Schock! Die US-Wirtschaft schafft im Mai nur 38.000 neue Stellen, das ist der geringste Zuwachs in nahezu sechs Jahren. Für den Vormonat wurde die Zahl der neuen Jobs von 160.000 auf 123.000 revidiert. Gleichzeitig fällt die Arbeitslosenquote wundersamerweise von 5,0% auf 4,7%. Aktien reagierten mit deutlichen Verlusten, TBonds waren gesucht, der Dollar verlor an Wert.
Gold legte kräftig zu – das Edelmetall hatte sich in den vergangenen Tagen knapp über 1200 Dollar gehalten und damit die technischen Spielregeln befolgt. Die Wahrscheinlichkeit für einen Zinsschritt auf der nächsten FOMC-Sitzung am 14./15. Juni liegt nach Fed-Fund-Futures nun bei nur noch 6%. Angesichts der Abstimmung in Großbritannien über den Verbleib in der EU am 23. Juni war eine Zinserhöhung im Juni mit zuvor 21% schon nicht besonders wahrscheinlich.
Die Finanzmärkte hatten sich gerade erst an die Aussicht eines Zinsschritts noch vor der Zeit der Sommerferien gewöhnt, die Wahrscheinlichkeit hierfür lag am Vortag noch bei 58%. Aktuell ist sie auf 35% zurückgefallen. Beobachter meinten angesichts zuletzt partiell besserer Makrodaten, man könnte das als Vertrauensbeweis in die Wirtschaft werten und stellten die Gleichung auf: Gute Wirtschaft gleich steigende Zinsen gleich steigende Aktien.
Jetzt muss wieder umgedacht werden. Ob Aktien die Kraft haben, die vom Arbeitsmarktbericht ausgehenden schwächeren wirtschaftlichen Signale umzudeuten und erneut auf allein seeligmachende Liquidität zu setzen, muss sich angesichts des in die Jahre gekommenen Bull-Runs noch zeigen. Für einen Versuch in diese Richtung dürfte sprechen, dass sich der S&P 500 von seinen intraday-Verlusten erholte und knapp behauptet schloss. Gleichzeitig ist der VIX, das Angstbarometer der Wall Street, weiter gesunken – ein Zeichen trügerischer Sicherheit (s.u.!)?
Die Fed hat insbesondere unter der Ägide von Janet Yellen die Entwicklung des Arbeitsmarktes in das Zentrum ihrer Zinspolitik gestellt. Sie hat dabei zunächst mögliche Zinsschritte mit einer Arbeitslosenquote von unter 5,5% in Verbindung gebracht. Dann hat sie die Schwelle auf 5% reduziert. Dies war im November erreicht, im Dezember gab es daraufhin einen zaghaften Zinsschritt.
Der Zusammenhang zwischen der Arbeitsmarktentwicklung und der Zinspolitik der Fed ist nicht erst seit Yellen eng. Das verdeutlichen die folgenden Charts. Der erste zeigt den Gleichlauf zwischen der Zahl neuer Stellen und dem Leitzins, der Fed Funds Target Rate. Gleichlauf? Ja, bis 2009, ab 2010 gibt es den nicht mehr.
Die Fed hat ihren Zinserhöhungszyklus früher zwei bis drei Jahre nach dem Tief des Beschäftigungswachtums gestartet. Seit der Finanzkrise ist der Zusammenhang verloren gegangen.
Die Fed hat sin den zurückliegenden Dekaden immer ein wachsames Auf auf die Entwicklung der Lohnstückkosten gehabt. Stiegen diese an, folgte der Leitzins bald nach. Seit 2010 gilt dieser Zusammenhang nicht mehr.
Rein anekdotisch: Wenn man das Verhalten der Fed aus der Vergangenheit in die Zeit nach 2008 fortschreiben würde, müsste der Leitzins gemäss den drei gezeigten Charts heute bei fünf bis sechs Prpozent liegen.
