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Reform von unten

\"SpontanEin Gastkommentar von Cosima Reif und Gabriela Harmtodt.

Zwischen Provokation und Information: Die Facebook-Gruppe »Amici delle SVA« versucht, gegen Ungerechtigkeit im Sozialversicherungssystem anzugehen. Unabhängig und überparteilich.


Wir sind Jazzmusiker,  Schauspieler,  Handels- und Versicherungsvertreter, Übersetzer, Putzfrauen, IT-Experten und Designer, Bildhauer, Psychotherapeuten oder Journalisten: Man kann sich kaum eine heterogenere Gruppe vorstellen als die 340.000 Selbstständigen. Uns verbindet eines: die Zwangsmitgliedschaft in der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft, kurz SVA.

Seit gut einem Dreivierteljahr organisieren wir uns auf Facebook. Die Blogs dienen sowohl für Wutbürgertums-Ausbrüche als auch der soliden Informationsbeschaffung. Wir sehen, wir sind nicht allein.

Von 10 % der Versicherten treibt die SVA die Beiträge per Exekution ein, viele enden mit Ratenzahlungen, andere mit einem Kon­kursantrag.

Denn die finanziellen Belastungen durch die SVA sind zu hoch. Wir zahlen Arbeitgeber- plus Arbeitnehmer-Anteil. Auch wenn wir nichts verdienen, gibt es eine willkürlich festgelegte Mindestbeitragsgrundlage.

Keine Zähne und keine Brille kennt man auch von anderen Kassen. Aber 20 % Selbstbehalt bei jedem Arztbesuch können sich Selbstständige nicht leisten. Dazu kommt, dass Freiberufler weder automatisch Anspruch auf Arbeitslosengeld noch sonstige Leistungen haben, wenn Aufträge ausbleiben oder eine längere Krankheit eintritt.

Besonders hart trifft es Mütter. Die Wochengeldleistungen von derzeit € 26,60 pro Tag sind in etwa ident mit den SVA-Zahlungen, so dass man das überwiesene Geld gleich wieder zurückerstatten darf. Wer sich Extravaganzen wie Miete, Strom und Telefon leistet, muss natürlich (heimlich) arbeiten. Und macht sich strafbar, weil frau sich selbst im Mutterschutz ausbeutet.

>> Kafkas Schloss <<

Richtet man eine Beschwerde an die SVA, wird man zum Sozialministerium geschickt.  Das Sozialministerium erklärt sich für nicht zuständig,  denn die SVA untersteht der Wirtschaftskammer.

Geht man zur Wirtschaftskammer,  trifft man Christoph Leitl, der in Personalunion sowohl WKÖ als auch SVA vorsteht – weshalb es zwischen Wirtschaftskammer und SVA wohl nicht zu Diskussionen kommen wird.

Letzten November stellten deshalb Hunderte Vorarlberger, nieder­österreichische und Wiener Amici bei ihren Wirtschaftsparlamenten einen Antrag.

Die Forderungen reichten von einer Senkung der Mindestbeitragsgrundlage auf ASVG-Niveau, den Entfall des Selbstbehalts für Geringverdienende über die Aussetzung der SVA-Beiträge für Wöchnerinnen bis zu einer dramatischen Verringerung der Exekutionen.
Bei der Wiener Abstimmung am 29. November war die Besuchertribüne rammelvoll – mit Angestellten der Wirtschaftskammer. Man hatte Angst, dass zuhörende Amici die Stimme erheben würden! Immerhin wurde der Antrag zu Teilen angenommen. Wann dies zum Tragen kommt, wissen die Götter.

Inzwischen wird im Parlament das Sparpaket geschnürt und es sieht so aus, als ob sich alles verschlimmert, insbesondere für die rund 280.000 Einpersonenunternehmen. Die geplante Senkung der Mindestbeitragsgrundlage kommt doch nicht, dafür eine 5,7-prozentige Erhöhung der Pensionsbeiträge.

Doch wir hoffen, dass uns die Dynamik erhalten bleibt. Wir sind jetzt 3.800 Mitglieder und haben für Nicht-Facebooker die Plattform www.amicidellesva.com geschaffen. Wir sammeln Unterschriften in einer Online-Petition und Geld für einen Musterprozess.

Es geht um einen Strukturwandel im post-sozialistischen Österreich. Alterspyramide, Sparpaket etc. – in Zukunft werden sich immer weniger Unternehmen Angestellte leisten können. Gut ausgebildete Menschen haben dann nur noch die Wahl zwischen Sozialamt und Freelancertum. Letzteres darf nicht schlechter honoriert sein als Ersteres.

Die Autorinnen: Cosima Reif und Gabriela Harmtodt sind Mitbegründerinnen der Amici delle SVA.

Infos: www.amicidellesva.com

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