Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien, über autonomes Fahren auf Baustellen, unnötige Pendelfahrten und die enormen Produktivitätssteigerungen durch digitale Transportdaten-Plattformen. Report: Welche Auswirkungen haben die Digitalisierung und Industrie 4.0 auf die Transportbranche? Sebastian Kummer: Das Gesetz von Ashley besagt, dass die Auswirkungen solcher neuen Technologien zuerst über- und dann unterschätzt werden. Ich glaube, das ist auch bei der Digitalisierung der Fall. Aktuell befindet sich die Transportwirtschaft in einer großen Umbruchsphase. Mittel- bis langfristig wird es zu gigantischen Veränderungen kommen. Report: Was konkret erwarten Sie? Kummer: Ein wesentlicher Entwicklungsschritt wird das autonome Fahren, gerade auch für die Bauwirtschaft. Es gibt ja schon jetzt Bereiche wie etwa in großen Minen, wo autonom fahrende Fahrzeuge eingesetzt werden. Aktuell wird viel über autonomen Verkehr auf Betriebsgeländen diskutiert. Und es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, warum nicht auch auf großen Baustellen autonom fahrende Fahrzeuge eingesetzt werden sollten. Denn überall dort, wo es eine abgegrenzte Fläche gibt, ist autonomes Fahren schon heute möglich. Technisch ist das alles kein Problem, es ist eine Frage der Anwender. Heikler wird das autonome Fahren im öffentlichen Verkehrsnetz. Aber da könnte ich mir sogar vorstellen, dass die Bauwirtschaft eine Art Vorreiterrolle einnehmen könnte, weil man es in der Regel mit stark vordefinierten Strecken zu tun hat. Viel Routine und eine einfache Umgebung sind die besten Rahmenbedingungen für autonomes Fahren. Report: Womit ist abseits der Autonomie zu rechnen? Kummer: Wesentliche Veränderungen wird es auch in der Organisation und Vergabe von Transporten geben. Heute funktioniert das alles noch sehr stark händisch. Auch in den Bauunternehmen gibt es eine ganze Reihe von Disponenten, die die Fahrzeuge organisieren. Das sind Prozesse, die sehr gut automatisierbar sind, weil sie zwar komplex, aber regelbasiert und beschreibbar sind. Da sind enorme Produktivitätssteigerungen möglich. In fünf Jahren wird man vermutlich mit der Hälfte, in zehn Jahren mit einem Drittel der Disponenten auskommen. Und die Rolle des Disponenten wird sich auch ändern. Wo das Fahrzeug ist, welche die beste Route ist, das alles wird der Computer entscheiden. Der Disponent greift dann ein, wenn es Unregelmäßigkeiten in der Routine gibt. Report: Wenn man mit Bauunternehmen spricht, ist oft zu hören, dass Transporte immer noch eine Unmenge an Papierkram bedeuten. Nicht selten werden beim Übergeber, Übernehmer und Transporteur ein und dieselben Lieferscheindaten ausgefüllt und analog übermittelt. Ist das ein Spezifikum der Baubranche? Anders gefragt: Wie digital laufen Transporte in Österreich ab? Kummer: Dieses Thema beschäftigt uns an der Universität kaum noch, weil es seit 15 Jahren gelöst ist – allerdings nur theoretisch (lacht). Praktisch ist es tatsächlich so, wie Sie sagen. Der Bereich der Transportwirtschaft, der am stärksten digitalisiert ist, ist der Luftfrachtbereich. Und selbst dort sind 30 Prozent der weltweiten Sendungen nicht digital. Im LKW-Verkehr ist das noch viel deutlicher, da gibt es immer noch Unmengen an analogen Lieferscheinen. Da sind die Speditionen jetzt gefragt, nachzuziehen, sonst wird es sie in fünf Jahren nicht mehr geben. Woran es im Moment oft noch scheitert, sind die länderübergreifenden