Raus aus dem Euro – EZB vor massiver Geldflut?
Die US-Arbeitsmarktdaten für Juni lieferten eine faustdicke Überraschung – es wurden 287.000 neue Arbeitsstellen (non-Farm) geschaffen. Die Zahl für den Vormonat wurde weiter abwärts revidiert, aber alle Konjunkturoptimisten sehen sich nun in ihrer Annahme bestätigt, dass es sich bei den lediglich 11.000 neuen Jobs im Mai um einmaligen Ausreißer handelt.
Allerdings bleibt das jährliche Stellenwachstum mit 1,7% weiterhin deutlich unter dem jüngsten Maximum von 2,3% im Februar 2015, davor lag die höchste Steigerung mit 2,2% im März 2006. Die Auswertung der Dynamik der Entwicklung zeigte seit Okober 2014 eine Bewegung über dem Trend (rote Signalline), diese Phase der Beschleunigung endete jedoch im April.
Der S&P 500 attackierte nach Veröffentlichung der Arbeitsmarktdaten sein Allzeithoch vom Mai 2015 bei 2131, der Brexit-Einbruch ist damit mehr als ausgebügelt. Bei europäischen Aktien sieht das anders aus, so war der DAX von fast 10300 vor dem Brexit-Referendum bis unter 9300 abgestürzt. Aktuell notiert er erst wieder bei etwas über 9600. Nicht so der britische FTSE-100, der seine Brexit-Delle schon zehn Tage später wieder ausgebügelt hatte und aktuell fast vier Prozent höher notiert als vor dem Referendum.
Gleichzeitig melden die Renditen von länger laufenden Staatsanleihen historische Tiefstände. Zwar sind US-Treasurys besonders gesucht, werfen sie doch im internationalen Vergleich immer noch eine vergleichsweise hohe Verzinsung ab. Aber der Renditeverfall findet in vielen Ländern ähnlich statt. Dies weist darauf hin, dass viele Akteure geldpolitische Anreize der großen Zentralbanken erwarten. Die BoE hatte sich schon in dieser Richtung geäußert, die EZB und die BoJ könnten die nächsten sein. Zugleich hat sich die Wahrscheinlichkeit nach Fed Funds Futures für einen Zinsschritt der Fed in 2015 auf unter 24% ermäßigt, selbst bis Mitte 2017 ergibt sich nur ein Wert von rund 31%.
Auch die Zinsstruktur flacht immer weiter ab. Der nachfolgende Chart zeigt die Situation in den USA, aber Ähnliches gilt für viele andere Länder. Die deutsche Bund-Rendite und die Rendite für zehnjährige japanische Staatsanleihen stossen weiter in den negativen Bereich vor.
Die Zentralbanken geben vor, mit ihrer Geldflutung das Platzen der Schuldenblase zu verhindern und sorgen so dafür, dass sie nur noch größer wird. Gleichzeitig wollen sie damit die Inflation in Gang setzen, um den Schuldnern den Schuldendienst zu erleichtern. Herausgekommen ist das Gegenteil: Zwischen 1991 und 2015 betrug der Korrelationskoeffizient zwischen Geldmenge M2 und Inflation –0,38, mit zunehmender Geldmenge sinken also die Preise. Umgekehrt verhält es sich bei Geldmenge und Fed Funds (US-Leitzinsen), hier liegt der Korrelationskoeffizient bei 0,45, mit steigenden Leitzinsen steigen die Preise. Bemerkenswert ist auch, dass bis in die frühen 1980er Jahre hinein die nominalen Zinsen (anhand der zehnjährigen TNotes) zusammen mit den Preisen stiegen, danach aber hat die Korrelation zwischen beiden Zeitreihen ins Negative gedreht. Statistik zeigt keine Ursachen auf, aber klar wird, dass eine Ausweitung der Geldmenge in einer Zeit steigender Verschuldung offenbar kein geeignetes Mittel ist, um die Inflation anzuheizen.
Tom McClellan befasst sich in seinem aktuellen Newsletter mit dem 60-Jahres-Zyklus der Zinsen, hier der Zinsen gut gerateter Unternehmens-Anleihen. Bemerkenswert ist zunächst, dass dieser Zyklus sehr gut zum langen, durch Basis-Innovationen getriebenen Kondratieff-Zyklus (siehe z.B. hier) passt. Der Zins-Zyklus hätte eigentlich 2010 in einen neuen Anstieg übergehen sollen. Dies wurde jedoch durch die auf die Finanzkrise folgende Nullzinspolitik verhindert, der Index bewegt sich weiterhin im Bereich von 3,5%.
Eine Verschiebung des Zinszyklus um einige Jahre kam in der Vergangenheit schon öfter vor, aber bisher war es stets so, dass er sich am Ende des Tages doch durchgesetzt hat. Geschieht dies wieder, wäre dies ein Hinweis darauf, dass die Zentralbanken nicht länger in der Lage sind, ihre Politik der Zinsmanipulation aufrecht zu erhalten – ein Albtraum für alle Schuldner. Zudem würde das Zweifel an der Allmacht der Zentralbanken verstärken und gefährdete die einzige Basis, die dieses Geldsystem hat – (blindes) Vertrauen.
