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Einmal Weltall und zurück

von Judith Högerl

Der Technologietransfer Weltraum-Erde findet statt und die Nutznießer sind in den meisten Fällen die Automobilindustrie und das Gesundheitswesen.

Die Austrian Aerospace GmbH rüstet weltweit Satelliten mit Elektronik beziehungsweise Mechanik und Thermoisolationen aus. In den Produktionshallen im niederösterreichischen Berndorf werden jährlich rund 100.000 m² Thermoisolation verarbeitet. Bei der Verarbeitung derartiger Mengen gewinnt das zur Weltraumtechnik Saab Ericsson Space zählende Unternehmen Erkenntnisse, von denen auch wir auf der Erde profitieren. \"Vor allem auf dem Gebiet der Tieftemperaturanwendungen in den Bereichen Medizintechnik und Automobiltechnik werden Isolationen benötigt, die ähnliche Anforderungen wie in der Weltraumtechnik zu erfüllen haben\", erläutert Dr. Max Kowatsch, Geschäftsführer der Austrian Aerospace und weiter: \"Während in der Medizintechnik supraleitende Magnete in Magnetresonanz-Diagnosegeräten thermisch isoliert werden, gibt es in der Automobiltechnik vielversprechende Anwendungen bei Autos, die tiefgekühlten, flüssigen Wasserstoff als Treibstoff verwenden.\"

Satelliten sind auf ihrer Reise durch den Weltraum extremen Temperaturschwankungen von mehreren 100 ° C ausgesetzt. Die sensiblen Systeme an Bord benötigen allerdings einen wesentlich kleineren Temperaturbereich von einigen 10 ° C, um einwandfrei zu funktionieren. Die Satelliten werden deshalb mit einer aus bis zu dreißig Lagen metallbedampfter Kunststofffolie aufgebauten maßgeschneiderten Isoliermatte umhüllt.

Antrieb mit Flüssigwasserstoff
Temperaturen von -253 ° C müssen auch die von Magna Steyr Fahrzeugtechnik AG & Co KG entwickelten Wasserstofftanks aushalten. Die Abteilung Raumfahrt besteht seit 1989 und entwickelte sich in der Zwischenzeit zu einem etablierten Mitglied der Europäischen Raumfahrtindustrie. In Graz werden Subsysteme unterschiedlicher Projekte der ESA (European Space Agency) sowohl designt als auch hergestellt. Ein Produkt, auf das Managing Direktor Dr. Werner Gryksa besonders stolz ist, ist der erwähnte Cryogenic Tank für Automobile, die mit Flüssigwasserstoff betrieben werden. Magna machte sich hier den Technologietransfer aus der Raumfahrt zu Nutze. \"Der Tank entstand mit Hilfe des Wissens, das Magna bei der Entwicklung und Produktion der Cryogenic Versorgunsgleitungen für das Ariane 5 Programm erlangte, wie beispielsweise die hohe Materialbeanspruchung oder die Handhabung von Flüssigwasserstoff\", sagt Gryksa.

Einen Technologietransfer im großen Stil forciert seit Jahren die ESA mit dem \"Technology-Transfer-Program\". Das Programm besteht aus zwei Komponenten, erklärt Fritz Gampe, Senior Technology Transfer Program Officer der ESA: \"Wir betreiben einerseits den Technologie-Transfer im ursprünglichen Sinn und bieten andererseits Jungunternehmern, die eine bestimmte Raumfahrttechnologie selbst zur Marktreife führen wollen, Hilfestellungen - sowohl finanzielle als auch planerische.\"

Kostspieliger Transfer
Das Programm wurde 1991 ins Leben gerufen und gibt das Ziel vor, dass jährlich etwa zwanzig erfolgreiche Transfers abgewickelt werden. So ein Transfer ist aber kein Schnäppchen. \"Die ‚empfangende Seite‘ muss zum Transfer mindestens 40.000 Euro an Eigenmittel beisteuern. Im zweiten Halbjahr 2004 waren das aber immerhin acht Millionen Euro aus allen möglichen Geldquellen plus drei Millionen Euro rein privates Kapital für cirka zehn Transfers\", so Fritz Gampe über die Projektdimensionen.

Technologien und Materialien aus der Raumfahrt werden die irdischen Lebensräume der Menschen revolutionieren, ist Gampe überzeugt und \"Was im Weltraum funktioniert, das funktioniert auch auf der Erde\" lautet sein Credo. Der Weltraum bietet aber nicht nur der Automobil- und Medizintechnik eine Perspektive, sondern auch dem Wohnungsbau - seien es hoch effiziente flexible Solarzellen oder feuerfeste Materialien zum Schutz des Hauses. Ein Projekt des Technology-Transfer-Program rückt dabei in den Vordergrund: das Space House. Es ist kugelförmig, eine der stabilsten Formen die es gibt, und steht auf Stelzen. Die Stelzen isolieren das Space House nicht nur von Erdbeben bis zur Stufe 7, sondern auch vor überschwemmungen von drei Metern Höhe. Die Bewohner im Inneren sind komplett von der Außenwelt abgeschottet, das allerdings nicht wie erwartet mittels meterdicker Stahl- und Betonwände, nein, zum Einsatz sollen ultraleichte Plastikverbundstoffe mit Kohlefasern kommen. Dieses Material schützt auch Satelliten im Weltall vor äußeren Einflüssen.