Standards. Da tun sich viele Unternehmen schwer. Eine weitere Schwierigkeit ist die Schnittstelle der ERP-Systeme von Industrie und Handel einerseits und den Transportdienstleistern andererseits. Report: Wie wichtig wäre es, die Informationen direkt aus den ERP-Systemen zu beziehen und allen am Transport Beteiligten zur Verfügung stellt? Kummer: Das wäre natürlich der Idealzustand. Weil die Systeme der Industrie und der Transportdienstleister aber verschieden sind und ganz unterschiedliche Anforderungen erfüllen müssen, braucht es Plattformen, die dazwischen geschaltet sind. Der Vorteil ist, dass solche Plattformen neutral sind. Ein Transportunternehmen muss sich nur einmal mit so einer Plattform verbinden und dann können die Aufträge abgewickelt werden. Report: Was sind die größten Vorteile solcher Plattformen? Kummer: Wenn alles digital ist und Lieferscheine nicht mehr ausgestellt, ausgedruckt und manuell weitergegeben werden müssen, spart das natürlich massiv Prozesskosten. Wichtig ist aber auch die Sendungsverfolgung, das sogenannte Tracking & Tracing. Damit weiß ich immer wo meine Sendung gerade ist. Und die Transparenz in der Supply Chain führt dazu, dass man ganz genau analysieren kann, wo Kosten entstehen und wo es Einsparungsmöglichkeiten gibt. Report: Warum verzichten dennoch viele Unternehmen auf diese Vorteile? Kummer: Viele Transportdienstleister haben keine große Freude mit allzu großer Transparenz und sträuben sich dagegen. Der Druck muss von der verladenden Industrie kommen. Report: Welche Schritte sollten Bauunternehmen setzen, um von diesen Vorteilen zu profitieren? Sollten die Unternehmen gemeinsame Schritte setzen oder mit dem Transporteur ihres Vertrauens beginnen? Kummer: Durch eine Poolung der Aufträge wären sehr gute Kosteneinsparungen möglich. Ich habe aber den Eindruck, dass sich die Bauindustrie schwer tut mit über ein Projekt hinausgehenden Kooperationen. Für eine durchgängige Digitalisierung aller Transporte und aller Akteure müsste man aber langfristig Pools schaffen, auf die alle zugreifen können. Da ist eine neutrale Plattform natürlich ideal. Hier sind vor allem die Großen der Branche gefragt. Die Notwendigkeit ist auch absolut gegeben, denn wir wissen ja, dass es gerade in der Bauwirtschaft einen sehr hohen Anteil an Leerfahrten gibt. Report: Welche Rolle spielt das Zeitmanagement? Kummer: Das ist ganz wichtig. Vor allem auf großen Baustellen gibt es schon heute ein ausgeklügeltes Zeitmanagement, damit sich die verschiedenen Unternehmen und Gewerke nicht in die Quere kommen. Das ist der erste Schritt in Richtung Transportmanagement. Wenn ich dem Transporteur sage, wann er kommen soll, mache ich eine systematische Transportplanung. Diese Systeme werden zunehmend digital und werden auch langfristig flächendeckend zum Einsatz kommen. In der Bauwirtschaft gibt es oft die sogenannten Pendelfahrten, wo ein LKW zwischen zwei Punkten hin- und herfährt. Das bedeutet in der Regel 50 Prozent Leerfahrten. In der Transportwirtschaft sind aber zehn bis zwölf Prozent an Leerfahrten das Maximum. Sonst könnte keine Spedition überleben. Da gibt es ein enormes Optimierungspotenzial, etwa durch Dreiecksfahrten. Ein Problem ist auch, dass die Bauindustrie aus meiner Sicht häufig von Projekt zu Projekt denkt. Für diese digitalen Technologien braucht es aber einen strategischen Zugang, eine Digitalstrategie, die alle Handlungsfelder definiert und die nötigen Schritte vorgibt.