Alle Jahre wieder lädt das Jahresende zum Ausblick auf das kommende Jahr ein. Bei einem längerfristen Blickwinkel auf die Finanzmärkte sind die strukturellen Tendenzen relevanter als die kurzfristigen Faktoren, die häufig spekulativ überzeichnet werden. Ich befasse mich dabei vor allem mit den USA, hier wird politisch und wirtschaftlich immer noch (oder erst recht wieder) der Takt geschlagen. Natürlich ist bei solchen Projektionen vorausgesetzt, dass kein „Schwarzer Schwan“ auftaucht, eines von jenen Ereignissen, die nach traditioneller Stochastik höchst unwahrscheinlich sind.
Das Ereignis, das für die Finanzmärkte zweifellos die größte und nachhaltigste Bedeutung hatte in dem auch ansonsten an Ereignissen nicht eben armen Jahr 2016, war die Wahl von Trump zum nächsten US-Präsidenten. Seitdem wird an den Finanzmärkten gewettet auf die einfache Gleichung Trump = Deregulierung + Infrastruktur-Ausgaben + Steuersenkungen. Der Dow Jones stieg sieben Wochen in Folge. Eine besonders gute Performance legten amerikanische Small Caps hin, was wohl mit Tiraden Trumps gegen Auswirkungen der Globalisierung zu erklären sein dürfte. Gemäß aktuellen Berichten könnte Trump eine Importsteuer von bis zu zehn Prozent einführen, das dürfte kleinere, lokal operierende Firmen besonders unterstützen.
Die „Trumponomics“ werden ohne hohe neue Staatsschulden nicht finanziert werden können. Im von den Republikanern dominierten US-Kongress dürfte das aber nicht auf Widerstand stossen. Die Fed warnt zwar, auf hohes schuldenfinanziertes Wachstum im kommenden Jahr mit bis zu drei Zinserhöhungen zu antworten. Da Fed-Chefin Yellen aber immer wieder für Investitionen in die Infrastruktur plädiert hat, erscheint das als leere Drohung. Überhaupt fokussiert die Fed die Ankurbelung der Konjunktur und nähme dabei auch ein Überschießen der Inflation inkauf. Sie wird im Zweifel das Ziel einer günstigen Finanzierung neuer Staatsschulden höher hängen als die Preisstabilität. Eine Politik der gezielten Liquiditätsverknappung ist somit unwahrscheinlich.
Damit spricht gegenwärtig nicht viel dagegen, dass die „Trumponomics“ umgesetzt werden. Dies dürfte in die Welt hinaus ausstrahlen. Wirtschaftspolitisch steht damit nun die Angebotsorientierung im Vordergrund, nachdem sich in den vergangenen Jahren gezeigt hatte, dass die auf Keynes basierende nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik offensichtlich nur geringe konjunkturbelebende Wirkung hat. Jetzt dürfte oben anstehen, die Investitionsbedingungen der Unternehmen zu verbessern – auch mittels höherer staatlicher Verschuldung. Daraus folgt auch, dass das in den zurückliegenden zwei Jahren beherrschende Thema „Deflationsgefahr“ (vorerst) vom Tisch ist. Basiseffekte bei Rohstoffen, insbesondere bei Öl, unterstützen das. Die Inflationserwartung nach Differenz der nominalen und realen Renditen zehnjähriger TNotes liegt gegenwärtig bei 1,9%, vor „Trump“ hatte sie bei 1,7% gelegen, Mitte September bei 1,5%.
Trumponomics – das erinnert an die Zeit von Reagan in den frühen 1980er Jahren. Im Unterschied dazu ist das Verschuldungsniveau jedoch mittlerweile auf einem so hohem Niveau, dass es die Entfaltung von Wachstumskräften behindert. Zudem ist die Ungleichmäßigkeit der Verteilung von Einkommen und Vermögen heutzutage sehr groß. Setzt sich diese Entwicklung im Rahmen der Trumponomics fort, könnte das schnell gesellschaftspolitisch brisant werden – mit entsprechenden wachstumsbremsenden Effekten. Demographische Entwicklungen tun ein Übriges. Damit dürfte der Wachstumseffekt aus den Trumponomics deutlich holpriger ausfallen als zu Reagans Zeiten.
