By Klaus Singer on Sonntag, 29. Januar 2017
Category: Finanz | Wirtschaft

Trump: So geht Wirtschaft (oder auch nicht)

Trump hält Wort – er hatte im Wahlkampf versprochen, die Grenze zu Mexiko mit einer Mauer zu versehen, damit Schluss ist mit der heimlichen Abwanderung von US-Arbeitsplätzen. Ach nein, es soll verhindert werden, dass Mexikaner den Amerikanern ihre Arbeitsplätze weg nehmen. Bezahlen soll Mexiko, na klar, wer sonst! Das Land ziert sich noch, eventuell will Trump daher das Geld über Einfuhrzölle wieder reinholen. „Believe me,“ pflegt er bei besonders abstrusen Plänen gerne zu sagen.

Ich will Herrn Trump nicht zu nahe treten, aber seine volkswirtschaftlichen Pläne kann er sich unmöglich alleine ausgedacht haben. Wer also? Seine wichtigsten Berater in Handelsfragen sind Wilbur Ross und Peter Navarro. Der erste soll Handelssekretär werden, der zweite soll dem neu geschaffenden „Nationalen Handelsrat“ vorsitzen. Beide hatten Ende September 2016 auf der Website von Trump ein 30-seitiges Papier mit dem Titel „Scoring the Trump Economic Plan: Trade, Regulatory, & Energy Policy Impacts“ veröffentlicht.

 

Wilbur Ross (80) ist Investor und früherer Banker, der damit reich wurde, notleidende Firmen vor allem im Fertigungs- und Stahl-Bereich zu kaufen und nach Restrukturierung gewinnbringend zu veräußern. Forbes listet ihn als Milliardär mit einem Netto-Vermögen von knapp drei Mrd. Dollar. Er ist der Meinung, dass Länder, die fair spielen und jedem eine Chance für fairen Wettbewerb geben, Zugang zum US-Markt haben sollten. Diejenigen aber, die sich nicht an die Regeln halten, sollten schwer bestraft werden.

 

Peter Navarro (68), Professor für Volkswirtschaft an der Universität von Kaliformien, diente Trump im Wahlkamp als wirtschaftspolitischer Berater. Er wird in seiner Zunft nicht sehr ernst genommen, gilt als Außenseiter. Er meint, der Aufstieg Chinas müsse gestoppt werden, das Land sei für den Abstieg Amerikas verantwortlich. Er vertritt eine isolationistische Politik, ist Anhänger des Protektionismus und sieht Importe in die USA grundsätzlich als Teufelswerk an.

 

Die gedankliche Disposition der beiden Autoren lässt sich unschwer in deren Papier wiederfinden, die Kausalkette geht nach ihnen so: Im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte wurde der Industriestandort USA untergraben durch eine Reihe von Freihandelsabkommen, besonders das Nafta-Abkommen zwischen Mexiko, Kanada und den USA, sowie durch die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation WTO, das Abkommen mit Südkorea von 2012 und das von Obama auf den Weg gebrachte transpazifische Handelsabkommen TPP. Hinzu kommt, dass Handelspartner der USA ihre Währung künstlich abwerten, um einen Wettbewerbsvorteil zu erreichen – genannt werden China, Deutschland, Japan und Kanada. Als Folge von beidem, den für die USA unvorteilhaften Handelsabkommen und den Währungsmanipulationen, ist das Handelsdefizit der USA stetig angewachsen. Das wiederum belastet das BIP-Wachstum der USA.

 

Dabei könnte man es belassen und gleich zu einer kritischen Betrachtung übergehen. Ich möchte jedoch noch etwas tiefer in das Papier einsteigen, weil es die Grundlagen legt für etwas, mit dem wir uns in der nächsten Zeit noch häufiger auseinandersetzen müssen.

 

Die Autoren führen aus, dass das BIP-Wachstum in jedem Land von vier Faktoren getrieben wird: Wachstum des privaten Verbrauchs, Wachstum der Staatsausgaben, Wachstum der Investitionen, sowie von netto-Exporten. Damit steht und fällt die Fähigkeit eines jeden Landes, Jobs zu schaffen und so zusätzliches Einkommen und Steuereinnahmen zu generieren,

 

Sind die netto-Exporte negativ, herrscht also ein Defizit in der Handelsbilanz, geht das vom BIP-Wachstum ab. Die strukturellen, für das langsame Wachstum in den zurückliegenden 15 Jahren verantwortlichen Probleme liegen hauptsächlich bei den Investitionen und netto-Exporten. Zentrale These: Das BIP-Wachstum wird in dem Maße belastet, wie ungünstige Steuer-, Handels-, Energie- und Regulierungs-Politiken Investitionen in Fabriken und Anlagen außer Landes drängen und/oder im eigenen Land verhindern.

