By Klaus Singer on Sonntag, 08. Januar 2017
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20K oder 20B – was kommt zuerst?

Im neuen Jahr werden vermutlich zwei runde Zahlen „geknackt“. Gestern erreichte der Dow Jones Average intraday fast 20.000, es fehlte nicht mal ein Punkt. Die US-Staatsverschuldung kommt aktuell auf 19,952 Bill. Dollar, bis zur Inthronisation von „King Donald II“ dürfte die runde Zahl 20 Bill. Dollar wohl erreicht sein. Und dann geht’s weiter – er hat ja schon angekündigt, neue Schulden zu machen.

Legt man den Verlauf von Aktienkursen und Verschuldung seit den 1920er Jahren zugrunde, so ist das eine gute Nachricht für Aktienkurse. Denn jedesmal, wenn das Wachstum der Schulden nicht so fröhlich weiter ging wie zuvor, gab es im S&P 500 Probleme. 1928/1929 nahm die jährliche Verschuldung in Relation zum BIP ab, es folgte die Weltwirtschaftskrise mit einem drastischen Einbruch der Aktienkurse. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer deutlichen Reduktion der jährlichen Neuverschuldung, der S&P 500 brach ein und lief dann mehrere Jahre seitwärts. Ein ähnliches Bild 1957/1958. In 2000 war die Neuverschuldung nach einer Reihe von Jahren mit abnehmender Neuverschuldung nahezu bei Null angelangt, die dotcom-Blase platzte. 2008 reichte schon ein drei Jahre von relativ hohem Niveau aus abnehmendes Defizit relativ zum BIP, es folgte die Finanzkrise mit ihrem starkem Verfall der Aktienkurse.

Ich habe bewusst „folgte“ geschieben, an dieser Stelle möchte ich keine Kausalbeziehung herstellen. Nach jedem Versuch, die Neuverschuldung zumindest deutlich zu reduzieren, folgte eine Rezession. Die Kausalität geht vermutlich über eine restriktivere Geldversorgung, die eine geringere Neuaufnahme von Staatsschulden bewirkt. Das steht wiederum für abnehmende staatliche Anreize und trägt so dazu bei, dass der Konjunkturzyklus in eine Rezession übergeht.

Ein wichtiges Indiz ist dabei der MZM-Multiplikator zur Geldbasis M0 (MZM Multiplier): Wenn der über längere Zeit deutlich expandiert, zeigt er an, dass liquide Assets immer stärker gesucht sind. Wenn dann auch noch sein jährliches Wachstum über eine gewisse Zeit größer ist als die Umlaufgeschwindigkeit des MZM-Aggregats (MZM Velocity), zeigt das relativ dazu sinkende realwirtschaftliche Aktivität an. Ein ähnlicher Zusammenhang lässt sich auch in Bezug auf die jährliche Entwicklung der gesamten Ausleihungen (Total Loans and Leases) herstellen: Entwickeln sich die Ausleihungen schwächer als der MZM-Multiplikator, weist das in einer kreditbasierten Wirtschaft auf nachlassende real-wirtschaftliche Aktivitäten hin.

Aktuell steigt der MZM-Multiplikator, weil die Basisgeldmenge schneller ab- als MZM zunimmt (-9,4% vs +6,5%). Die Ausleihungen nehmen um 7,1% p.a. zu, der MZM-Multiplikator steigt um 15,9%. Fasst man beide Indikatoren zusammen, erhält man die gelbe Zeitreihe, die einen Hinweis auf das Verhältnis zwischen realer und monetärer Expansion gibt. Demnach dominiert seit Anfang 2016 die monetäre Expansion – Geldumlaufgeschwindigkeit und Ausleihungen entwickeln sich schwächer als das „liquid Money“. Dieser Zustand tritt regelmäßig im Kontext von Rezessionen auf, aktuell gibt es jedoch kaum andere Hinweise darauf, dass die US-Wirtschaft kurz vor einer Kontraktion steht.

Gleichzeitig hat die Gesamtverschuldung der US-Wirtschaft, also unter Einbeziehung der nicht-Finanz-Unternehmen und des Konsumsektors im Verhältnis zum Real-Wachstum wieder so stark zugenommen, dass sie in einem einfachen Wachstumsmodell früher oder später zu Schulden-indizierten Problemen führen dürfte (das signalisiert die rote Kurve mit einem Ausschlag nach oben)…

…, wenn es nicht gelingt, das Wachstum so zu beschleunigen, dass der wachsende Schuldenberg finanziert werden kann. Monetär jedenfalls sehen wir zurzeit nicht die günstigsten Signale, weder für ein starkes realwirtschaftliches Wachstum, noch für die Bewältigung des immer weiter anwachsenden Schuldenbergs (den wir unseren Kindern und Enkel aufs Auge drücken).