Dieses Vertrauen ist ohnehin immer größeren Bewährungsproben ausgesetzt. Daniel Stelter schätzt, dass den europäischen Banken etwa eine Billion Euro an Kapital fehlen. Dabei stechen Italiens Banken besonders heraus. Sie sitzen auf faulen Krediten in Höhe von 360 Mrd. Euro, eine Vervierfachung seit 2008. Das sind 17% ihres gesamten Kreditvolumens, in den USA kam dieser Wert selbst in der Finanzkrise nur an 5% heran. Die faulen Kredite italienischer Banken machen mittlerweile 18% ihres Kapitals und der Spareinlagen ihrer Kunden aus. Bei 10% gelten die meisten Banken als technisch bankrott, bei 18% kann man das „technisch“ streichen. Wieder einmal steht Italiens drittgrösste Bank, Monte dei Paschi, im Rampenlicht. Hier ist ein Drittel der Kredite notleidend, der Börsenwert der Bank hat sich in den zurückliegenden fünf Wochen mehr als halbiert.
Gut, Griechenlands Banken sitzen auf 34% fauler Kredite, Irland bringt es auf 19% und Portugal auf 12%. Vom absoluten Betrag ist „Griechenland“ im Rahmen der Eurozone aber unbedeutend, das gilt sowohl für die Wirtschaftsleistung wie für den Bankensektor. Für Italien kann man sich damit nicht herausreden.
Der Aktienkurs der UniCredit, der größten Bank in Italien, liegt über 90% unter ihrem 2008er Topp, gegenüber dem Hoch aus 2015 beträgt der Abschlag über 70%. Der Aktienkurs der Banca Carige, ebenfalls eine größere italienische Bank, notiert 99% unter dem Hoch aus 2008. Der Branchenindex FTSE Italia Banche hat sich in sechs Monaten mehr als halbiert. Das Kursdesaster bleibt nicht auf italienische Banken beschränkt: Die britische HSBC hat seit dem Brexit-Entscheid 15% verloren, die RBS 40%, Barclays ebenfalls. Der Kurs der Deutschen Bank notiert 62% unter dem Hoch aus 2015 und 89% unter dem aus 2008. Wie „hoch“ die größte deutsche Bank im Ansehen der Finanz-Akteure steht, zeigt sich u.a. daran, dass 2008 ausgegebene CoCo-Bonds aktuell mit über 12% rentieren.
Schon vor der Brexit-Abstimmung waren die meisten europäischen Banken deutlich unter ihrem Buchwert bewertet, während der breite Markt bei mehr als dem doppelten Buchwert gehandelt wird. Banca Carige kam auf gerade einmal 3%, die Banco Santander auf 58%, die Deutsche Bank auf 59%, Credit Suisse auf 63% und HSBC auf 69% des jeweiligen Buchwerts. Nach der Brexit-Abstimmung hat sich die Situation deutlich weiter eingetrübt. Ein ETF auf die im EuroStoxx50 enthaltenen Banken notiert unter dem Tief aus März 2009 und nahe dem Schocktief aus Mitte 2012, dem die Zusicherung Draghis folgte, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten.
Bei der Deutschen Bank fällt besonders ins Gewicht, dass sie knapp zehn Prozent des 550 Bill. Dollar großen CDS-Marktes in ihren Büchern hält. JPMorgan folgt mit einem Anteil von fast 52 Bill. Dollar, Citibank kommt auf gut 51, Goldman Sachs auf fast 44 und die Bank of America hält fast 28 Bill. Dollar. Die Kapitalisierung der US-Banken ist deutlich besser ausgeprägt als die der Deutschen Bank, das von dort ausgehende Risiko damit geringer.
Der Ausgang des Brexit-Referendums hat erneut mit aller Macht die Fragilität des europäischen Bankensystems in den Fokus gerückt. Durch EU und Eurozone wurde vor allem der Bankensektor „internationalisiert“, am mit der Eurozone losgetretenen Kreditboom in der südlichen Peripherie haben die Banken lange sehr gut verdient. Das europäische Bankensystem ist dadurch aber besonders anfällig in Bezug auf Risse in dieser von Anfang an morschen Staatenkonstruktion, wie sie die Brexit-Abstimmung offenbart hat.
Die EZB versucht u.a. mit ihrem QE-Programm, den aufgeblasenen Bankenapparat zu retten. Sie stellt ihm zudem jede benötigte Kredit- und Geldmenge zur Verfügung. Seit kurzem verleiht sie im Rahmen des „TLTRO II“ sogar neu geschaffenes Basisgeld zu einem Zins von -0,4%, wenn Banken damit Kredite an Unternehmen und Konsumenten ausreichen. Die EZB kauft aktuell monatlich Anleihen im Volumen von 80 Mrd. Euro, wodurch die Basisgeldmenge bis März 2017 auf über 1,7 Bill. Euro anwächst. Geht sie dazu über, auch von Euro-Banken ausgegebene Anleihen zu refinanzieren, könnte die Basisgeldmenge um zusätzliche 3,8 Bill. Euro anschwellen (Quelle).