 

2015 betrug das US-Handelsbilanz-Defizit bei Gütern knapp 800 Mrd. Dollar, bei Dienstleistungen wurde ein Überschuss von etwa 300 Mrd. Dollar erzielt. Daraus ergibt sich ein Negativ-Saldo von etwa 500 Mrd. Dollar. Jeder zusätzliche Prozentpunkt beim realen BIP-Wachstum übersetzt sich in etwa 1,1 Mio. Jobs, so die Autoren. Wächst das BIP nur mit 1,9% anstatt mit der bis vor 15 Jahren gültigen Norm von 3,5%, werden jährlich etwa zwei Mio. Jobs weniger geschaffen. Wegen des Effekts der 2,2 Millionen „missing workers“, also denjenigen, die weder eine Arbeit haben noch „offiziell“ danach suchen, liegt die Arbeitslosenquote eigentlich bei 6,2% anstatt der offiziellen Rate von 4,9%. Würde das reale BIP-Wachstum von 1,9% auf 3,5% steigen, hätten fast alle „missing workers“ wieder Arbeit. Dabei ist die Bevorzugung des Fertigungssektors Absicht, entfallen doch auf jeden Arbeitsplatz hier vier weitere anderswo.

 

Die regulatorischen Kosten werden für die Industrie auf jährlich fast zwei Bill. Dollar geschätzt, also knapp zehn Prozent des BIP. Der Trump-Plan sieht im ersten Schritt vor, die Bevorzugung der Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energien zurückzunehmen und das Moratorium hinsichtlich neuer Kohleförderung aufzuheben. Zudem sollen im einzelnen unbedeutende, in der Summe aber schwerwiegende Regelungen auf den Prüfstand kommen. Im ersten Schritt sollen die regulatorischen Kosten so um 10% gesenkt werden.

 

Die Lockerung von Restriktionen im Bereich der Energieerzeugung soll das BIP zuächst jährlich um etwa 100 Mrd. Dollar steigen lassen.

 

Mit der Senkung von Unternehmenssteuern soll ein weiterer Anreiz für Investitionen im Ausland wegfallen.

 

Schließlich haben die beiden Autoren auch noch die ungleiche Behandlung von Exporten und Importen gemäß der Regularien der WTO im Visier. Sie argumentieren, die Mehrwertsteuerbefreiung von Exporten etwa aus Deutschland in die USA verschaffe Deutschland einen Wettbewerbsvorteil, während der Mehrwertsteueraufschlag auf aus den USA importierten Produkten diese verteuere und damit im Wettbewerb benachteilige. Da die kombinierte Belastung aus bundesstaatlichen und lokalen Umsatzsteuersätzen in den USA mit unter 10% deutlich niedriger ist als in den meisten anderen Ländern, beläuft sich die Benachteiligung der US-Exporte auf 15% bis 25%. Zwar sollte sich das über Wechselkurse letztlich austarieren – das gilt aber nur dann, wenn diese nicht manipuliert werden (s.o.). Überhaupt sind die WTO-Regularien ein Musterbeispiel, wie schlecht die USA verhandelt haben, betonen die Autoren.

 

Das Papier rechnet vor, dass mit der Wirtschaftspolitik Trumps die staatlichen Einnahmen um 2,4 Bill. Dollar steigen, während die Änderung des Steuersystems nach Trumpschen Vorstellungen 2,6 Bill. Dollar kostet. Das sei per Saldo konservativ und wenn weitere Maßnahmen anschlagen, werde das Ergebnis fiskalisch rasch neutral.

 

Die Autoren fassen zusammen: Trump will keinen Handelskrieg starten, sondern ihn beenden. Sein Ziel ist nicht, den internationalen Handel einzuschränken, er will ihn ausweiten. Durch harte Verhandlungen wird er Amerikas Exporte steigern und einige Güter, die gegenwärtig importiert werden, durch Produkte ‚Made in America’ ersetzen.