Die Fed versucht, zinspolitisch wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Eine Rückkehr zu einem halbwegs normalen Zinsniveau liegt jedoch in weiter Ferne. Die Fed erwartet in ihren Projektionen, dass die Inflation erst 2019 ihr Ziel von zwei Prozent erreichen wird. Entsprechend ist die Aussicht auf in absehbarer Zeit deutlich höhere Leitzinsen gering. Für 2017 sind ein, vielleicht zwei Trippelschritte von je 0,25% zu erwarten. In der Eurozone dürften das Rendite-Tief hinter uns liegen, auch wenn die EZB ihr QE-Programm bis Ende 2017 verlängert hat. Eine Erhöhung der Leitzinsen ist hier angesichts der schwachen Konjunktur unwahrscheinlich. Laut EZB wird die Inflation auch in drei Jahren noch nicht beim Ziel von zwei Prozent angekommen sein. In den USA nehmen die Reserven des Bankensystems seit Mitte 2015 nachhaltig ab, u.a. weil die Ausleihungen mit zuletzt 7,1% p.a. steigen, die liquiden Mittel (nach Geldmengenaggregat „Money Zero Maturity – MZM“) weiten sich jedoch aus – zuletzt mit 6,5% jährlich.
Tendenziell nimmt das Zinsdifferenzial zwischen USA und Europa also noch etwas zu, die Ausweitung der liquiden Mittel in den USA dürfte jedoch verhindern, dass sich die Renditedifferenzen noch deutlich vergrößern. Das würde den Dollar gegen Euro tendenziell nicht weiter begünstigen. Zudem dürften die USA hier alsbald auf die Bremse treten, um die Akteure an den Finanzmärkten gar nicht erst auf die Idee zu bringen, die Parität zum Euro stehe zur Disposition. Ein zu schnell zu stark werdender Dollar würde die US-Exportwirtschaft tangieren und den Schuldendienst der zu einem großen Teil in Dollar verschuldeten Schwellenländer erschweren. Umschuldungen aus Dollar in Euro (Carry Trades) dürften noch für Druck auf den Euro sorgen, allerdings ist hier wohl das meiste gelaufen.
Wichtig ist in Bezug auf die Entwicklung des Dollar auch, was die VR China tut. Sie hatte bis Anfang 2014 über den Kauf von US-Staatsanleihen dem Aufwertungsdruck der eigenen Währung gegenüber dem Dollar noch entgegengearbeitet. Danach wendete sich das Blatt, das Währungspaar Dollar/Yuan stieg im Zuge der allgemeinen Erstarkung des Dollar wieder an, gleichzeitig begann die chin. Regierung Währungsreserven zu verkaufen. Die USA werfen der VR China vor, ihre Währung nach unten zu manipulieren, um im Export zu profitieren. Das gilt erst recht für Trump, der das Land zum handelspolitischen Feindbild hoch stilisiert. Lässt er den verbalen Attacken reale Maßnahmen folgen, etwa Einfuhrzölle auf chinesische Waren, dürfte das die Flucht ausländischen Kapitals beschleunigen. Der Dollar würde stärker, der Yuan schwächer. Die chinesische Regierung könnte mit einem verstärkten Verkauf von Währungsreserven reagieren, was die US-Bond-Renditen steigen ließe und „Trumponomics-avers“ wäre. Es ist zu früh, sich hier auf ein Szenario fest zu legen – klar ist aber, dass die VR China nicht ohne Optionen ist.
Alles in allem glaube ich nicht, dass im Euro/Dollar in 2017 die Parität erreicht wird. Das Währungspaar dürfte sich im kommenden Jahr volatil in Richtung 1,10/1,15 bewegen. Dem Dollar-Index traue ich bis Jahresende 2017 ein Potenzial bis 1,08 zu. Das würde bedeuten, dass der Dollar in Bezug auf die in diesen Währungskorb enthaltenen Währungen Yen, britisches Pfund und kanadischer Dollar deutlicher an Wert gewinnt.
Prinzipiell liegt die Trendwende bei den Renditen nach mehr als drei Dekaden Hausse in Anleihen, gleichbedeutend mit Baisse bei den Renditen, nahe. Sollte sich diese allerdings tatsächlich manifestieren, käme sehr schnell eine sich selbst verstärkende Bewegung in Gang, bei der die großen Versicherungen als Kapitalsammelstellen ihre Bestände an Anleihen auf den Markt werfen, um Buchgewinne zu realisieren. Das könnte die gewaltige Anleiheblase platzen lassen – eine Perspektive, die die Zentralbanken mit allen Mitteln zu verhindern versuchen müssen.
