Die US-Arbeitsmarktdaten für März entsprachen im wesentlichen den Erwartungen. Es wurden 215.000 neue Jobs geschaffen. Das Bild der Qualität der Arbeitsstellen ist das gleiche wie seit geraumer Zeit – nur 11% wurden in Industriesegmenten geschaffen, die Mittelklasselöhne zahlen.
John Williams von ShadowStats.com schreibt, dass die neuen Jobs per Saldo im wesentlichen aus dem „Birth-Death“-Modell stammen. Diesem liegt die Annahme zugrunde, dass es eine bedeutende Anzahl von Stellen gibt, deren Zu- oder Abgang nicht gemeldet wird. Das Modell unterstellt, dass neue Start-ups aktuell 200.000 Arbeitsstellen mehr geschaffen haben als durch Geschäftsschließungen verloren gegangen sind.
Analysiert man die gemeldeten Zahlen, so ergibt sich, dass im Einzelhandel 47.000 Stellen geschaffen wurden. Healthcare und soziale Fürsorge erbrachten 44.000. Kellner und sonstige Bedienstete im Hotel- und Gaststättengewerbe kamen auf 24.800. In der Fertigung gingen hingegen 29.000 Arbeitsstellen verloren. Der Anteil der Teilzeit-Jobs steigt weiter an. Einen Überblick über das Gehaltsniveau der neuen Stellen gibt der folgende Chart (Chartquelle)
Zur Untermauerung dieser langfristigen Entwicklung am Arbeitsmarkt: Im Rahmen der Politik der Globalisierung wurden und werden teure Jobs zur Maximierung der Unternehmensgewinne ersetzt durch Verlagerung der Produktion in Billig-Lohn-Länder, im Gegenzug kommen ausländische Geringverdiener ins Land. Dadurch wurde und wird das Wachstum des mittleren Familieneinkommens geschwächt. Dem wurde durch sinkende Zinsen und Ausweitung der Verbraucherkredite entgegengewirkt. Wenn das Einkommen aber nicht entsprechend wächst, kann dieses Spiel auch bei sinkenden Realzinsen nicht beliebig weitergehen.
Das nominale US-BIP ist seit 1969 um den Faktor 18 gestiegen (der CPI steht heute 6,6 mal so hoch wie 1969). Aktuell beträgt der Anteil der Nach-Steuer-Gewinne des Unternehmenssektors am BIP 10%, 1969 waren es 5,7%. Der Anteil der Löhne und Gehälter am BIP ist im selben Zeitraum von 50,7% auf 44% zurückgegangen, gleichzeitig haben die Transferleistungen des Staates von 6,1% auf 14,9% zugenommen. Im Ergebnis hat also eine Umverteilung zugunsten der Unternehmen stattgefunden, der Staat muss für den Faktor Arbeit immer höhere Kompensationzahlungen leisten. Basis für ein stabiles Wirtschaftswachstum ist das nicht!
Die jüngsten Wirtschaftsdaten in Japan zeigen, dass offenbar die dortige Finanz- und Wirtschaftspolitik der Abenomics die versprochene Wirkung verfehlt. Auch die Wendung der BoJ Ende Januar zu negativen Zinsen hin hat das Ruder nicht herumgerissen. Dollar/Yen hat darauf mit einer Talfahrt von 121 auf aktuell 111 reagiert – bei rund 115 liegt eine Schmerzgrenze für die japanische Exportindustrie. Die Abenomics haben zwar den Yen gegenüber Dollar in der Spitze um über 60% abgeschwächt und so für Extraprofite japanischer Exporteure gesorgt, die breite Wirtschaft ist jedoch nicht angesprungen.
Die EZB geht denselben Weg wie die BoJ – und sie wird genauso scheitern. Mit ihrer Geldflut-Politik wird die Marktwirtschaft zerstört. Kostspielige Fehlallokationen schwächen das Wachstum, Blasen auf Finanz- und Immobilienmärkten entstehen. Sie bergen die Gefahr einer neuen Finanzkrise. Mit der extremen QE-Politik findet eine Umverteilung von unten nach oben, zugunsten der Vermögensbesitzer, und zugunsten des „Club Med“ statt, von nordischen Gläubigern zu südlichen Schuldnern. Die Politik der EZB verstösst damit nicht zuletzt auch gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung im Vertrag von Maastricht.
Ein längere Zeit zu niedriger Zins führt dazu, dass Investoren übermäßig Kredit aufnehmen und damit auch weniger produktive Investitionen finanzieren bis die Kredite schließlich in rein spekulativen Projekten landen (Minskys Ponzi-Stadium). Solche ineffizienten Investitionen unterstützen zwar (zunächst) das Wirtschaftswachstum, aber das geht auf Kosten der gesamtwirtschaftlichen Produktivität – mit längerfristig negativen Effekten. Auf längere Sicht gesehen kostet diese Politik Wachstum.
Bei der Frage nach dem richtigen Zinsniveau hat der schwedische Ökonom Wicksell den Begriff des natürlichen Zinssatzes eingeführt. Er kann nicht direkt beobachtet werden und so sind verschiedene Herangehensweisen denkbar, um ihn zu ermitteln. Ich hatte mich mit dieser Frage hier befasst und bin aufgrund von Daten aus Mitte 2015 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Leitzins irgendwo zwischen 1,8% und 2,7% liegen müsste.
