Kurz vor dem entscheidenden UN-Klimagipfel in Paris zeigt sich, dass jahrelang gezielt desinformiert wurde – von mehreren Akteuren.
Inzwischen sitzt sie als »wilde Abgeordnete« im Nationalrat, bis vor kurzem war sie noch Umweltsprecherin der FPÖ: Susanne Winter, die vor kurzem über eine antisemitische Facebook-Äußerung stolperte, hatte zu vielem eine pointierte Meinung, auch zum Klimawandel. Dieser sei »ideologische Pseudowissenschaft«, ein »einziges mediales Lügengebäude, das zum Einsturz gebracht werden muss«. Zumindest in gewisser Hinsicht hatte die vor kurzem nur knapp am Schmähpreis »Goldenes Brett vorm Kopf« vorbeigeschrammte Winter aber wohl recht: In Sachen Klima nehmen es manche mit der Wahrheit nicht so genau.
Vor kurzem ließ eine Randnotiz aus dem fernen China aufhorchen: Der weltgrößte Verursacher von Kohlendioxid korrigierte nonchalant in einem Statistikjahrbuch seine Verbrauchszahlen der letzten Jahre nach oben. Man habe jahrelang 17 Prozent mehr Kohle verfeuert als bisher eingestanden, ließ die chinesische Regierung lakonisch verlautbaren. Eine Milliarde Tonnen zusätzlich CO2 hat China damit Jahr für Jahr in die Atmosphäre geblasen, das ist mehr, als Deutschlands Wirtschaft insgesamt jährlich emittiert. 2012 habe man damit etwa 600 Millionen Tonnen Kohle mehr verfeuert, als bislang bekannt war. Zur Relation: Das sind 70 % der von den USA im Jahr insgesamt verbrauchten Mengen an Kohle. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen scheint die unverbindliche chinesische Zusage, bis 2030 seinen weiter wachsenden Kohlendioxidausstoß zu bremsen, als schwacher Trost.
Lügen, Leugnen und Verdunkeln
Doch auch in den USA beginnen Lügengebäude zu wackeln: Vor kurzem hat die New Yorker Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Ölkonzern ExxonMobil eingeleitet. Der Vorwurf: Trotz eindeutiger Ergebnisse konzerninterner Studien zu den klimatischen Langzeitfolgen habe die Leitung des Mineralölkonzerns Investoren und Öffentlichkeit über Jahrzehnte mit Falschinformationen, Lügen und Verdunkelungen in Sachen Klimawandel in die Irre geführt. Schon 1982 hätten konzerninterne Untersuchungen vor den katastrophalen Langzeitfolgen des Klimawandels gewarnt – die Führung von ExxonMobil verleugnete diese Ergebnisse nicht nur jahrzehntelang, sondern unterstützte angeblich auch ein weites Netzwerk an Initiativen und Kampagnen, die den Klimawandel als Ganzes als Lüge desavouierten und so wirksame Regulationen verhinderten. Ein ähnlich gelagerter Rechtsstreit mit dem US-Kohleriesen Peabody Energy hat vor kurzem dazu geführt, dass dieser sich reumütig zur Offenlegung der wissenschaftlich wohlbekannten Risiken und Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels gegenüber Investoren und Öffentlichkeit verpflichtete.
Dass die beiden Umweltsünder USA und China in dieser Aufzählungen aufscheinen, überrascht weit weniger als das dritte Beispiel kreativer Wahrheitsauslegung: Auch Deutschlands Ruf als Klima-Musterschüler ist durch den Abgasskandal bei VW und möglicherweise weiteren Autoherstellern mehr als nur ein bisschen angekratzt. Was die Konzernbosse tatsächlich dazu getrieben hat, bei einem derart umfassenden plumpen Betrug am Kunden, an der Öffentlichkeit und an der Umwelt insgesamt mitzumachen, dürfte wohl nur mit Psychogrammen autoritärer Machtpersönlichkeiten erklärbar sein. Ihnen ist es zuzuschreiben, dass das mythisch überhöhte Schlagwort von »deutscher Ingenenieurskunst« mittelfristig kaum ohne ironische Anführungszeichen zu sehen sein wird.
Susanne Winter hatte irgendwie recht: Die »Lügengebäude« im Zusammenhang mit dem Klimawandel sollten eingerissen werden. Die Langzeitschäden in allen drei Fällen sind beachtlich – und die Kosten dafür tragen wir alle.