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Bildungskampf

Die Studenten wollen Bildung statt Bologna. Aber was wollen eigentlich Unternehmen und der Arbeitsmarkt?

Uni brennt! Das klingt ein bisschen übertrieben und ist es auch. Der Slogan der der Unibesetzer ist halt marketingtechnisch ein bisschen aufgemotzt. Aber in der österreichischen Hochschulbildung glost und glimmt es an allen Ecken und Enden. Die Hoffnung von Noch-Unterrichtsminister Johannes »Gio« Hahn dass sich der Protest bald totlaufen werde, hat sich nicht erfüllt. Ein paar ausdauernde Studenten besetzen immer noch das Audimax der Uni Wien. Ein Akt, der hauptsächlich von seiner Symbolkraft lebt, aber den Minister, der geistig wahrscheinlich schon eher in Brüssel schwebt, noch an den Verhandlungstisch gezwungen hat. Und ein paar Millionen Euro als Notfallshilfe-Paket für die notleidenden Unis sind auch noch herausgesprungen. Ein paar verkommene Institutsräume kann man damit sicher ausmalen. Dass für das Desaster rund um die Kärntner Hypo-Group mit Charme und Leichtigkeit Steuermilliarden losgeeist werden, hebt die Laune der Studenten nicht: »Bildung statt Bankenhilfe« ist etwa auf den Transparenten zu lesen. Was die Studenten tatsächlich wollen, ist gar nicht so leicht zu erkennen. Natürlich geht es um bessere Studienbedingen oder bessere Betreuung, natürlich geht es um überfüllte Lehrsäle und ausgebuchte Seminare. Das Unbehagen sitzt aber tiefer. Ein Feindbild ist etwa der Bologna-Prozess. Leere statt Lehre, könnte man auch dazu sagen.

Das Studium ist bis zum Anschlag verschult, nach industriellen Kriterien werden Bachelors wie am Fließband produziert. Statt Wissenschaftlern oder kritischen Denkern wird eine Generation von genormten und wirtschaftskompatiblen Multiple-Choice-Artisten auf den Arbeitsmarkt geworfen. Aber braucht der Arbeitsmarkt überhaupt diese Millionen Bachelors, die europaweit vom Fließband laufen werden? Die aufmüpfigen Studiosi, ohnehin Angehörige der »Generation Praktikum«, haben ihre Zweifel. Der studentische Frust scheint überall tief zu sitzen. Ausgehend von Österreich haben sich die Proteste und Besetzungen wie ein Lauffeuer über Deutschland ausgebreitet. Selbst in den USA wurden ehrwürdige Unis wie Berkeley bestreikt, dutzende Demonstranten in Los Angeles verhaftet. International vernetzt sind die geografisch verstreuten Studenten über Twitter, Blogs, Facebook, YouTube und Co. So werden spontane Flashmobs und Besetzungen organisiert, auf die die Staatsmacht nur schwerfällig reagiert. Interessantes Detail am Rande: Viele einschlägige Blogger und Szenebeobachter von Web 2.0 sind der Meinung, dass die spontane Vernetzung der österreichischen Studenten neue Standards gesetzt hat und als Strickmuster für Deutsche und gar die internetverliebten US-Kollegen gedient hat.

Hausmasta oder was?
Über den Wert oder Unwert eines Bachelor-Abschlusses wird gerätselt und gestritten. Nicht nur unter Studenten und Personalchefs, sondern auch auf der Ebene von Studien. Ein düsteres Bild zeichnet eine jüngste Erhebung der Arbeiterkammer (siehe Kasten). Während die Österreicher mit Magistern, Doktoren oder Diplomingenieuren noch etwas anfangen können, fehlt über die neuen Bachelors und Masters auf breiter Front das Wissen. Nur ein Viertel der Befragten kann mit den Neo-Anglizismen überhaupt etwas anfangen, ein Drittel hat immerhin noch eine ungefähre Vorstellung, was sich dahinter verbirgt. Aber mehr als vier von zehn Befragten halten scheinbar den Bachelor für eine Unterart der Bachforelle und den Master als umgangssprachliche Berufsbezeichnung für Hausmeister. Je informierter die Befragten sind, desto skeptischer sehen sie laut AK-Studie den praktischen Nutzen der neuen Abschlüsse. In »höheren« Bildungsschichten und bei Befragten mit einem hohen Berufsstatus bezweifeln gleich 46 Prozent, dass ein Bachelor der Königsweg zu einem adäquaten und sicheren Arbeitsplatz ist. Ganz einig sind sich aber auch die Eliten in ihrer Einschätzung nicht. Etwa ein Drittel glaubt im Gegenzug, dass die Jobchancen für Bachelors gut sind. »Wir dürfen uns nicht wundern, wenn die meisten an den Bachelor noch ein Master-Studium dranhängen«, ist das Resümee von AK-Chef Herbert Tumpel.