Eine Untersuchung von Thomas A. Lubik und Christian Matthes von der Federal Reserve Bank of Richmond (h/t Norbert Berthold in Wie geht es weiter mit den (realen) Zinsen?) kommt zu dem Schluss, dass der natürliche Zinssatz von etwa 3,5% in den frühen 1980er Jahren auf 0,5% im zweiten Quartal 2015 zurückgegangen ist (das Konfidenzband reicht aktuell von rund +3% bis –2%). Die Autoren betonen, der natürliche Zins sei in der ganzen Zeit niemals negativ geworden. Zudem lag er in der gesamten nach-Finanzkrisen-Ära stets höher als der Realzins. Das lässt den Schluss zu, dass die Geldpolitik im Wicksellschen Sinne in dieser Zeit stets zu locker war, heißt es.
Der Befund zu niedriger Zinsen gilt auch für die Zeit vor dem offenen Ausbruch der Finanzkrise.
Berthold schreibt in “Wie geht es weiter mit den (realen) Zinsen?“, es wäre vernünftig, geldpolitisch die Füße still zu halten. Die EZB mache aber das Gegenteil und setze immer skurilere Instrumente ein. Die „quantitative Lockerung“ werde exzessiver, die Negativ-Zinsen stiegen weiter, bizarres Helikopter-Geld werde auch nicht mehr ausgeschlossen. Die verabreichte Medizin schlage nicht an, dennoch werde sie immer höher dosiert. Damit stiegen die Risiken, die Nebenwirkungen würden größer, heißt es.
Das eigentliche Problem ist die anhaltende Wachstumsschwäche, die sich in den niedrigen und sinkenden Realzinsen widerspiegelt. Das pro-Kopf-Wachstum des BIP ist schon länger schwach. Das lässt sich auf demographische Faktoren zurückführen, aber auch auf sinkende Wachstumsraten bei der Arbeitsproduktivität. Dies wiederum geht auf immer geringere Dynamik beim technischen Fortschritt zurück.
Dies führt mich zur Theorie der langen Wirtschaftszyklen von Kondratieff. Demnach befinden wir uns gegenwärtig im Kondratieffschen Winter (zur Theorie von Kondratieff siehe hier: Rethfeld/Singer – Weltsichten/Weitsichten). Mit dem „Wintereinbruch“ kristallisiert sich allmählich eine deflationäre Entwicklung heraus. Der allgemeine Wohlstand sinkt, die Wirtschaftstätigkeit erlahmt. Innovationen sind nur noch inkrementeller Natur – etablierte Technologien werden lediglich verbessert, billiger gemacht und weiter verbreitet. Konsolidierung ist das zentrale Stichwort in der Wirtschaft. Das politische und soziale Geschehen wird allmählich durch radikale Töne bestimmt (siehe z.B. hier und hier!). Etablierte politische Bündnisse scheitern immer häufiger, es entstehen in rascher Folge neue Konstellationen. Nach Kondratieff hilft ein größerer Krieg schließlich, die Depression zu beenden und eine wirtschaftliche Erholung einzuleiten. Dann werden allmählich neue, bahnbrechende Erfindungen gemacht, aber noch nicht realisiert. Eine letzte, milde Rezession beendet diese Phase des Kondratieff-Zyklus und leitet zu einem neuen Zyklus über.
Selbst wenn der Kondratieffsche Winter den übergeordneten Rahmen für eine weiterhin anhaltende depressive Entwicklung bildet, so kann die Wirtschafts- und Finanzpolitik dazu beitragen, den Prozess abzukürzen – oder zu verlängern. In diesem Zusammenhang hat Willem Buiter, Citibank, vor einigen Wochen erneut darauf hingewiesen, dass das Hoch-Halten von Asset-Preisen und volkswirtschaftlicher Nachfrage zwar die Schwere von Rezessionen abfedern kann, jedoch zugleich die Dynamik konjuktureller Erholungen schwächt. Das führe zu immer ausgedehnteren Phasen niedrigen Wachstums, schreibt er.
Aktuell treffen die von Buiter beschriebenen Konsequenzen einer Geldflut-Politik mit den depressiven Tendenzen des Kondratieff-Winters zusammen und verstärken sich gegenseitig. Besserung ist nicht in Sicht – im Gegenteil.
Der Fokus einer konstruktiven Wirtschaftspolitik müsste auf produktive Infrastruktur-Investionen gelegt werden, bei denen die erzielten Ergebnisse die Kosten ihres Schuldendienstes übersteigen. Hierzu zählen auch Investionen in Bildung, Forschung und Wissenschaft mit dem Ziel, die Entwicklung neuer bahnbrechender Erfindungen zu beschleunigen.
Die EZB betreibt mit ihrer unverantwortlichen Geldpolitik aktiv Beihilfe zur Reformverweigerung der Politik. Sie ist zwar nicht zuständig für nachhaltige Strukturreformen und konsolidierte öffentliche Haushalte. Aber sie liefert der Politik Alibis in Serie, nichts tun zu müssen.
Die unverantwortliche Geldflut der Notenbanken drückt das Wachstum, statt es zu unterstützen. In Japan ist es mittlerweile offensichtlich, dass die Politik der Abenomics versagt hat. Die Eurozone und die EZB gehen denselben Weg und werden ähnlich scheitern. Notwendig wäre eine wohlüberlegte Politik der Strukturreformen. Davon ist weit und breit nichts zu sehen.
Wenn die Politik ökonomische Gesetze bestreitet, die den Rahmen für ihre Aktivitäten bilden, wird eine Volkswirtschaft auf Dauer ruiniert – „zunächst vielleicht kaum wahrnehmbar oder schleichend … am Ende des Tages allerdings mit voller Wucht”. (Eugen Böhm von Bawerk, 1914)