Westliche Beobachter haben in den zurückliegenden Jahren mit Verwunderung, manchmal auch mit Bewunderung nach China geschaut. Die dortige Mixtur aus Kapitalismus und zentraler Lenkung schien allen Krisen zu trotzen. Manch ein westlicher Geld-Lenker mag sich so etwas herbeigewünscht haben, Fed & Co sind ohnehin dabei, sich zentralplanerische Befugnisse anzumaßen.
Lange Jahre profitierten die chinesische Bevölkerung, die chinesischen Unternehmer und die multinationalen Unternehmen, sowie die Finanzelite im Westen gleichermaßen von den Verhältnissen, deren Kehrseite u.a. darin besteht, den Chinesen demokratische Rechte vorzuenthalten. Mag sein, dass sich dagegen deswegen so lange kein breiter Widerstand regte, so lange die wirtschaftliche Entwicklung weiteren Wohlstand versprach.
Das chinesische Modell schien zu zeigen, dass es sehr wohl möglich ist, ein solch komplexes System wie die Wirtschaft, noch dazu eines solch großen Landes, zentral zu steuern und zu entwickeln – dabei sogar viele Jahre mit imponierendem Wachstum. Kann sein, dass eine Zentralwirtschaft so lange einigermaßen gut funktioniert, so lange die Wirtschaft auf relativ niedrigem Produktivitätsniveau befindet. Dieses Stadium hat China allerdings mittlerweile hinter sich gelassen.
China hat sich in den 1990er Jahren dem Modell der globalen Werkbank verschrieben. Das kam ursprünglich aus Japan, wurde zu Beginn der 1990er Jahre, als Japan krisenbedingt nicht mehr konnte, von den asiatischen Tigestaaten übernommen. Als die schließlich 1997 in die Krise kamen, ging der Stab an China. Das Land profitierte dabei von einem in Schwung gekommenen Welthandel und finanzieller Deregulierung in den westlichen Industrieländern.
In den 1980er Jahren lag das jährliche Wachstum des Welthandels im Mittel noch bei knapp 4,5%, in den 1990er Jahren kam es auf gut 6,6%, in 2000 und in 2004 wurden Spitzenwerte von 12,1%, bzw. 11% jeweils gegenüber dem Vorjahr erreicht. Es kam zu einem Wachstumsschub – zwischen 2004 und 2007 erreichte das globale BIP-Wachstum mit Werten zwischen 4,9% und 5,7% ein Topp. Per 2015 wächst das globale BIP noch mit lediglich 3,1%, das Welthandelsvolumen expandiert nur noch um 3,2%. Das hinterlässt Spuren in der bis vor zwei, drei Jahren als wenig anfällig geltenden chinesischen Wirtschaft.
Die chinesischen Aktienkurse (China Shanghai Composite Index) sind mittlerweile durch das 61,8%-Retracement bei 3200 gebrochen – ich hatte die Bedeutung dieses Pegels hier diskutiert. Die Echo-Bubble zur Blase aus 2007 lässt weiter Luft ab… (Chartquelle)
Momentan irritiert die Chinesische Führung mit kontroversen Maßnahmen in kurzer Folge. So wurden in der zurückliegenden Woche Handelsstopps bei Aktien in Kraft gesetzt und widerrufen, der Yuan wurde abgewertet und heute zu Wochenbeginn wieder nach oben geleitet. Die Lockup-Frist aus August 2015, die es großen Anlegern verwehrt, bestimmte Aktien zu verkaufen, läuft jetzt aus. Oder wird sie verlängert? Beobachter im Westen zweifeln zunehmend daran, ob die chinesische Führung noch das Heft des Handelns in der Hand hat. Sie scheint mittlerweile eher durch die Ereignisse getrieben.
Die chinesische Führung hat das „japanische Modell“ der Werkbank für die Welt kopiert – mit allen Einzelheiten (siehe hierzu auch hier). Insbesondere hat sie, als die inländischen Löhne ein gewisses Niveau erreicht hatten, die eigene Währung geschwächt, indem sie v.a. US-Staatsanleihen gekauft hat. Das begann im Jahre 2002, bis 2014 wurden Währungsreserven in Höhe von 4 Bill. Dollar angehäuft. Davon sind bis jetzt fast 700 Mrd. Dollar wieder abgeschmolzen, v.a. um zu verhindern, dass der Yuan zu stark in zu kurzer Zeit abwertet. Der sich in der Yuan-Schwäche äußernde Kapitalabfluss aus China bringt die Kreditwirtschaft in Bedrängnis. Der Yuan hat seit dem Topp Anfang 2014 gegen Dollar bis jetzt rund 9% verloren. Dies wird als Schwächezeichen der chinesischen Wirtschaft gewertet. Und diese wird wiederum assoziiert mit einem insgesamt verhaltenen Wachstum der Weltwirtschaft, wie sich das u.a. auch aus dem Verlauf des Welt-BIP ablesen lässt.