Auch aus diesem Grund bleibt der Anstieg der Renditen von US-Staatsanleihen bei einer Trump’schen Konjunkturbelebung limitiert. Ich sehe die Rendite der zehnjährigen TNotes zum Jahresende 2017 unterhalb von 2,5%, 30-jährigen TBonds unterhalb von 3,5%. Im Mai hatte die Renditedifferenz am langen Ende ein Maximum bei knapp 0,9% erreicht, aktuell 0,6%. Eine flacher werdende Zinstruktur ist weder ein Plädoyer für stark steigende Renditen, noch für ein hohes Wachstumspotenzial. Da die EZB an ihrem QE-Programm bis mindestens Ende 2017 festhält, ist die Entwicklung der Renditen europäischer Anleihen noch stärker limitiert. Die Illusion stabiler und sicherer Anleihemärkte ist hier angesichts der hohen Staatsverschuldung und des aufgeplusterten Bankensystems besonders wichtig. (Zum Bankensystem der Eurozone siehe hier – die Zahlen sind zwar einige Jahre alt, aber im Grundsatz hat sich wenig geändert: Das Bankensystem der Eurozone ist völlig überdimensioniert und kapitalmäßig schwach aufgestellt). Damit bleibt der relative Vorteil von Aktienanlagen gegenüber Anleihen in der Eurozone weiterhin größer als in den USA, Dividenden werden Zinsanlagen vorgezogen.
US-Aktien dürften durch die Trumponomics übergeordnet noch Rückenwind haben. Die USA gelten wirtschaftlich und politisch als sicherer Hafen, in Europa droht politisch ein Wahljahr mit voraussichtlichen Gewinnen rechter, EU-feindlicher Strömungen. Die EZB hat bereits klar gemacht, dass sie diesbezüglich Vorsorge trifft. Damit wird hier spekuliert auf eine noch üppigere Liquiditätsausstattung, die wie bisher schon die Asset-Preise steigen lassen könnte. Und das auch bei weiter schwacher Gewinnentwicklung der Firmen in der Eurozone und Deutschland. In den USA dürften die Trumponomics ein wieder etwas besseres Gewinnwachstum unterstützen, obwohl die Schere zwischen Lohnkosten und Profiten seit einiger Zeit aufgeht. Da hier nahezu Vollbeschäftigung erreicht ist, führt jede weitere Auslastung der Kapazitäten zu einem überproportionalen Kosteneffekt. Dadurch ist das Potenzial einer Verbesserung der Unternehmensgewinne nicht sehr üppig, eine positive Entwicklung der Aktienkurse aber immer noch eher durch fundamentale Faktoren gestützt als in Europa, wo Aktien v.a. relativ zu Zinsanlagen punkten können.
Der in den USA gegebene Lohnkostendruck schlägt recht direkt auf die Preise durch. Das wiederum nährt die Inflationsillusion (siehe u.a. hier und hier), die zu Beginn einer Episode steigender Preise häufig die Kurse von Aktien noch unterstützt. Ich denke, dass auch aus diesem Grund bis weit in das kommende Jahr hinein Aktien als Anlageklasse favorisiert werden. Ich vermute allerdings, dass es etwa ab der Jahresmitte zu einem Realitätscheck kommt, bei dem die hohen Bewertungen auf den Prüfstand kommen. Bis dahin müssten auch die Trumponomics erste Effekte zeigen. Dann könnte eine gewisse Desillusionierung (oder „sell the news“-Haltung) einsetzen, weshalb in der zweiten Jahreshälfte Aktien eher zu Schwäche neigen dürften. Ob die Phase des spekulativen Überschwangs dann noch weiter geht oder sich Umkehrformationen in den Indices bestätigen? Warten wir es ab.