Zu einem deutlich positiveren Befund kommt eine Untersuchung der FHWien-Studiengänge der Wirtschaftskammer Wien. Bereits zum zweiten Mal wurde eine Umfrage unter heimischen Personalchefs durchgeführt, die sich aus Industrie, Finanz und Handel rekrutieren. Gegenüber 2008 ist der hohe Anteil von Unternehmen, die keine Bachelor- oder Masterabsolventen beschäftigen, heuer bereits beträchtlich gesunken. »Diese Tendenz stimmt positiv, dass die kommende Abschlusswelle der Bachelors im Sommer 2010 auch tatsächlich einen Arbeitsplatz finden wird«, sagt FHWien-Studiengänge-GF Michael Heritsch. Den Bachelors wird vermehrt eine hohe soziale Kompetenz, Problemlösungsfähigkeit und Praxisorientierung zugesprochen. Erstaunlicherweise werden sie laut Studie trotzdem jedoch eher als Projektleiter denn als Führungskräfte eingesetzt. Bei Chefpositionen setzen die Unternehmen doch lieber auf Master-Absolventen. Bemerkbar macht sich der Unterschied auch bei den Einstiegsgehältern. Ein Bachelor darf mit rund 25.000 bis 30.000 Euro rechnen, ein Master hingegen mit einer Obergrenze von rund 55.000. Diese Obergrenze ist gegenüber 2008 gefallen, aber ohnehin eher theoretischer Natur. Die Hälfte der Personalchefs sieht auch beim Master lediglich ein Einstiegssalär zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Gleichzeitig verwischen gehaltsmäßige Unterschiede zwischen Fachhochschul- und Uniabsolventen zunehmend. Bereits jeder fünfte Personalchef ortet hier keine Unterschiede mehr.

Was Praktiker denken
Aus einem anderen Blickwinkel hat der Industriedienstleister IVM das Thema universitäre Ausbildung untersucht. Beleuchtet wurde nicht nur, was die derzeitigen Studenten von technischen Studienrichtungen von ihrer Ausbildung halten, sondern auch, was Absolventen und bereits im Berufsleben stehende Kollegen denken (siehe Kasten). Die Divergenzen in den Meinungen zwischen Studierenden und Praktikern sind teilweise erheblich. So glauben noch 61 Prozent der Uni-Studenten, dass sie ihre Ausbildung auch für das Berufsleben rüstet. Von jenen, die bereits im Beruf stehen, glaubt das freilich nur mehr die Hälfte. Bei Fachhochschul-Studenten dreht sich die Wahrnehmung radikal. Gleich 81 Prozent der »Praktiker« sehen in der FH-Ausbildung ein erstklassiges Rüstzeug für den späteren Beruf – deutlich mehr als die FH-Studenten selber. »Was die Orientierung an der Praxis betrifft, können sich die Universitäten von den Fachhochschulen sogar noch einiges abschauen«, sagt dazu IVM-Boss Walter Hanus.

Vergleichsweise schlecht steigt bei der IVM-Studie der Bachelor aus. Nicht Fisch, nicht Fleisch, scheint der Tenor zu sein. Die Ausbildung an den FHs ist deutlich praxisbezogener und fokussierter. Andererseits haben die Multiple-Choice-gedrillten Bachelors nichts mit Wissenschaft zu tun – und werden am Arbeitsmarkt zerrieben. Für Praktiker bedienen sich die Unternehmen an den FHs, braucht man Wissenschaftler und Experten, sind »echte« Master gefragt.

 

Exkurs I: Streitfrage: Was ein Bachelor wert ist
Die Kernfrage war eigentlich simpel: was ist ein Bachelor wert und welche Chancen bringt der Titel am Arbeitsmarkt? Aber gleich zwei neue Studien kommen zu doch unterschiedlichen Ergebnissen. Die Wirtschaftskammer befragte Großbetriebe aus Industrie, Kreditwesen und Retail. Das Resümee: Der Bachelor gewinnt in den Betrieben an Akzeptanz und wird von den Personalverantwortlichen zunehmend als erster berufsqualifizierender Studienabschluss gesehen. Auch die Gehälter von Bachelor und Master nähern sich an. Zu ganz anderen Ergebnissen kommt eine Studie der Arbeiterkammer: Nur ein Viertel der Österreicher weiß mit den Begriffen »Bachelor« und »Master« überhaupt etwas anzufangen. Skeptisch werden die Berufschancen beurteilt, wobei der Grad der Skepsis mit Bildung oder Position im Berufsleben steigt. Rund 46 Prozent der Maturanten, Studenten, Akademiker, Angestellten oder Selbstständigen glauben, dass die Jobaussichten für Bachelors schlecht sind.