Die ESA und Fritz Gampe wollen uns das Leben im Space House schmackhaft machen und stimmen die Bauweise der Häuser auf ländertypische Anforderungen ab. Für den Einsatz in österreich betont Gampe die Vorzüge wie die temporäre Installation eines solchen Hauses: \"Das Space House könnte als kleinere Einheit in ökologisch empfindlichen aber minimal-touristisch erschlossenen Gegenden aufgebaut werden. Die Häuser könnten dabei ausschließlich nachhaltige Technologien wie Photovoltaik oder Wasserrecycling verwenden.\" Der Visionär spricht auch davon, Massen-Touristischen Rückbau auf ein ökologisch verträgliches Maß zu ermöglichen, ohne dabei die Einkommen der direkt Betroffenen zu schmälern.

Für Spanien beispielsweise empfiehlt Gampe eine Solar-Vision, da es in Spanien kaum Solararchitektur gebe: \"Mit den Space-House-Solarzellen garantieren wir eine völlig autonome Energieversorgung des jeweiligen Hauses.\" An das Aussehen der Zukunfts-Häuser werden wir uns erst noch gewöhnen müssen. Ebenso an den Preis: eine erste Preisindiktion deutet auf die Machbarkeit eines Verkaufspreises von 3.000 Euro je Quadratmeter hin, allerdings \"mit zumindest einer autonomen Energieversorgung mittels Solarenergie und Erdwärmespeicher in neunzig Metern Tiefe”, wie Gampe betont und weiter: \"In Deutschland soll es in nächster Zeit mit dem Haus wirklich losgehen.\"

Gefragt sind neben Industrie und Medizin auch Kleidungsdesigner, Textilhersteller und Bekleidungsanbieter, die Technologien aus der Raum- und Luftfahrt auf terrestrische Anwendungen übertragen könnten. Hochentwickelte technische Textilien, die unter anderem im Auto- und Flugzeugbau in Verwendung sind, werden zum Beispiel zu Schutz-, Sport- und Freizeitbekleidung verarbeitet. Schwer entflammbar, hitzebeständig, schnittfest, wasserabweisend, antibakteriell oder elektronisch leitfähig, das sind die Eigenschaften der High-Tech-Gewebe. Feuerfeste Materialien sind aber auch im Wohnungsbau gefragt. Weltraumlabore und Forschungsstationen müssen feuerfeste Vorgaben erfüllen und bestehen daher aus feuerfesten Materialien, die auf Phenolsäure basieren. Diese Baustoffe können genauso Häuser auf der Erde schützen.

Die Profiteure
Die Weltraumforschung entwickelt innovative Materialkombinationen und neuartige Verfahren und findet in Zuge dessen auch Wege, diese neuen Techniken für zunächst nicht vorhergesehene Anwendungen im täglichen Leben umzusetzen oder zu adaptieren. Als Spin-Off-Beispiel der Kölner MST Aerospace GmbH kann hier ein Haltungsmonitor genannt werden, der mittels Ultraschalldistanzmessung die Körperhaltung und Bewegung der Wirbelsäule kontinuierlich erfasst. Ausgangspunkt für diese Entwicklung war die Tatsache, dass, obwohl die Wirbelsäue gerade in der Schwerelosigkeit am geringsten belastet wird, zwei Drittel aller Astronauten über Rückenprobleme klagen, so die MST Aerospace.

Die mit Hilfe des Ultraschallmessgerätes gewonnenen Daten seien wichtig, um typische Bewegungsmuster und Haltungen zu erkennen und langfristigen Schäden vorzubeugen. Laut MST Aerospace reicht das Anwendungsspektrum des Gerätes von Sport, Orthopädie und Physiotherapie bis zur ergonomischen Arbeitsplatz- und Sitzplatzgestaltung. Beispielsweise können sich Auto und Autositz so dem Körper des Menschen anpassen, dass es zu keiner erhöhten Belastung der Wirbelsäule und Haltemuskulatur kommt.

Die Technologietransfers führen zu verbesserten Diagnose- und Behandlungsmethoden und bringen Komfort im Alltag. Den beteiligten Industriepartnern erschließen sich durch die Transfers nicht unerhebliche Umsatz- und Kosteneinsparpotenziale.

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