Bei Rohstoffen gibt es überall Bodenbildungstendenzen. Das ist umso beachtlicher, als dass der Dollar-Index auf 14-Jahres-Hoch steht, denn üblicherweise sind Dollar-Index und Rohstoffpreise negativ korreliert. Der CRB-Index hat mittlerweile seine Abwärtslinie vom Hoch aus Mitte 2008 überwunden. Er dürfte sich im Verlauf des Jahres 2017 bis in den Bereich 220/230 vorarbeiten (aktuell 190). Bei Öl Brent besteht meines Erachtens Potenzial bis in den Bereich 63/70 Dollar, aktuell 55,60. Die unter Trump wahrscheinliche Lockerung von Umweltauflagen würde das Angebot an „Fracking-Öl“ steigern, das in dem Moment verstärkt auf den Markt kommt, wo der bei dieser Fördermethode oberhalb von 55/60 Dollar liegende Break-even erreicht ist. Das würde den Preisauftrieb ebenso deckeln wie die nicht gerade überschäumenden Wachstumskräfte in der Weltwirtschaft.
Der Goldpreis ist aktuell gedrückt durch einen festeren Dollar und höhere Renditen. Die Zentralbanken sind nicht daran interessiert, dass der Goldpreis wieder in die Regionen von 2011 kommt. Gleichzeitig sind es genau diese Institutionen, die Gold kaufen. Gold ist nach wie vor ein sicherer Hafen im Falle von geopolitischen Krisen, Instabilität des Finanzsystems, Geldwertverlust und Euro-Systemkrise. Die post-Maastrichter Schuldenunion wird ihren Teil dazu beitragen, dass das Edelmetall früher oder später seiner Rolle gerecht wird. Da kürzlich der wichtige Pegel bei 1170 Dollar gebrochen wurde, dürfte zunächst noch weitere Schwäche vorherrschen. Per Ende 2017 halte ich Preise oberhalb von 1300 für möglich.
Die größten Unsicherheiten drehen sich um die Frage, was unter Trump hinsichtlich Einschränkung des „Freihandels“ unternommen wird (siehe hier und hier). Trump hatte in seinem Wahlkampf vor allem China aufs Korn genommen, er will dorthin verloren gegangene Arbeitsplätze heim holen. Sollte wider Erwarten höheres US-Wachstum und steigende Renditen den Dollar weiter stärken, würde das die Länder und Unternehmen unterstützen, die in die USA importieren. Das ist genau das, was Trump nicht will, er hatte entscheidende Wählerstimmen dort bekommen, wo die Finanzsystem-gesteuerte Globalisierung zu Arbeitsplatzabbau in den USA geführt hatte. Wenn er zu seinem Versprechen steht, ans Ausland verlorene Arbeitsplätze zurück zu holen, müsste er eher früher als später mit Strafzöllen und sonstigen Einfuhrbeschränkungen reagieren. Je stärker sich diese Reaktionen unter Trump entwickeln, je eher würde aber der Dollar in seiner Rolle als sicherer Hafen bestärkt und würde sich noch mehr festigen. Ich glaube daher nicht, dass er die Dinge hier auf die Spitze treibt. Die Deglobalisierung ist im übrigen eine Tendenz, die sich unabhängig von Trump entwickelt hat und weiter entwickeln wird.
“Schwarzer Schwan“? Die großen Akteure an den Finanzmärkten vertrauen auf die Zentralbanken, dass diese einen abrupten, übermäßigen Anstieg der längerfristigen Renditen verhindern werden. Dies hätte das Zeug, die in mehr als drei Dekaden aufgepumpte gigantische Schuldenblase platzen und die Renditen explodieren zu lassen. Der Dollar dürfte dann durch Kapitalflucht zu ungeahnter Stärke auflaufen, die Preise von Rohstoffen würden kollabieren, die Aktienkurse einbrechen. Mit diesem Schwarzen Schwan würde die Finanzkrise 2008 wie ein Kindergeburtstag aussehen – für 2017 unwahrscheinlich (ein Schwarzer Schwan eben), aber nichtsdestotrotz brandgefährlich.
Mit „Trump“ hat sich Wall Street einen Befreiungsschlag verordnet, der das Zeug hat, bis weit in das neue Jahr hinein das Geschehen an den Finanzmärkten zu bestimmen. Auch wenn zwischen Trumponomics und Reagonomics wirtschaftspolitisch viele Parallelen bestehen, sind die wachstumsfördernden Auswirkungen von „Trump“ jedoch viel geringer und holpriger. Das größte Risiko für Finanzmärkte und Realwirtschaft liegt in der Entwicklung der Renditen, auch wenn es aktuell keine Anzeichen dafür gibt, dass etwas aus dem Ruder läuft. Die größe Unsicherheit dreht sich um die Frage, was Trump in Richtung Einschränkung des “Freihandels” unternehmen wird.