Exkurs II: Vorstellung und Wirklichkeit
Die IVM, ein Hightech-Dienstleister für die Industrie mit unternehmenseigenem Campus, wollte es genau wissen. Wie werden technische Ausbildungen in Österreich bewertet? Befragt wurden nicht nur Studierende, sondern auch Absolventen, die bereits im Berufsleben stehen. Die Einschätzung der beiden Gruppen divergiert je nach Fragestellung deutlich. Dass die Uni etwa für das Berufsleben rüstet, glauben noch 61 Prozent der Studenten – aber nur mehr 51 Prozent der Absolventen, die bereits im Job stehen (siehe Grafik). Bei den Fachhochschulen dreht sich das Bild um. Gleich 82 Prozent der »Professionals« sind der Meinung, dass die Fachhochschulen erstklassiges Rüstzeug für das spätere Berufsleben bieten. Der Bachelor kommt in der IVM-Umfrage nicht besonders gut davon: Dass ein Bachelor besser für das Berufsleben vorbereitet als etwa ein Magister oder dass ein Bachelor bessere Chancen am Arbeitsmarkt hat, glauben nur die wenigsten – nicht einmal die befragten Bachelors selbst.

 

Kommentar: \"Mehr Bildung weniger Ausbildung\"
Wer mit bürokratischen und finanziellen Hürden dafür sorgt, dass weniger junge Menschen studieren,
schadet damit langfristig der österreichischen Volkswirtschaft. Ein Kommentar von Dr. Christoph Matznetter, Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands Österreichs.

»Die aktuelle Hochschuldiskussion geht völlig in die falsche Richtung. Nicht nur aus bildungspolitischer, sondern auch aus wirtschaftspolitischer Sicht. Es ist ein grundlegender ökonomischer Fehler, in der Bildungsfrage alles den budgetären Kriterien unterzuordnen. Die AkademikerInnen-Quote in Österreich ist nach wie vor viel zu niedrig, daraus wird dem Land ein wirtschaftlicher Nachteil entstehen. Wer jetzt dafür sorgt, dass weniger Leute studieren, schadet mittel- und langfristig der österreichischen Volkswirtschaft. Österreich braucht offene Universitäten, keine geschlossenen. Die jungen Menschen müssen dazu animiert werden, zu studieren.
Ein weiteres Missverständnis in der Bildungspolitik ist das Primat der Studiendauer. Da hat sich jemand mit einem sehnsüchtigen Blick über den Atlantik an einem Land orientiert, das es nicht schafft, seinen Einwohnern so viel Bildung zukommen zu lassen, um den eigenen Wissenschafterbedarf zu decken. Der Wissenschaftsstandort USA lebt hauptsächlich von nicht-amerikanischen ForscherInnen, die zu hunderttausenden in das Land geholt werden müssen.
Dieses unreflektierte Streben nach einer kurzen Verweildauer an den Universitäten hat zu einer vollständigen Verschulung des Hochschulwesens geführt. Damit werden stromlinienförmige Akademiker geschaffen, die in erster Linie reproduzieren können. Aber die Wirtschaft braucht keine MitarbeiterInnen, die an der Hand durch das Studium geführt wurden. Die Unternehmen brauchen kreative Menschen, die teamarbeitsfähig sind und lösungsorientiert arbeiten können.
Österreich steht vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Was wir brauchen, ist ein bildungspolitisches Alleinstellungsmerkmal von internationaler Strahlkraft. Das werden wir mit sogenannten Elite-Universitäten aber nicht erreichen. Da gibt es genügend andere etablierte Institutionen. Österreich muss bewusst einen anderen Weg gehen, indem wir gezielt Studierende einladen, ihr Studium in Österreich zu absolvieren. Mit diesen offenen, international geprägten Universitäten würde Österreich über ein schlagkräftiges Argument im Wettstreit um die Ansiedlung von forschungsnahen Betrieben aus aller Welt verfügen. Die Chance müssen wir jetzt ergreifen.«

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