Die großen Akteure an den Finanzmärkten haben sich an die Untätigkeit der Fed gewöhnt, zeigen Selbstzufriedenheit und wiegen sich in Sicherheit. Das zeigt sich z.B. seit Februar an der sinkenden Volatilität in praktisch allen Asset-Klassen.
Die Fed begründet ihre geldpolitische Untätigkeit mit der überbordenden Verschuldung. Seit dem offenen Ausbruch der Finanzkrise ist diese weltweit um mehr als 57 Bill. Dollar angestiegen. Lag das Verhältnis zwischen Gesamtschulden (Staat, Haushalte, Unternehmen und Finanzindustrie) im Jahre 2000 noch bei 246%, so lag der Wert 2007 bei 269%. 2014 wurden 286% erreicht.
Wenn die Verschuldung schneller wächst als das BIP, wird ein immer größerer Teil des Kapitals für den Schuldendienst gebraucht. Das steht dann produktiven Verwendungen nicht zur Verfügung. Daraus entwickelt sich ein Teufelskeis, zu hohe Schulden bremsen das Wachstum, zu geringes Wachstum macht den Schuldendienst immer belastender. Dann müssen neue Schulden her, um die alten bedienen zu können – und schon landet man bei Minsky.
Diese gigantische Fehlallokation von Kapital wird an zwei Bildern deutlich (Quelle). Das erste zeigt die Entwicklung produktiver, unproduktiver und kontra-produktiver Schulden in den USA. Als kontra-produktiv gelten Schulden, mit denen Altkredite finanziert werden. Unproduktiv sind die Schulden, die laufenden Verbrauch finanzieren. Produktive Schulden führen zu einer Stärkung der Kapitalbasis.
Die Entwicklung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zeigt einen Rückgang auf Werte, wie sie in den frühen 1930er Jahren erreicht wurden. Wenn die Geschwindigkeit sinkt, weist das daraufhin, dass das BIP weniger schnell wächst als die Geldmenge. Die realwirtschaftlichen Aktivitäten erlahmen im Vergleich zur Geldmenge, immer mehr davon geht in den Schuldendienst. Eine sinkende Umlaufgeschwindigkeit zeigt damit auch an, dass die Wirtschaft mit unproduktiven Schulden gesättigt ist.
Die QE-Maßnahmen der zurückliegenden Jahre haben zu einem signifikanten Anstieg der Geldmenge geführt, die daraus folgenden niedrigen Zinsen haben schwache Geschäftsmodelle am Leben gehalten, weil sich solche Unternehmen billig refinanzieren konnten. Das bremst Produktivität und Wachstum ebenfalls aus.
So lange kein Staat pleite macht, muss sich das Schuldenkarussel weiter drehen und die Zentralbanken werden alles daransetzen, die Zinsen tief zu halten – Japan macht es vor. Und, ja, es besteht ein massives Interesse, das BIP wird nominal aufgebläht, es stehen mehr Geldmittel für den Schuldendienst zur Verfügung. Alt-Schuldner werden entlastet – das ist Sinn und Zweck der Übung..
Jetzt kommt die Demographie ins Spiel. Die herrschende Meinung geht bisher davon aus, dass eine alternde Bevölkerung per se disinflationär wirkt, weil die Alten schlicht weniger konsumieren als die Jungen. Das würde das Durchhalten niedriger Zinsen begünstigen, die Zentralbanken stünden dann kaum unter Druck, mit steigenden Zinsen einer eventuell überbordenden Inflation entgegenzuwirken.
Neuere Untersuchungen der Bank for International Settlements (BIS), der Zentralbank der Zentrakbanken, zeigen ein differenzierteres Bild. Der Teil der Bevölkerung, der in Rente ist, konsumiert erheblich mehr als er produziert (fast nichts). Und das wirkt inflationär – einer sinkenden Nachfrage steht ein viel stärker sinkendes Angebot gegenüber. Die Situatrion verschärft sich, wenn die Produktivität z.B. Schulden-bedingt nicht oder nur noch wenig steigt. In den nachstehenden Charts misst die „dependency ratio“ das Verhältnis der Zahl der „Abhängigen“ (im Alter zwischen 0 und 14 und 65+) zur Zahl derer im arbeitsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre).
