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»Wir stehen erst am Anfang der digitalen Revolution«

Clemens Wangerin, Gamedesigner und Direktor des Liverpooler Studios von Sony Computer Entertainment Europe (SCEE), über gute Ideen, Screenager und Entwicklerteams von gestern und heute.


(+) plus:
Bei »WipEout«, das Sie maßgeblich mitentwickelt haben, fällt auf, dass neben Spielverlauf und Grafik auch besondere Sorgfalt auf die Musikauswahl gelegt wurde. Ist Spielen inzwischen ein Gesamterlebnis, bei dem die  Spielidee nicht mehr allein den höchsten Stellenwert hat?
Wangerin: Als Spieleentwickler konzentrieren wir uns zuerst auf die Spielidee. Ein tolles Gesamterlebnis ist egal, wenn  die Spielidee zu schwach ist. Für mich ist der Kern der Spielidee das, was der Spieler zu 90 Prozent der Zeit des Spielens macht. Und wenn diese Idee nicht gut ist, kann man den Rest gleich vergessen. Aus diesem Grund hat Sony mit seinen internen Spieleentwicklern schon seit mehreren Jahren kreative Prozesse etabliert, die diesen wichtigen Teil  gleich von Anfang an angehen. Diese Prozesse werden auch regelmäßig durchleuchtet, um zu prüfen, ob kleinere oder große Änderungen nötig sind. Intern konzentrieren sich die Teams am Beginn eines Projektes darauf, dass die Idee auch wirklich Spaß macht. Das wird durch unabhängig durchgeführte Tests mit ganz normalen Spielern überprüft. Um zu testen, ob eine Spielidee Spaß macht, braucht man meiner Meinung nach nur den Kern. Die Grafik, der Ton, die Musik – das kommt alles später.

(+) plus: Erfolgreiche Spiele zeichnen sich durch hohe Komplexität und Liebe zum Detail aus. Werden die Kunden  immer anspruchsvoller oder ist technisch einfach mehr machbar?
Wangerin: Einige unserer Kunden werden sicherlich immer anspruchsvoller, weil sie auch sehen, dass immer mehr möglich ist. Heutzutage ist das Niveau der Technik aber bereits so hoch, dass sich viele Entwickler mehr auf den Inhalt und das Detail konzentrieren. Das Publikum, das wirklich Wert auf nur für ein Spiel entwickelte Technik legt, wird immer kleiner.

(+) plus: »WipEout« und »Formel 1« sind klassische Rennspiele auf hohem Level. Wird das SCEE Studio Liverpool dieser Linie treu bleiben oder versuchen Sie sich auch in anderen Genres?
Wangerin: Wir haben auf alle Fälle vor, unsere Genrehorizonte durch Titel, die wir für das PlayStation Network (PSN) entwickeln werden, zu erweitern. Klar sind Rennspiele unsere Herkunft, aber wir haben so viele andere tolle Ideen und da bietet PSN eben die Möglichkeit, sich auch einmal in einem anderen Genre auszutoben. Welche Genres genau, kann ich derzeit noch nicht sagen – vielleicht lassen wir Titel, die schon etwas länger nicht mehr auf PlayStation zu sehen waren, wieder aufleben oder wir kreieren etwas völlig Neues.

(+) plus: Verfolgt man die Rankings der meistverkauften Videospiele, zeigt sich, dass der Trend zu »familientauglichen« Spielen mit Partycharakter geht. Wie stark hat sich Ihre Zielgruppe in den letzten Jahren verändert? Wie reagieren Sie darauf?
Wangerin: Die Zielgruppe für Rennspiele hat sich noch nicht so stark verändert, für uns in Liverpool ist es deshalb  weniger ein Thema. Trotzdem sind wir gefordert, neue Ideen anzubieten, die Spieler so noch nie in einem Rennspiel gesehen haben, um dadurch unser Publikum zu erweitern.

(+) plus: Ein wichtiger Teil der Konsumenten sind junge Erwachsene, die mit Computern und Games aufgewachsen sind. Andererseits wurden zuletzt deutlich mehr Frauen als Neukunden gewonnen. Wie kann der Spagat zwischen beiden Gruppen geschafft werden?
Wangerin: Es ist natürlich toll zu sehen, wie breit das Publikum für Videospiele heutzutage weltweit ist. Ich denke, das hat damit zu tun, dass die Spieler der ersten Stunde mittlerweile selbst Kinder und Familien haben und auch die  Entwickler selber. Vor 20 Jahren bestand ein Entwicklerteam aus einer relativen kleinen Gruppe, die sich schon länger kannte und befreundet war. Die haben in erster Linie Spiele für sich selbst entwickelt, die dann auch andere Leute gut fanden. Heute sind die Teams wesentlich größer und die einzelnen Leute kommen aus völlig unterschiedlichen Bereichen, Kulturen und Ländern – außerdem arbeiten auch wesentlich mehr Frauen in der Entwicklung. All das trägt dazu bei, dass jetzt Spiele kreiert werden, die ein viel weiteres Publikum ansprechen als vor 20 Jahren.

(+) plus: Mit Playstation Network öffnen sich die Türen in eine neue Entertainment und Kommunikationswelt. Was wird von den Kunden stärker genutzt – das NetworkGaming oder die Möglichkeit, kostenlos Spiele herunterzuladen?
Wangerin: Ich persönlich nutze beide Funktionen auf meiner PS3 gleich viel. Das Network Gaming öffnet gerade bei Rennspielen eine zusätzliche Dimension, da man durch den Wettkampf mit menschlichen Gegnern mehr gefordert wird, als es die beste KI schafft.

(+) plus: Wird diese OnlineDimension künftig eine noch wichtigere Rolle spielen, um insbesondere Jugendlichen, für die weltweite Vernetzung selbstverständlich ist, eine eigene Plattform zu bieten?
Wangerin: Wir stehen erst ganz am Anfang der digitalen Revolution. In sechs bis sieben Jahren werden wir die ersten Teenager oder »Screenager«, wie sie auch so schön genannt werden – des 21. Jahrhunderts erleben und die werden nochmal ganz andere Ansprüche an uns als Spieleentwickler haben. Hoffentlich kommen möglichst viele von ihnen in die Spielebranche, um uns mit ihren neuen Ideen und Ansichten die Ohrenschlackern zu lassen.

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