Man kann die Bedeutung der Wahl Trumps zum US-Präsidenten nicht hoch genug aufhängen. Mich interessiert dabei weniger, dass die Demokraten gegen die Republikaner verloren haben. Sicher, die Demokraten stehen für eine offenere Gesellschaft. Aber in ihrer Wirtschaftspolitik sind sie „Republikanisch light“.
Es war Bill Clinton, der Ende der 1990er Jahre den Glass-Steagall-Act abgeschafft hat. Bis dahin hatte der „U.S. Banking Act“ von 1933 die Aktivitäten von Geschäftsbanken auf dem Feld des Investment-Bankings begrenzt. Clinton hat mit der Abschaffung des Gesetzes das vollendet, was unter US-Präsident Reagan ab 1984 eingeleitet wurde. Einer von Clintons Beratern, Robert Rubin, wurde danach übrigens Vorstand der Citibank, ein anderer, Larry Summers, wurde von Obama als Nationaler Wirtschaftsberater in die Regierung berufen.
Mit der Abschaffung des Glass-Steagall-Acts war der Weg endgültig frei für Finanz-Supermärkte mit ihren eskalierenden Bilanzhebeln und schließlich für die im Herbst 2008 platzende Kreditblase, sowie den Kollaps des Haus-Marktes, dem wichtigsten Hort des Wohlstands der amerikanischen Mittelklasse-Familien.
Mit der Deregulierung des Bankensystems kam die Übergewichtung des Finanzwesens richtig in Schwung. Der Anteil der Industrie am BIP ist seit 1987 von 28% auf heute 18% geschrumpft. Der Anteil des Finanz- und des damit eng verbundenen Immobiliensektors am BIP ist von ca. 14% (1987) auf 18% (2015) gewachsen (siehe hier!). Der Anteil der Gewinne der US-Finanz-Unternehmen am BIP hat sich seit 1999 um 90% verbessert (seit 1969 um 168%), der der nicht-Finanz-Unternehmen um 59% (seit 1969 um 14%). Der Anteil der Löhne und Gehälter am BIP ist seit 1969 von 50% über 46% in 1999 auf aktuell 44% zurückgegangen. Die Transferzahlungen haben im selben Zeitraum von 6% auf 15% zugenommen.
Mit der Übergewichtung des Finanzwesens kam die Kannibalisierung der Realwirtschaft und damit die extreme Ungleichheit in Einkommen und Vermögen, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Unsicherheit. Die Politik des billigen Geldes sorgt für Inflationierung der Asset-Preise (und damit für wachsenden Wohlstand der Reichen), verhindert aber die schöpferische Zerstörung unproduktiver Unternehmen und schadet damit der Erholung und Re-Dynamisierung der Realwirtschaft. Kapitalzuflüsse aus den USA nach China zwangen die chinesische Zentralbank zum Kauf großer Mengen an Dollar (siehe z.B. diesen Chart!), um die Aufwertung des Yuan zu dämpfen und die chinesische Exportwirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Daran verdienten wiederum die großen US-Finanzinstitute und wurden noch „dicker“.
Der Milliardär Trump hat sich als Vertreter der Teile der Bevölkerung in Szene gesetzt, die sich in der einen oder anderen Form von der Finanz-gesteuerten Globalisierung, auch mal “Freihandel” genannt, und der Finanzialisierung der Wirtschaft „abgehängt“ oder von der Regierung nicht mehr vertreten fühlen. Das reale median-Haushaltseinkommen liegt aktuell unter dem Vorkrisen-Level, sogar unter dem Level von 2000. Bezogen auf das reale pro-Kopf-BIP sinkt es seit Mitte der 1970er Jahre (Chartquelle). Das hilft, die Flut von Enttäuschung, sogar Verzweiflung zu erklären, die sich in der Präsidentschaftswahl entladen hat (siehe auch hier: “Wer diese Analyse liest, wundert sich nur, weshalb man sich über das Wahlergebnis wundert“).