Auch Fundamental-Daten liefern nicht die günstigsten Signale. Gestern wurden US-Arbeitsmarktdaten für Dezember gemeldet. Demnach sind so wenig neue Arbeitsplätze geschaffen worden wie zuletzt im November 2011. Nach der Spitze im Februar 2015 bei +2,3% jährlichem Wachstum kommt der Zuwachs im Dezember auf gerade einmal 1,5%. Da sich die US-Wirtschaft in einem reifen Konjunkturzyklus befindet und die Arbeitslosenquote historisch niedrig ist, führt das zu zwei Konsequenzen: Erstens wird es schwieriger, neue Stellen zu besetzen, zweitens steigen die Lohn- und Gehaltskosten. Die Entwicklung ist so lange nicht besorgniserregend in Hinsicht auf den Beginn einer neuen Rezession, so lange der jährliche Zuwachs der Arbeitsplätze nicht unter die ein-Prozent-Hürde rutscht.

Mit den Auswirkungen der Arbeitsmarktsituation auf die künftige Gewinnentwicklung der Unternehmen hatte mich u.a. hier beschäftigt. Die Quintessenz: Der Raum für die Gewinnentwicklung nimmt seit Anfang 2015 ab. Das KGV im S&P 500 liegt nach Shiller-CAPE bei rund 28. Selbst wenn man das in Relation zu einer linearen Interpolation der KGV-Entwicklung seit Ende der 19. Jahrhunderts setzt (ich hatte das vor einiger Zeit hier skizziert), zeigt das KGV aktuell eine Überbewertung von rund 30%. Eine eher statische Betrachtung sieht das aktuelle KGV bei gut 17, über zehn Jahre gemittelt liegt es bei 14.

Crestmont Research analyiert den Verlauf des KGV im S&P 500 ebenfalls basierend auf dem Ansatz von Shiller, der eine Bereinigung von Effekten aus Inflation und Zyklik über eine Zeitspanne von zehn Jahren vornimmt, berücksichtigt jedoch auch die Beziehung zwischen Unternehmensgewinnen und BIP-Verlauf. Das führt gewöhnlich dazu, dass das KGV in Zeiten schwächerer wirtschaftlicher Enwticklung (meist nach Rezessionen) niedriger ausfällt und vermeidet so Fehlsignale aufgrund überhöhter KGV-Werte. Aktuell zeigt die Auswertung von Crestmont das gleiche Ergebnis wie das Shiller-CAPE.

KGVs von 32 und mehr lassen institutionelle Investoren üblicherweise auf den Verkaufsknopf drücken, schreibt Crestmont – das machte beim gegenwärtigen Gewinn pro Aktie im S&P 500 2600. Die nun anlaufende Quartalssaison wird zeigen, ob die Gewinnerwartungen für das vierte Quartal 2016 mit +6,1% im Vergleich zum Vorjahr realistisch sind. Wie aus dem folgenden Chart auch hervorgeht, sind die Erwartungen für das Gesamtjahr 2017 sehr ambitioniert – es wird per Ende 2017 eine weitere Steigerung um rund 20% erwartet. Träte das ein, wäre eine noch höhere Spitze relativ zur historischen Trendlinie erreicht als Anfang 2007 und Mitte 2014.

Damit würden sich historische Muster wiederholen – diesmal aber in besonders extremer Form. Bis zur Jahresmitte und eventuell noch ein kleines Stück darüber hinaus, dürfte man da noch mitspielen können (siehe auch hier!). Dann dürfte spätestens der Realitätscheck einsetzen – die großen Akteure werden prüfen, ob das eintritt, auf das sie seit der Wahl Trumps zum nächsten US-Präsidenten gewettet haben. Wenn ja, wird eher verkauft, wenn nein, dann erst recht.

Ich halte die Wetten auf „Trump“-induziertes Wachtum der Realwirtschaft für sehr ambitioniert. Allerdings ist nach wie vor reichlich Liquidität vorhanden, die außerhalb der Realwirtschaft in geldnahen Assets angelegt ist. Die könnte den Turbo für Aktienkurse bringen, zumindest wäre damit die notwendige Bedingung hierfür erfüllt. Wenn die großen Akteure sie auch noch in Gang setzen, wäre auch die hinreichende Bedingung gegeben. Dabei würde es helfen, wenn die Inflation nun Beine bekommt. Eine Preissteigerung z.B. in Deutschland von 1,7% im Dezember, so hoch wie seit drei Jahren nicht, gibt entsprechende Hinweise, auch die unerwartet hohe Steigerung der Industriepreise in der ISM-Umfrage für Dezember unterstreicht das.

[Der Chart S&P 500 vs jährliche Neuverschuldung in den USA stammt ebenso wie der Vergleich "Debt or DJIA: Who Gets to 20* First?" von Tom McClellan]

Ich halte die Wetten auf „Trump“-induziertes Wachtum der Realwirtschaft für sehr ambitioniert. Auch die jüngsten Arbeitsmarktdaten zeigen eher verhaltene Aussichten für deutliches, reales Wirtschaftswachstum, was die von Trump geplante Neuverschuldung schwer verdaulich macht. Die aktuelle KGV-Bewertung im S&P 500 ist hoch. Nichtsdestotrotz ist ausreichend Liquidität vorhanden, um Aktienkurse noch weiter anzutreiben – abgesehen von kurzfristigen Korrekturbewegungen. Die sich mehrenden Anzeichen für eine Wiederbelebung der Inflation dürften Aktienkurse ebenfalls übergeordnet noch stützen.