Das Wien des Fin de siècle war bis in die 30er Jahre eine Welthauptstadt des Geistes, in der viel Neues geboren wurde. Die Wiener Schulen hatte enormen Einfluss auf das Denken der jeweiligen Zeit und manifestierten den Ruf der Stadt Wien als Wissenschafts-Stadt. Eine Historie, die der Stadt Wien zur Ehre gereicht aber auch verpflichtet.
Ein schweres Erbe
Es stellt sich unweigerlich die Frage, ob Wien im neuen Jahrtausend diesen Ansprüchen gerecht werden kann. Der aktuelle \"Wissenschaftsbericht der Stadt Wien“ legt die Vermutung nahe, dass Wien auf einem gutem Wege ist, das historische Erbe anzutreten. Am Standort Wien befinden sich derzeit neun Universitäten, sechs Fachhochschulen, vier Privatuniversitäten, die österreichische Akademie der Wissenschaften, die Ludwig Boltzmann Gesellschaft, 30 größere wissenschaftliche Anstalten der öffentlichen Hand, zahlreiche wissenschaftliche Institute mit Vereinsstatut, 18 Volkshochschulen, etwa 70 Bibliotheken und 125 Museen, an denen auch wissenschaftlich gearbeitet wird. \"Wien ist das Zentrum der österreichischen Brain-Power“, zieht der für den Bericht verantwortliche Wissenschaftsreferent Hubert Christian Ehalt den folgerichtigen Schluss - früher hätte man Wasserkopf dazu gesagt, aber Brain-Power-Zentrum klingt doch deutlich besser.
\"Ich bemühe mich, Projekte zu fördern, die die Wiener Wissensbasis erkunden und nähren“, sagt Andreas Mailath-Pokorny, amtsführender Stadtrat für Kultur und Wissenschaft. \"Wir wollen die Wiener Wissenschaftstraditionen durch konzertierte Initiativen unterstützen und verbessern.“ Als Arbeitsnachweis führt Mailath-Pokorny die neuen Wissenscluster im Bereich der Biotechnologie, der Nanowissenschaften und der Kreativindustrien an, zusätzlich hätten die Kulturwissenschaften nicht nur im universitären Bereich einen eindrucksvollen Boom im Feld der \"cultural studies“ ausgelöst. Obwohl die Stadt Wien - wie im Wissenschaftsbericht mehrmals darauf hingewiesen wird - nicht für Wissenschafts- und Forschungsförderung zuständig ist, wird \"diesem Aufgabenfeld ein hoher Stellenwert zugeordnet“. Zur Verfügung stehen dabei zahlreiche Förderungsinstrumente wie etwa eine gezielte Technologiepolitik, die Vergabe von Forschungsaufträgen, gezielte Subventionen und die Ausschüttungen der Wiener Wissenschaftsfonds und -stiftungen.
Kritik der anderen
Naturgemäß weniger euphorisch fällt die Bilanz der politischen Opposition im Rathaus aus. Zwar wird die Veröffentlichung des Wissenschaftsbericht von allen Parteien begrüßt, der Inhalt desselbigen jedoch sehr unterschiedlich ausgelegt. \"Für wissenschaftliche Forschung gab die Stadt Wien im Jahr 2004 23,4 Millionen Euro aus“, rechnet Gerhard Zeinitzer, Pressesprecher des VP-Klubs, vor. Davon müssten aber die Museen, die keine reinen Forschungsinstitutionen sind, abgezogen werden. Es bleiben 13,7 Millionen Euro, was laut Zeinitzer nur acht Prozent des Gesamtbudgets, das für Kultur und Wissenschaft zur Verfügung steht, ausmacht. Zeinitzer ist überzeugt, dass Wien in erster Linie davon profitiere, Universitätsstadt zu sein und deshalb \"der Bund kräftig mitfinanziere. Die Investitionen der Stadt reichen nicht aus, um Wien zu einen Wissenschafts- & Forschungszentrum zu machen“, so Zeinitzer.
Claudia Sommer-Smolik, Wissenschaftssprecherin der Grünen, vermisst vor allem langfristige Strategien und eine konkrete Schwerpunktsetzung. \"Es wäre wichtig, an konkreten Zukunftsszenarien zu basteln, wie es mit dem Wissenschaftsstandort Wien weiter gehen soll“, so Sommer-Smolik. \"Es gilt herauszufinden, welche Unterstützung die Universitäten und junge Forscher brauchen, um den Wissenschaftsstandort langfristig zu sichern.“ Es reiche nicht aus, sich um Aushängeschilder wie Anton Zeilinger zu kümmern, fordert Sommer-Smolik eine breitere Streuung der eingesetzten Gelder.
Heidrun Schmalenberg, geschäftsführende Klubobfrau des BZö Wien, kennt zwar den \"Wissenschaftsbericht der Stadt Wien“ nicht, weiß aber dennoch, was es zu verbessern gilt. \"Die missglückten Ansiedelungen von Baxter und Sandoz zeigen, dass vieles falsch läuft“, so Schmalenberg. Sie fordert ein klares Bekenntnis der Stadt zum Technologiestandort und eine flexible Politik, wenn es um die Ansiedelung von großen Konzernen geht.
Veranstaltungshinweis:
Wiener Wissenschaftstage 2005
29. September bis 7. Oktober