2002 war in vielerlei Hinsicht ein Schlüsseljahr für China, ab hier beschleunigten sich viele ökonomische Indikatoren. So lag 2002 das Lohnniveau noch bei unter 10000 Yuan, heute liegt es bei gut 56000 Yuan. Die Bruttoanlageinvestitionen haben sich seit 2002 mehr als verneunfacht. Das BIP hat sich im gleichen Zeitraum aber nur um den Faktor 5,5 ausgeweitet. Die Kredite an den privaten Sektor erreichen aktuell mehr als 145% des BIP. Das jährliche Kreditwachstum liegt immer noch bei 13,9%.
Das Wachstum des chinesischen BIP kommt aktuell auf 6,9%, abgesehen von dem Einbruch in Zusammenhang mit der Krise 2008 ist es das niedrigste Wachstum seit 2000.
Chinas Wirtschaft wurde geplant immer abhängiger vom Export und hat über viele Jahre sehr viel investiert, um dies durchhalten zu können. In der Rezession von 2008/09 kam dieses Konzept schon einmal in Bedrängnis, die chinesische Führung setzte einen binnenwirtschaftlichen Boom dagegen. Der war hauptsächlich gepumpt, die Kreditvergabe stieg enorm an. Das führte auch zu einer hohen Verschuldung der chinesischen Unternehmen. Seit 2010 haben ausländische Banken dem Land weitere etwa eine Bill. Dollar geliehen, wie die BIS ausgerechnet hat. Kein anderes Schwellenland hat höhere Auslandsverbindlichkeiten.
Das Werkbank-Modell wurde getreulich kopiert, und dieselben Folgen stellten sich ebenso ein, wie in der Geschichte Japans und der Tigerstaaten schon gesehen. Mit dem nachlassenden Welthandel und der globalen Wachstumsschwäche entstanden Überkapazitäten in der Fertigungsindustrie, die Preise sinken, Immobilien stehen leer und damit drücken die Schulden immer stärker.
Die chinesische Führung hat zu lange zu einseitig auf ein Pferd gesetzt. Vermutlich hat sie sogar gesehen, dass dieses Pferd erlahmt. Nicht zufällig hat sie 2013 eine Umsteuerung der chinesischen Wirtschaftspolitik beschlossen, mit der der innerchinesische Konsum stärker in den Fokus genommen werden sollte. Aber zu diesem Zeitpunkt war der Bogen in die „alte Richtung“ bereits überspannt, wie sich auch am Verlauf der chinesischen Industrieproduktion ableiten lässt.
Auch am Beispiel China zeigt sich, dass die zentralen Planer eben doch nicht so weise sind, bzw. sein können, wie das mancher denkt. Wieder einmal wurde versucht, mittels politischer Eingriffe wirtschaftliche Gegegebenheiten zu überspielen, wieder einmal zeigt sich, dass das zwar lange gehen kann, aber nicht für immer.
Hinzu kommt: Zu einer modernen, stark arbeitsteiligen Wirtschaft gehören eigenverantwortliche Wirtschaftssubjekte, die bereit und in der Lage sind, schnell auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren. Dazu gehört ein hohes Maß an wirtschaftlicher und sozialer Freiheit und ein Staatsapparat, der Informationsflüsse begünstigt. Dabei geht es nicht um „staatstragende“ Informationen, sondern um Informationen, die den wirklichen Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft widerspiegeln. Nur so können die Wirtschaftssubjekte letztlich eigenverantwortlich und effektiv handeln.
Eine wirtschaftliche Zentralplanung insbesondere in einem Umfeld verhältnismäßig niedriger Produktivität, bzw. geringerer Arbeitsteilung, mag funktionieren, so lange die Rahmenbedingungen, in denen operiert wird, gut kalkulierbar und mehr oder weniger linear fortgeschrieben werden können. Dies ist aber auf lange Sicht gesehen die Ausnahme, nicht die Regel.
Die Probleme, in die China gelaufen sind, sind einerseits hausgemacht, indem zu lange an einem ehemals erfolgreichen Geschäftsmodell festgehalten wurde, andererseits spiegeln sie die aktuelle Wachstumsschwäche der Weltwirtschaft bis hin zu einem in den Anfängen steckenden Trend der Deglobalisierung wider.
[Die Charts zu Makrodaten in China sind der Web-Seite Tradingeconomics entnommen.]
Quelle: http://www.timepatternanalysis.de/Blog/2016/01/12/china-zentralplanerisches-auslaufmodell/