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Web 2.0 auf dem Vormarsch

Von Dieter Rappold

Internet war gestern, heute ist Web 2.0 - so tönt es aus allen Fachzeitschriften, Magazinen und Branchenwebsites im Internetumfeld. Nachdem der intensive Diskurs in den USA vor knapp zwölf Monaten mit Breitenwirkung losgetreten wurde, erreicht die Welle auch Europa und damit österreich. Und schon hört man erste Stimmen, das Web 2.0 sei der Beginn einer neuen Dot.com-Blase, sei die Verkündigung jener kapitalgetriebenen Schaumschläger die eine neue Chance sehen, um ausgelassene Parties mit dem Geld geblendeter Börsenspekulanten zu feiern. Das mündet rasch in der Feststellung Web 2.0 sei lediglich eine Anhäufung von Buzzwords wie Ajax, APIs, RSS, Social Software, Weblogs und Podcast.

Der Begriff Web2.0 wurde erstmals im Oktober 2004 in San Francisco bei der Web 2.0 Konferenz aus dem Umfeld des IT-Fachverlages O’Reilly geprägt. Diese Konferenz fand im Oktober 2005 Ihre Neuauflage und die Vortragenden kamen nicht mehr ausschließlich von Unternehmen wie Yahoo!, Google, Microsoft oder Amazon. Nun waren es die Gründer von Unternehmen und Services wie Flickr.com, Six Apart, Technorati oder Blogger.com - ein Zeichen für Veränderung. Die wesentlichsten Ideen die 2005 neuerlich formuliert und festgehalten wurden sind folgende: Das Web ist eine Plattform. Es ist die Nutzung von kollektiver Intelligenz. Die Hauptbestandteile, auch \"main assets“ genannt, sind die Daten. Und: Das Internet wird zunehmend Medium für eine reichhaltige \"consumer experience“. Gefordert wurden weiters grundlegende, neue Ansätze für die ständige Wieterentwicklung des Web: Das Ende von Software-Releasezyklen sowie flexible und dynamische Programmieransätze.

Folgende Vergleiche verdeutlichen anhand konkreter Beispiele diesen Wandel:

DoubleClick vs. AdSense. War DoubleClick noch ein echtes Kind der ersten Internetblase, wurde damals das Netz von großen Medienunternehmen dominiert. Advertising Networks verstanden das Web als weiteren Broadcasting-Channel verstanden. DoubleClick war hier extrem erfolgreich, Implementierungen für die großen Networks zu realisieren, wobei etwa millionenfach Flashbanner geschalten werden konnten. Doch ist nun ein Umdenken gefordert: Das Web ist eben nicht Broadcasting, es ist auch nicht Publishing. Es ist vielmehr interaktiv und es ist \"participation“. Nun geht es nicht um Banner-Placement auf Internetseiten sondern um Kontextualisierung, um Onlinewerbung, die einen inhaltlichen Mehrwert für den Kunden liefert und offen für jeden ist.

Mit Google AdSense können dagegen nicht nur die 1000 großen Medienunternehmen arbeiten, sondern praktisch jeder Internetuser, der so genannte \"Long Tail“. Google AdSense benötigt keine komplexe Implementierung oder Einschulung sondern nutzt den \"Long Tail“ und verdient auch an jenem User, der lediglich monatlich über ein 50 Euro großes Werbebudget verfügt. Diesem wird dann eine individuelle, performanceorientierte Werbeleistung geliefert.

Britannica vs. Wikipedia. Die Britannica Online ist die webbasierte Ausgabe der renommierten Ezyklopedia Britannica. Ein umfangreicher Stab von Wissenschaftern und Fachleuten erarbeitet hier eigenen Angaben zufolge \"das Wissen der Welt“. Dadurch wurden Höchstleistungen erbracht, die lange Zeit als schwer erreichbar galten. Doch ließen neue Ansätze dazu nicht lange auf sich warten: Im Jahr 2001 wurde Wikipedia gestartet - ein Projekt mit dem Ziel, dieses Wissen der Welt auch der ganzen Welt kostenfrei zugänglich zu machen. Mit Beginn 2006 gibt es Wikipedia in dutzenden Sprachen und enthält mehr als 900.000 Artikel allein in englischer Sprache. Im Dezember 2005 verglich das Naturwissenschaftsmagazin Nature 42 willkürlich ausgewählte Artikel der beiden Produkte und kam zu dem Ergebnis, dass die Fehlerhäufigkeit in Wikipediatexten nur geringfügig höher als in der Onlineausgabe der Ezyklopedia Britannica ist. Konkret: Britannica: 123 Fehler - im Schnitt 2.92 pro Artikel. Wikipedia: 162 Fehler - im Schnitt 3.86 pro Artikel. Wikipedia wurde von zehntausenden Freiwilligen aus aller Welt geschaffen und übertrifft quantitativ die Britannica mittlerweile bei weitem. Nun war auch erwiesen, dass Wikipedia auch wissenschaftlichen Maßstäben zufolge nicht weit von der professionell erstellten Britannica entfernt ist.

Die LesBlogs2.0. Die erste große Manifestation dieser Entwicklung in Europa war die LesBlogs2.0 in Paris im Dezember 2005. An zwei Tagen gab es für rund 350 internationale Zuhörer zahlreiche Panels, Präsentationen und spannende Diskussionen. Dabei waren Unternehmen wie Yahoo!, Microsoft, Nokia, Skype, Hubert Burda Media, Herald Tribune, IBM, L’Oreal und BBC als Sponsoren oder als Sprecher vertreten. Diese Unternehmen haben die in Zukunft geltende Gleichung erkannt, die da lautet \"User = Traffic = Revenue“. Und die mit Abstand dynamischsten Web-Applikationen derzeit kommen aus der Welt der Social Software, egal ob es sich nun um Flickr, Blogger.com, Wikipedia, del.icio.us, MySpace.com oder andere handelt. Diese Tatsache wird massive Auswirkungen auf die Onlinestrategien der Medienkonzerne, Telcos oder Markenartikler haben. Dieser Trend ist auch schon im deutschen Sprachraum abzulesen.