Die Gegenüberstellung von „dependency ratio“ und Inflation zeigt zumindest seit den 1970er Jahren durchweg eine recht gute Synchronität, allerdings erkenne ich aktuell kaum signifikante gleichzeitige Aufwärtstendenzen bei beiden Zeitreihen. Mag sein, dass die demographischen Enwicklungen dazu noch nicht weit genug fortgeschritten sind, mag auch sein, dass bisher noch Geldflut und schwache BIP-Entwicklung zusammen dagegen wirken und so bestenfalls marginale Anzeichen einer Wiederbelebung inflationärer Tendenzen ‚zulassen’. Aber die Argumentation, eine alternde Bevölkerung wirke (ceteri paribus) inflationär, hat dennoch aus meiner Sicht einiges für sich.
Dies könnte mittelfristig das Dilemma verstärken, dass die Zentralbanken die Zinsen zur Inflationsbekämpfung straffen müssten, es aber im Interesse der hoch verschuldeten Staaten unterlassen. Inflation unterstützt ja Alt-Schuldner, insofern ist sie zunächst nicht unwillkommen. Laufen die Zentralbanken aber mit ihrer Geldpolitik zu lange hinterher und halten die Zinsen zu lange unangemessen tief (angemessen wäre heute in den USA ein Leitzins von zwei bis drei Prozent – siehe hier!), dann besteht die Gefahr, dass die Inflation ausufert.
Anleihegläubiger erleiden beim aktuell niedrigen Zinsniveau schon bei mäßiger Inflation alsbald reale Verluste. Sie verlangen dann entweder höhere nominale Zinsen oder verkaufen ihre Verlustbringer. Im Ergebnis steigen die mittel- und langfristigen Renditen dann an. Das verteuert den Schuldendienst bei neuen Schulden und erhöht das Pleiterisiko erheblich – ich hatte oben gezeigt, dass bei einer entwickelten Schuldenspirale eine Ausweitung der Verschuldung praktisch zwingend ist. Die Inflation muss dabei gar nicht überschäumen z.B. auf Werte über 10% der frühen 1980er Jahre. Im Kontext der viel zu hohen Verschuldung und der schwachen Wachstumskräfte reichen schon weitaus geringere Preissteigerungsraten.
Die Zentralbanken werden zu immer drastischeren Zins-Manipulationen gezwungen – oder allgemeiner, zu immer unkonventionelleren Maßnahmen der Geldpolitik (siehe auch hier!). Einmal mehr zeigt sind ordnungspolitisch, dass marktfremde Eingriffe immer nur noch weitere nach sich ziehen.
[Unter Verwendung von Material aus "The Absolute Return Letter June 2016"]
Ergänzung:
US-Arbeitsmarkt – selbst wenn man die Vorgänge bei Verizon im Mai berücksichtigt und die hier ausmachenden 37.000 Jobs wieder zu den gemeldeten 38.000 neuen Stellen hinzu rechnet, ergibt sich mit lediglich 75.000 ein weit unterdurchschnittlicher Wert an neuen Jobs.
Vom Arbeitsmarkt über Zinspolitik zu Inflation und Demographie: Die Überalterung der Bevölkerung v.a. in den industrialisierten Ländern könnte entgegen der landläufigen Meinung inflationäre Tendenzen stützen. Das mag zunächst willkommen sein in einer Welt überbordender Schulden. Aber es verstärkt die Gefahr, dass die Preisentwicklung unbeherrschbar wird und die längerfristigen Zinsen unter Aufwärtsdruck geraten. Das wiederum erhöht das Pleiterisiko von Staaten und im privaten Sektor und zwänge die Zentralbanken zu immer drastischerer Manipulation der Zinsen.