Die US-Bevölkerung hat mit Trump den besseren Verkäufer gewählt, aber er gehört zu derselben vermögenden Elite wie die Alternative Clinton. Zugleich wurde ein politischer Reaktionär gewählt, der die Widersprüche innerhalb der Gesellschaft verschärfen und zahlreiche Freiheiten, sowie soziale Errungenschaften zurückdrehen möchte, die die Demokraten durchgesetzt haben.
US-Präsident Roosevelt hat Anfang des 20. Jahrhunderts gewarnt, dass wirkliche individuelle Freiheit nicht bestehen kann ohne wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit. Hunger und Arbeitslosigkeit seien das Zeug, aus dem Diktaturen gemacht werden. Und: „Die Freiheit einer Demokratie ist nicht sicher, wenn wir es zulassen, dass private Macht so stark wächst, dass sie zur Gefahr für den demokratischen Staat selbst wird. Das ist im Prinzip Faschismus: Besitzergreifung der Regierung durch ein Individuum, ein Gruppe oder irgendeine private Macht.“ Dies hat ihn bei seinem massiven Einsatz für die Monopolkontrolle gegenüber Trusts geleitet.
Trump dürfte kaum in die Fußstapfen seines Parteikollegen Roosevelt treten und die Besitzergreifung der Regierung durch DIE private Macht unserer Tage stoppen, die großen Banken und die mit ihnen verflochtenen Großunternehmen der „old economy“. Im Gegenteil – er hat bereits angekündigt, das Bankwesen zu deregulieren und etwa den Dodd-Frank-Act von 2010 zu schleifen. Dieses unglaublich komplizierte Gesetz wurde unter Obama mit tatkräftiger Mitarbeit genau der Banken und Investment-Unternehmen geschaffen, die 1999 den Glass-Steagall Act durch ihre Lobbyisten zu Fall brachten.
Wall Street nimmt Trump als Wachstums-Motor wahr. Dies mag in mittelfristiger Sicht zutreffen. Er ist zugleich ihr Werkzeug. Die Zeiten, in denen es ein Obama richten musste, weil es kein anderer konnte, sind vorbei. Jetzt fühlt sich Wall Street wieder stark genug, offen aufzutreten und aggressiv für ihre Interessen zu kämpfen. Wenn aber der Kuchen, der zu verteilen ist, nicht größer wird, wird Main Street weiterhin zu kurz kommen. Für mögliche Revolten steht eine reaktionäre Staatsführung bereit. Bis dahin paralysieren sich die mit Trumps Wahlkampf polarisierten gesellschaftlichen Strömungen gegenseitig, ganz so wie es H.L. Mencken 1926 schrieb: „Der Kapitalismus genießt unter der Demokratie einen Vorteil: seine Feinde sind, selbst wenn er angegriffen wird, zerstreut und schwach, und er ist gewöhnlich leicht imstande, die eine Hälfte gegen die andere zu bewaffnen und sich so beider zu entledigen.“
Trump ist keine inneramerikanische Angelegenheit, die uns nur am Rande betrifft. Seine Wahl zum US-Präsident liefert international Schützenhilfe für alle möglichen reaktionären Kräfte, sei es in den Niederlanden, bei uns in Deutschland, in Österreich, in Frankreich, in Polen, Ungarn, in Bulgarien und anderswo. Im nächsten Jahr sind in wichtigen europäischen Ländern Wahlen.
Beginn einer neuen Ära? Nicht in dem Sinne, dass sich an der Dominanz der Finanzindustrie etwas ändert. Beginn aber in dem Sinne, dass sich die politischen Erscheinungsformen beim Verteilungskampf ändern – es wird weniger auf gesellschaftlichen Konsens gesetzt mit entsprechenden Freiräumen, sondern es geht mehr um staatliche Repression, sowie die Zuspitzung innergesellschaftlicher Widersprüche (zunächst in der Erwartung, dass sie sich neutralisieren).