So sponserte zum Beispiel die Bank Austria Creditanstalt, den Weltrekordversuch von Wolfgang Melchior, in 40 Tagen zu Fuß den Südpol zu erreichen. Dazu gab es ein Weblog und Podcasts (Audiobeiträge im Weblogformat), wobei Melchior per Satellitentelefon täglich aus der Antarktis hautnah berichtete (Siehe Kasten). Die Berichte standen sowohl transkribiert als auch als Soundfiles zur Verfügung - Das Projekte erreichte in zwei Monaten Laufzeit 300.000 Zugriffe und wurde von ORF.at, BBC Online, die Welt und vielen anderen Massenmedien verlinkt. Zusätzlich verwiesen dutzende private Weblogs im deutschsprachigen Raum auf das Südpolabenteuer.

Auch BMW berichtete zum Beispiel kürzlich von der Detroit Motorshow per Videocast. Ein Filmteam vor Ort produzierte Beiträge im Umfang von vier bis fünf Megabyte und brachte Premium-Content in Form von Interviews mit BMW-Top-Executives. In dem Projekt wurden die Videos auch in einem Format für die Sony Playstation Portable und des videofähigen iPods zur Verfügung gestellt. BMWs Videocast gelangte daraufhin prompt in die Top-20 des iTunes-Ranking, erreichte pro Tag im Schnitt 10.000 Besucher und erzeugte einen Webtraffic von rund 60 Gigabyte pro Tag. Dies wurde ohne klassische Bewerbung erreicht, rein durch die Kraft des viralen Marketings in der \"Blogosphere“, der Community der Blogger und Weblogs.

Digital Lifestyle Day 2006. Jüngste Höhepunkt der Web-2.0-Entwicklung im deutschen Sprachraum war der von der Hubert Burda Medien Gruppe veranstaltete \"Digital Lifestyle Day“ in München. Knapp 600 der führenden Vertreter aus dem Umfeld des \"Digital Lifestyle“ im deutschsprachigen Raum waren eingeladen und diskutierten über die Zukunft im Netz. Eine beeindruckende Anzahl von internationalen Vortragenden postulierte ihre Thesen und stellte sich der Expertendiskussion. Auch hier gab es einen einhelligen Tenor - So wie Rupert Murdoch in seiner Rede im April 2005 von \"Digital Natives“ und \"Digital Immigrants“ sprach, werden wahrscheinlich heute 30jährige in zehn Jahren für die heute 15jährigen zu den \"Digital Immigrants“ zählen. Es wird entscheidend sein, die digitalen Welten dieser Zielgruppen zu verstehen und entsprechende Angebote liefern zu können - oder die Unternehmen verlieren den Kontakt zu dieser Zielgruppe. Rupert Murdoch und die News Corporation nimmt diese Entwicklung sehr ernst und erwarb im Vorjahr um 580 Millionen Dollar die Web-Community MySpace.com.

Wie man heute verliert. Ein jüngstes Beispiel wie man derzeit in kürzester Zeit größten Imageschaden erzielen kann, lieferte die renommierte Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Verantwortlich für die Kampagne \"Du bist Deutschland“, war Agenturgründer Jean-Remy von Matt erzürnt über das durchwegs negative Feedback auf die Kampagne. In einem E-Mail an seine Mitarbeiter ließ er sich über Werbekollegen, klassische Medien und Weblogs aus: \"…den Weblogs, den Klowänden des Internets. (Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern?)... Diese E-Mail verließ prompt an einer undichten Stelle das Unternehmen - vielleicht war einer der Mitarbeiter ein Blogger, oder jemand der an das Recht auf freie Meinungsäußerung glaubt? Das Mail wurde in voller Länge im Weblog von Jens Scholz am 19. Jänner veröffentlicht. Es gab auf diesen Beitrag über 130 Kommentare, rund 3000 einzelne Besucher in neun Stunden, insgesamt über 18.000 Seitenaufrufe in 24 Stunden und eine hundertfache Verlinkung in weiteren Weblogs. Tausende diskutierten über die Haltung von Matts und machten sich über die offensichtliche Peinlichkeit der Veröffentlichung lustig. Dadurch erschienen bei der Google-Suche nach den Schlagworten \"Jean-Remy von Matt“ und \"Du bist Deutschland“ diese Weblogbeiträge an erster Stelle. Dies führte innerhalb von drei Tagen zu Berichten über diese Entgleisung in prominenten Medien wie dem Handelsblatt, der FAZ, der Süddeutschen Zeitung, Spiegel Online oder der Frankfurter Rundschau.

Das Ergebnis ist ein unglaublicher Imageschaden für Jung von Matt und die gesamte Kampagne \"Du bist Deutschland“. Die Erkenntnis: Auch ausgewiesene Kommunikationsexperten können wesentliche Entwicklungen verschlafen und folglich böse überraschungen erleben. Der Internetuser von heute ist kein Konsument der im Netz ein Broadcastingmedium sieht. Die User von heute sind Pro(ducer)(Con)sumer und der Schlüssel heißt Participation!

Dieter Rappold ist Geschäftsführer der Wiener Agentur knallgrau new media solutions. Knallgrau ist als Agentur für neue Medien seit 1997 am Markt vertreten, verantwortlich für zahlreiche Projekte rund um Weblogs, Portale und Intranetlösunge und gilt als eine der Pioniere der Weblog-Szene im gesamten deutschsprachigen Raum.

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