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Die Kraft des Kleingedruckten

\"BlindeDas amerikanische Rechtssystem hat schon so manches Unternehmen in die Knie ­gezwungen. Aber Konzerne haben jetzt einen Weg gefunden, die Gerichte auszuschalten: das Kleingedruckte!

Gerichte in den USA haben schon so manches Unternehmen das Fürchten gelehrt. Das Zauberwort heißt »punitive damage« und es erlaubt den Geschworenen, neben Schadenersatzzahlungen auch Strafzahlungen aufzuerlegen, die abschreckend wirken sollen. Philip Morris, der Tabakkonzern, kann davon ein Lied singen. Die Klägerin Mayola Williams etwa bekam, nachdem ihr Mann an Lungenkrebs gestorben war, 821.485 US-Dollar an Schadenersatz und 79,5 Millionen als Bußgeld.

Deshalb tun Unternehmen alles, um nicht vor den Kadi gezerrt zu werden. Sie haben aus solchen Fällen gelernt und setzen nun auf das Kleingedruckte – und es erweist sich, dass die Lösung für komplexe Probleme in einem einfachen Satz liegt: »Streitfragen sind nicht vor Gericht, sondern in einem Schiedsverfahren zu lösen.« Das ist die neue Zauberformel, die in unzählige Geschäftsbedingungen Eingang findet und tatsächlich vor dem Höchstgericht Stand hält. Der Oberste Gerichtshof in Washington hat vor wenigen Wochen so entschieden und nun sprechen Experten von einer Revolution. »Mit dieser Entscheidung ist der Fluchtweg aus dem Gerichtssystem eröffnet«, schreibt Gary Paul, der Präsident der amerikanischen Richtervereinigung.
Der Telefonkonzern AT&T hat es vorgemacht und in all seine Mobilfunkverträge die Formulierung eingebaut. Der Kniff ist so simpel, dass man kaum glauben mag, dass er tatsächlich wirkt. Das Kleingedruckte, das mittlerweile bei jeder Internet-Transaktion aufgerufen und meistens ungelesen angeklickt wird, schafft nun neue Realitäten. Bisher konnten Bestimmungen erfolgreich bekämpft werden, die den Kunden einseitig einschränkten, sie wurden schlicht als sittenwidrig aufgehoben und es wurde argumentiert, dass der Konsument einzelne Geschäftsbedingungen gar nicht verhandeln könne und ihnen deshalb einfach zustimmen müsse, wenn er eine Dienstleistung überhaupt in Anspruch nehmen wolle. Aber das Höchstgericht entschied vor einem Jahr für AT&T und legte jetzt im Fall Compucredit gegen Greenwood nach.

Die Familie Greenwood hat im konkreten Fall das Kreditkartenunternehmen Compucredit geklagt, weil es einen Kredit über 300 Dollar bekommen hat, dafür aber 257 Dollar Spesen bezahlen musste. Die Familie fühlte sich getäuscht und wollte mit anderen Geschädigten zusammen die faule Praxis anprangern und hatte zunächst beim Bezirks- und Landesgericht Recht bekommen. Die Höchstrichter aber kannten keine Gnade und entschieden gegen die Greenwoods, weil sie gar kein Gericht hätten anrufen dürfen – es stand im Kleingedruckten. Die Entscheidung fiel mit fünf gegen vier Stimmen und Höchstrichter Scalia schrieb die Mehrheitsmeinung, dass Verträge »gültig, unwiderrufbar und durchsetzbar sind«, solange sie keine gesetzwidrigen Bestimmungen enthalten. Ein Schiedsverfahren statt dem Rechtsweg im Falle eines Streites festzulegen, ist zweifelsfrei gesetzeskonform.

Damit werden Regeln neu geschrieben, wie die Empfehlung der auf Arbeitsrecht spezialisierte Kanzlei Nixon & Pebody an ihren Klienten zeigt: »Nach dieser Entscheidung, die weitreichende Konsequenzen hat, empfehlen wir Unternehmen, Bestimmungen in die Arbeitsverträge aufzunehmen, die Schiedsverfahren statt Gerichtsverfahren festschreiben und explizit festlegen, dass Verträge nicht mehr in Form von Sammelklagen, sondern nur mehr einzeln angefochten werden können.«

Der einsetzende Run auf Schiedsverfahren ist eine Art Privatisierung der Streitschlichtung, indem der Richter durch ein frei wählbares Gremium ersetzt wird, das in seiner Entscheidungsfindung nicht unbedingt an rechtliche Bestimmungen gebunden ist, aber letztgültige Sprüche verfasst. Berufungen sind nicht möglich.
Das Kleingedruckte stellt jetzt ein ganzes System auf den Kopf.

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