. Ein zuverlässiges Signal für eine stärkere Bewegung im S&P 500 ergibt sich daraus nur, wenn anderweitig extreme Bedingungen vorliegen.
Das lässt sich zwar ohne Umschweife aus unterschiedlichen Aspekten heraus bejahen, aber „harte“ Umkehrsignale fehlen bisher weiter. Zu beachten ist in jedem Fall: Die Entwicklung des Handelsvolumens und seiner Struktur zeigt seit Anfang Februar Dynamikverlust, zum ersten Mal seit Mitte 2016 (mittlerer Chart, rote Signallinie).
Es ist zwar sicher so, dass sich die bullische Bewegung seit der Wahl Trumps zunächst einmal in einer (sehr) reifen Phase befindet. Aber im Zweifel läuft sie eben weiter – in Erwartung der Wohltaten der Trumponomics. Die wichtigste Wohltat dabei ist Inflation. Ich komme darauf gleich zurück.
Eine bullische Attitüde findet auch Bestätigung durch einige Makro-Datenreihen. So ist der US-Einzelhandelsumsatz im Januar deutlich stärker gestiegen als erwartet, er kommt im Jahresvergleich auf +5,5%. Auch die Industrieproduktion scheint sich im Januar weiter zu stabilisieren. Im Dezember war sie um 0,7% gegenüber dem Vorjahr gestiegen, im Januar gab es zwar keine Steigerung aber auch keine Abnahme wie durchgehend zwischen September 2015 und November 2016. Das alles schlägt sich auch in der Stimmung wider. So ist der Philly-Fed-Index aktuell so stark angesprungen als wollte er einen Zuwachs des realen BIP um mehr als 8% feiern, wie David Rosenberg schreibt. Der Index ist ein gutes Omen für den landesweiten ISM-Index, den man damit für Februar nahe 60, wenn nicht darüber erwarten kann (nach 56 im Januar).
Und, ja, die Inflation: Der US-CPI ist im Januar um 2,7% gegenüber Januar 2015 angestiegen, zuvor war der PPI um 4,4% angewachsen. Die starken Zuwächse haben zum Teil mit einem Basiseffekt zu tun – vor einem Jahr war die Preisentwicklung noch sehr schwach. Aber Inflation ist in einer Welt überbordender Schulden nur zu willkommen…
…insbesondere dann, wenn es auch reales BIP-Wachstum gibt. Das hat sich zwar im vierten Quartal nach der ersten Schätzung Anfang Februar mit lediglich +1,9% schlechter entwickelt als mit +2,2% erwartet. Aber nach den zwischenzeitlich hereingekommenen Makrodaten dürfte eine Aufwärtsrevision bei weiteren Schätzungen eine ausgemachte Sache sein.
Die Preisentwicklung zeigt sich in einem einfachen Modell seit März 2016 günstig für die Realwirtschaft. Das Modell definiert „günstig“ („healthy“), wenn Inflation von der Verbraucherseite getrieben oder gestützt wird. Das gilt zumindest so lange, so lange die Teuerung nach CPI positiv ist und 5% nicht übersteigt. Das Modell zeigt auch, dass es in den 1980er und 1990er Jahren langjährige Phasen solch „günstiger“ Entwicklung gab. Es zeigt auch, dass zwischen 1973 und 1982 die Preisentwicklung in diesem Sinne „ungünstig“ war, u.a. weil die Rohstoffpreise den PPI explodieren ließen (Ölpreisschock!). Seit der Jahrtausendwende zeigt das Modell bei weitem keine so stabilen Bedngungen mehr. Erst zwischen Ende 2011 und Anfang 2015 gab es eine längere Phase einer „günstigen“ Preisentwicklung.
Da die Reaganomics von den Akteuren an den Finanzmärkten als Blaupause für die Trumponomis genommen werden (was nur die halbe Wahrheit ist), will ich genauer auf die Preisentwicklung damals eingehen. In den frühen 1980er Jahren fiel der PPI schneller als der CPI. 1986 wurde die Teuerung nach PPI sogar negativ, der CPI blieb über Null. Danach stiegen beide zusammen wieder schnell an, bis Mitte 1989 ihr Verhältnis und ihr Niveau wieder „ungünstig“ wurde. Das war das Ende der Reagonomics-Party.
Der folgende Chart zeigt das Verhältnis zwischen Zinsen solider Unternehmen (AAA-Rating, rot) und der Entwicklung des realen US-BIP (grün). Die dritte Kurve (blau) wird gebildet aus diesen Zinsen minus der Differenz der Steigerungsraten von nominalem und realem BIP. Hinter diesen so (etwas einfach und gewagt) ermittelten „realen Zinsen“ steckt folgende Überlegung: Diese Differenz fällt umso stärker aus, je höher der inflationäre Anteil der Wirtschaftsentwicklung ist. Umso stärker fällt auch die Entlastung bei den Zinsen aus (dahinter steckt dieselbe Überlegung, die dazu führt, dass hohe Schulden tragfähiger sind, wenn die Inflation hoch ist) (Chartquelle ©fred.stlouisfed.org).