 

Jetzt zur Kritik an einigen Aussagen des Papiers:

 

(1) Der Verlust der Arbeitsplätze im Fertigungsbereich wird der Entwicklung seit „Nafta“ zugeschrieben. Brad DeLong zeigt auf, dass das nicht zutrifft. Der Anteil der Fertigungs-Jobs an den gesamten non-farm Arbeitsplätzen beträgt heute etwas mehr als ein Viertel von dem Anfang der 1950er Jahre. In Deutschland sind seit 1970 mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze im Fertigungsbereich verloren gegangen. Diese Entwicklung fand über die Zeitachse einigermaßen gleichmäßig statt. Mit Nafta, WTO usw. hat das alles nur marginal zu tun, sagt DeLong. Er bettet das zusätzlich ein in einen großen historischen Zusammenhang und zeigt, dass die Produktivität der menschlichen Gesellschaft der Treiber hinter einer solchen Entwicklung ist.

 

(2) Hinsichtlich China war der Vorwurf der Währungsmanipulation zwischen 2009 und 2014 berechtigt. In dieser Zeit hat die PBoC hauptsächlich über den Kauf von US-Staatsanleihen den Yuan künstlich tief gehalten. Mittlerweile aber steht die chinesische Währung unter nachhaltigem Abwertungsdruck, die PBoC bremst ihn mit dem Verkauf von Währungsreserven. Verantwortlich für die Schwäche ist u.a. der Abfluss ausländischen Kapitals. Hinsichtlich Euro ist der Vorwurf der Währungsmanipulation allerdings berechtigt. Insbesondere das exportorientierte Deutschland profitiert von einem durch die QE-Maßnahmen der EZB gedrückten Euro. Im Dezember wurden diese Maßnahmen sogar ohne Not und den Beweis eines realwirtschaftlichen Belebungseffektes in der gesamten Eurozone bis Ende 2017 verlängert. Auch Japan hat seine Devisenreserven immer eingesetzt, um den Yen zu schwächen, die Geldflut-Politik tut ein übriges.

 

(3) Ross und Navarro gehen bei ihrer Behauptung, netto-Importe würden das BIP schwächen, von der Identitätsgleichung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aus, die die Zusammensetzung des BIP aufschlüsselt. In dieser Gleichung müssen Importe abgezogen werden, weil diese Güter im Ausland produziert wurden, Exporte müssen addiert werden, weil sie im Inland produziert werden. Diese Gleichung gilt immer, aber sie begründet keine Kausalität.

 

Geringere Importe führen nicht automatisch zu einem höheren realen BIP: Inländische Konsumenten kaufen importierte Güter, wenn deren Preise niedriger sind als die der im Inland produzierten. Wird der Import solcher Güter verhindert oder durch Zölle verteuert, müssen Konsumenten auf die teureren inländischen Produkte ausweichen und haben weniger Mittel für den Kauf anderer Güter zur Verfügung.

 

Rund ein Drittel des Handelsdefizits der USA, etwa 180 Mrd. Dollar, entfällt auf Importe von fossilen Brennstoffen. Würde Trump den Import von Öl verbieten, würden die Preise für Benzin, Kerosin und Heizöl im Inland deutlich steigen und damit die anderweitigen Ausgaben der Konsumenten schmälern. Was am Ende bleibt, wäre ein Ansteigen der Inflation, keine Expansion des realen BIP.

 

(4) Die USA haben seit 1976 keine positive Handelsbilanz. Die US-Handelsbilanz wurde dann damals zunächst nur moderat negativ (bis etwa -60 Mrd. Dollar), seit den frühen 1980er Jahren beschleunigte sich die Entwicklung aber bis hin zu einem Defizit von gut 180 Mrd. Dollar. Dann nahm das Defizit bis in die frühen 1990er Jahre wieder ab. Zwischen 1994 und 2006/2008 wuchs es kontinuierlich von 80 auf rund 800 Mrd. Dollar an. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Nafta-Abkommen und immer defizitärerer Handelsbilanz, den die Autoren sehen, scheint zu stimmen.

