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Der Rabbi als Theatermacher

\"alteDas neue Buch des Theatermachers Tuvia Tenenbom sorgt für heftige Kontroversen, noch ehe es erschienen ist, weil er die Wurzel des Antisemitismus bloßlegt – mit naiven Fragen und beißendem Humor. Report (+) PLUS hat ihn in New York besucht.

»Allein unter Deutschen« heißt das Buch, das im Herbst bei Suhrkamp erscheinen wird und das jetzt schon heftige Kontroversen auslöst. Zunächst hätte es bei Rowohlt erscheinen sollen, aber Alexander Fest, der Herausgeber, hat kalte Füße bekommen, weil der Autor zu sehr an einem wunden Thema rührte. Den alltäglichen Antisemitismus in Deutschland  legt er in seinem  als Reisebericht getarnten Werk offen. Er sei halt »ein hysterischer Jude«, schrieb Fest an Tenenbom. Die Süddeutsche Zeitung griff das auf, bezeichnete den Wechsel von Rowohlt zu Suhrkamp als einmaligen Akt in der deutschen Verlagsgeschichte und zerpflückte die Arbeit des »Juden Tenenbom« in einer Weise, die die Kernthese Tenenboms bestätigte. Antisemitismus sitzt so tief und ist so selbstverständlich, dass selbst in einer liberalen, kosmopolitischen Zeitung wie der Süddeutschen die Redakteure nichts dabei finden, den »Juden« als Nestbeschmutzer zu verunglimpfen.

»Ich bin Tuvia Tenenbom, Theaterdirektor, Autor und eben auch Jude, aber ich bin nicht der Jude Tenenbom. Viele verstehen den Unterschied immer noch nicht und haben seit dem ›Jud Süss‹ aus der Goebbel’schen Propagandafabrik nichts dazugelernt«, sagt Tuvia, als ich ihn in seinem Büro in New York treffe.

Es ist der Sitz des Jüdischen Theaters, untergebracht im Hotel Pennsylvania im Herzen Manhattans, direkt dem weltberühmten Madison Square Garden gegenüber. Die Gegend ist der Inbegriff des verrückten, schnellen, lauten, schrillen und liebenswerten New York, das wie kaum ein anderer Platz auf diesem Planeten die Vielfältigkeit und Buntheit des Menschseins repräsentiert. Nicht umsonst hat Tenenbom genau hier seine Zelte aufgeschlagen, denn für ihn ist Theater wie Religion, ist das Judentum wie eine Inszenierung. »Der Talmud ist voll von Geschichten über gierige weltlichen Führer, lüsterne Könige, korrupte Priester,  gemeine Mörder und Vergewaltiger.«

Die  Protagonisten auf seiner Bühne sind dem Talmud entsprungen und er setzt Religion und Theater gleich: »Judentum ist eine Kultur, die den Gegensatz liebt, es ist eine Theologie, die ihren Anhängern predigt, dass sie selbst denken sollen.« Das geschriebene, religiöse Wort sei nicht viel mehr als ein Kompass, mit dem man sich durch den Irrgarten des Lebens schwindeln kann.

Auf seiner Reise durch Deutschland begegnet Tenenbom Neonazis, Anarchisten, Vorstandsdirektoren, Chefredakteuren und dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, und mit seinen hintergründigen, einfachen Fragen bringt er sie dazu, mehr preiszugeben, als ihnen lieb ist. Tenenbom legt ein Denkmuster bloß, eines, das ständig nach Autoritäten sucht, nach Wahrheiten, in einer Welt, in der es nach Tenenbom nur Fragen gibt. Der Antisemitismus, den er entdeckt, besteht nicht nur in gedankenlosen Sagern und unbedachtem Handeln, sondern in einer Geisteshaltung.

»Ich als Theatermacher stelle Fragen, ich fordere heraus, und wie die großen Denker aus biblischen Zeiten wasche ich dreckige Wäsche auf offener Bühne«, sagt Tenenbom, lehnt sich in seinem breiten Bürosessel zurück , blinzelt verschmitzt durch seine Hornbrille, eine rauchlose Zigarette zwischen den Fingern, die keinen Qualm verursacht, aber an der Spitze leuchtet, als wäre da noch ein Feuer. Irgendwie ahne ich, warum Tenenboms Buch den Titel trägt: »Allein unter Deutschen«.


»Allein unter Deutschen« erscheint im Herbst bei Suhrkamp. Die englische Originalfassung unter dem Titel »I sleep in Hitler’s bedroom« wurde vom jüdischen Theater New York herausgebracht und ist über Amazon erhältlich.

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