Bisher war die Beihilfe zur Konkursverschleppung erfolgreich – wie lange kann das noch gehen? Die Bankenkrise in Italien ist ein weiterer Prüfstein in diese Richtung. Italiens Banksektor hat die faulen Kredite zwar schon deutlich abgeschrieben, aber das reicht noch nicht, weitere 40 Mrd. Euro müssten noch folgen, wird vermutet. Die EZB gibt sich vorerst hartleibig und fordert weitere Abschreibungen, sowie eine Rekapitalisierung. Das würde Anteileigner und Gläubiger tangieren. Italiens Premier Renzi will hingegen mit einer Geldspritze von 40 Mrd. Euro kommen. Das hat die Europäische Kommission erst einmal abgelehnt – Italien müsse insolvente Banken halt liquidieren, statt sie endlos zu alimentieren, heißt es. Ein geleakter Brief sorgt für Aufregung, in dem die EZB die Bank Monte dei Paschi, der ältesten Bank der Welt, auffordert, 10 Mrd. Euro an faulen Kredite abzubauen. Die italienische Bankenkrise ist der erste harte Test der seit 2015 bei der EZB angesiedelten Bankenaufsicht. Man darf gespannt sein.
Was die Erwartung der großen Akteure an die künftige Politik der Zentralbanken betrifft, so sind diese gepägt vom abnehmenden Grenznutzen ihrer Maßnahmen. Es macht schlicht einen Unterschied, ob ein und dieselbe Maßnahme zu Beginn einer Serie von Lockerungen stattfindet oder „on top“ auf einen vorhandenen „Sockel“ massiver Geldflutung. Eine gleichbleibende, aber prozentual schrumpfende zusätzliche Dosis reicht nicht, sie muss mindestens anteilmäßig konstant sein – so die Logik der Liquiditätssüchtigen. Und hier lauert ein Problem für die EZB: Nach ihren eigenen Regeln darf sie von der Bonität her geeignete Papiere im Rahmen ihres QE-Programms nur dann kaufen, wenn deren Verzinsung nicht unter dem aktuellen Einlagenzins von -0,4% liegt. Dies ist aber schon bei einem Drittel der kaufbaren Anleihen nicht mehr gegeben. Also könnte hier bald Knappheit entstehen, aber ich habe keine Sorge, dass der EZB hierzu etwas Kreatives einfällt.
In den zurückliegenden Jahren hat die EZB der EU-Politik Zeit gekauft, die hat sich jedoch als unfähig erwiesen, diese zu nutzen. Die Brexit-Abstimmung offenbart, auf welch schwachen Füßen die EU-Konstruktion steht. Die fundamentalen Probleme sind ungelöst. Die EU ist chronisch wachstumsschwach, die Arbeitslosigkeit in der Eurozone verharrt bei zehn Prozent. Hinzu kommt die Wachstumsschwäche auch in anderen Teilen der Welt. Das alles trifft das europäische Bankensystem in seiner ohnehin schon äußerst schwachen Verfassung.
Angesichts dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass Anleger ihr Heil im Dollar-Raum suchen, und zwar sowohl im Anleihe-, wie im Aktienbereich, wie bei Edelmetallen. Während die immer flachere Zinsstruktur (nicht nur in den USA) nahelegt, dass die Konjunktur immer mehr an Fahrt verliert, signalisiert der US-Aktienmarkt für sich gerade das Gegenteil. Das ist zum einen Ausdruck eines Anlagenotstands – die realen Renditen im Anleihebereich sind alles andere als attraktiv. Zum anderen führt das dazu, dass die Bewertung der Aktienmärkte Größenordnungen erreicht hat, die langfristig nicht haltbar sein dürften.
Nach Shiller-CAPE kommt das KGV im S&P 500 mittlerweile auf 26,50, was einer historisch hohen Bewertung entspricht. Auf der Web-Seite Dshort.com werden einige alternative Ergebnisse von Bwertungsmodellen zu einer Zeitreihe zusammengefasst und per Ende Juni eine Überbewertung von 68% gegenüber dem Mittelwert seit 1900 festgestellt. 78% (oder zwei Standardabweichungen) scheint eine signifikante Hürde darzustellen, die dürfte mit den jüngsten Kurssteigerungen vermutlich wieder wie auch Mitte 2015 erreicht zu sein.
Die Finanzmärkte stehen weiterhin zwischen den Einflüssen eines eher negativen Konjunkturumfelds und nach wie vor hoher Liquidität. Also dasselbe Muster wie in den zurückliegenden sieben Jahren? Ja und nein. Um dieses Spiel am Laufen zu halten, müssen die Zentralbanken immer stärkere Geschütze auffahren. Das gilt in erster Linie für die Zentralbanken der wirtschaftlich besonders schwachen Regionen, also die EZB und die BoJ, aber auch für die BoE. Gegenwärtig wird der Euro gemieden – und das nicht erst seit dem Brexit