 

Setzt man allerdings die Handelsbilanz ins Verhältnis zum BIP, relativiert sich die Entwicklung seit 1994. Das legt nahe, dass der Startschuss hierfür zeitlich vorher zu suchen ist, nämlich in den 1970er Jahren mit der aufkommenden, vom Finanz-System dominierten Globalisierung. Nafta usw. ist da eher der Nachbrenner in einer Entwicklung, die viel früher begonnen hat.

 

Wenn die Autoren sich schon so auf die Import-Thematik konzentrieren, dann dürften sie nicht dabei stehen bleiben, sich über irgendwelche, seit 1994 schlecht verhandelten Verträge zu beklagen. Sie müssten konsequenterweise offen für die Rückabwicklung der Globalisierung eintreten. Aber das würde die Finanzindustrie gar nicht gerne hören…

 

(5) Wenn die Handelsbilanz defizitär ist, muss die Kapitalbilanz einen Überschuss in gleicher Höhe aufweisen. Diese Kapitalzuflüsse entfielen bisher hauptsächlich auf den Kauf von US-Staatsanleihen, was für die USA vorteilhaft ist, weil dadurch das Zinsniveau gedrückt gehalten wird. Wenn gemäß der Vorstellungen von Ross und Navarro die Importe sinken, wären sehr wahrscheinlich höhere Zinsen die Folge. Das wäre für die von Trump ebenfalls geplanten kreditfinanzierten Infrastrukturmaßnahmen kontraproduktiv. Positiv für die US-Export-Wirtschaft wäre, dass Aufwertungsdruck vom Dollar genommen würde.

 

(6) Die Autoren übersehen zudem in ihrer US-fixierten Sichtweise, mit Zöllen könnten die Importe beschränkt und durch harte Verhandlungen die Exporte erhöht werden, dass Handelspartner zu Vergeltungsmaßnahmen greifen dürften. Wahrscheinlich würden diese ebenfalls mit Importzöllen auf US-Güter antworten oder sie würden bei ihren Importen auf andere Länder ausweichen. Eine Steigerung der US-Exporte jedenfalls ist auf diesem Wege nicht sehr wahrscheinlich.

 

(7) Mittelfristig, auf Sicht von ein bis zwei Jahren, dürfte der Impuls der Trumpschen Maßnahmen zu einem Wachstumsschub führen – allein schon durch Wegfall von Regulierungen und durch Infrastruktur-Anreize. Längerfristig wird die Zahl der Arbeitsplätze aber nur dann steigen, wenn die Produktivität langsamer wächst als das BIP. Das aber erfordert immer neue Maßnahmen zur Abschottung der Wirtschaft, um sie gegen ausländische Konkurrenz zu verteidigen. Die Perspektive einer solchen Politik heißt Stagflation.

 

Lawrence Summers, ehemals Wirtschaftsberater unter Bill Clinton und Obama, sowie „Erfinder“ der säkularen Stagnation, bezeichnet das Papier als „jenseits von Voodoo-Wirtschaft“ (lassen wir mal seinen Kampf gegen Cash beiseite…). Die Finanzmärkte hätten die außerordentliche Unsicherheit und Risiken, die der Trump-Kurs mit sich bringt, noch nicht gewürdigt. Zudem sei es unwahrscheinlich, dass eine Steuerpolitik, die darauf abzielt, die großen ausländischen Cash-Reserven von US-Multis ins Land zurück zu holen, tatsächlich eine deutliche Ausweitung der inländischen Investitionen erreicht. Summers geht eher davon aus, dass damit höhere Dividenden gezahlt, sowie Aktienrückkäufe und M&A-Aktivitäten finanziert werden. Damit dürfte er recht haben – und die Finanzindustrie dürfte auch hierbei besonders profitieren.

 

[Unter Verwendung von Material aus "Trumps Denkfehler"]

 

Die Denker hinter dem Trumpschen Wirtschaftskurs legen ein brüchiges, wenig durchdachtes Fundament. Auf Sicht von ein bis zwei Jahren mag es auf dieser Grundlage zu einem Wachstumsimpuls kommen. Längerfristig dürfte eher der umgekehrte Effekt eintreten. Profitieren dürfte die Finanzindustrie.

 

Ergänzung:
Die Washington Post schlägt vor, die Mauer zu Mexiko könnte mit einem Deal über 25 Milliarden Avocados bezahlt werden: “America might need to buy 25 billion avocados so Mexico could pay for the wall” (h/t T.J.)