Im Chart fällt zunächst die Zeitenwende in den frühen 1980er Jahren auf. Vor diesem Schnitt lag der Zuwachs des realen BIPs fast immer über den so konstruierten „realen Zinsen“, danach so gut wie gar nicht mehr (Ausnahmen zwischen Mitte 2003 und Mitte 2006, sowie kürzere Episoden seit Ende 2011). In den frühen 1980er Jahren begann der kontinuierliche Anstieg der Gesamtverschuldung über das BIP hinaus – mittlerweile liegt das Verhältnis bei über 350%. Die Zinsen sinken seitdem zwar, aber der Schuldendienst ist per Saldo eine immer größere Belastung für die wirtschaftliche Entwicklung.
Zurück zu den Reagonomics: Seit 1986 stieg das reale BIP wieder an und erreichte fast 5% p.a. Gleichzeitig sanken die „realen Zinsen“ (die Inflationsraten stiegen seitdem an – s.o.!). Es gab mehr Inflation als reales Wachstum. Die Aktienmärkte goutierten das, der Dow verdoppelte sich bis 1990.
Heutzutage gibt es einige gute Gründe für eine Reflationierung. Erstens liegen die Zeiten sehr schwacher Preisentwicklung hinter uns und die Stimmungsindikatoren deuten auf deutlich zunehmenden Optimismus hin. Wenn dies kein Strohfeuer ist, liefert alleine das schon einen Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung. Zweitens dürften die Löhne angesichts der „Vollbeschäftigung“ auf dem Arbeitsmarkt ansteigen – aktuell liegt der jährliche Zuwachs bei 2,5%, 3% sind in Reichweite. Auch der Protektionismus führt über Friktionen im Welthandel zu höheren Preisen, sei es durch importierte Inflation oder durch einheimische Produktion, die teurer ist als ausländische. (Hinsichtlich Protektionismus hat Trump wie erwartet Kreide gefressen, er will zunächst einmal seine binnenwirtschaftlichen Vorhaben anschieben.)
Wenn die Inflationsrate stärker ist als das Realwachstum, sind steigende Zinsen so gut wie sicher. Das gilt auch dann, wenn die Fed mit ihren Zinsschrittchen hinter der Inflationsentwicklung herschleicht. So lange sie das tut, also effektiv auf der Zinsbremse stehen bleibt, dürfte das Aktien nicht sonderlich belasten. Eine andere wichtige Bedingung ist aktuell: So lange die nominalen Renditen der 10yr TNotes klar unter 3% bleiben.
Nach aller historischen Erfahrung sind weder zunehmende Inflation noch steigende Zinsen per se in der Anfangsphase einer solchen Entwicklung kontraproduktiv für Aktien. Im Gegenteil, die Inflationsillusion tut ein Übriges, um die Gewinnentwicklung der Unternehmen zunächst gut aussehen zu lassen. Und das treibt wiederum Aktien an.
Wichtig in diesem ganzen Spiel ist die Entwicklung der Investitionen. Sie liefern jetzt die Basis für den realen Teil der Trumponomics-Phantasie. Bleibt hier eine nachhaltige Steigerung aus, wird die ganze Chose bald auch für den Letzten als inflationäre Luftblase enttarnt. Kommt die Steigerung, dann legt uns die starke Entwicklung der Stimmungsindikatoren in den zurückliegenden Monaten (und auch aktuell z.B. mit dem Philly Fed Intex) nahe: Schaut in spätestens neun Monaten genau hin, was daraus geworden ist!
Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf die allgemeine „Versicherung“: Gold hat zum Jahreswechsel bei unter 1140 einen Boden gefunden und zeigt seitdem eine gute Aufwärtsentwicklung. Aktuell ist das 38er Retracement des Mitte 2016 verendeten Aufwärtsimpulses in Griffweite. Darüber liegt bei gut 1250 ein Widerstand, wenn dieser überwunden ist, ist der Weg frei bis zunächst rund 1310 (Chartquelle).
Die Inflation entwickelt sich. Das ist aktuell für Aktionäre eher eine gute als eine schlechte Nachricht – trotz der hohen Bewertung von Aktien. Damit die Reagonomics/Trumponomics-Phantasie zumindest zum Teil aufgeht, muss aber auch die reale BIP-Entwicklung stärker werden. Das erfordert ein Anlaufen der Investitionstätigkeit.
Anmerkung:
Inflation – gut oder schlecht? Zunächst gut für Besitzer von Sachwerten im Vergleich zu denen von Geldvermögen. Von Anfang an schlecht für das tägliche Leben. Am Ende schlecht für alle.