Das US-BIP ist nach zweiter Schätzung für das erste Quartal um 0,7% geschrumpft. Die erste Schätzung hatte noch bei +0,2% gelegen, aber die danach für März bekanntgewordene Entwicklung der US-Handelsbilanz hatte schon eine deutliche Abwärtsrevision nahegelegt. Daher waren die gestern veröffentlichten Zahlen keine große Überraschung.
Die Aktienmärkte haben dennoch vergrätzt reagiert, was wohl mit dem erreichten hohen Niveau zusammenhängt, das nicht unbedingt zu solch einer flauen Entwicklung passt. Eine Rolle dürfte auch der ISM-Index für die Region Chicago gespielt haben, dem eine Vorreiterrolle für den landesweiten ISM-Index zugeschrieben wird. Er notierte im Februar und März schon deutlich auf Kontraktionsniveau, schwang sich im April aber wieder über die Scheideline bei 50 auf. Im Mai fiel er, wie gestern veröffentlicht, mit 46,2 wieder in den Kontraktionsbereich zurück.
Andererseits mag der Absturz der chinesischen Aktien am Donnerstag von Belang sein. Die Schere zwischen Aktienkursen und Verfassung der Wirtschaft geht hier immer weiter auseinander. Das ist angesichts der Geldflut der Notenbanken allerdings nichts besonderes und gilt auch für viele andere Regionen in der Welt. Anlass für den Kollaps der chinesischen Aktien waren erhöhte Sicherheitsanforderungen bei Wertpapierkäufen auf Kredit.
Natürlich spielt auch das Dauerthema „Griechenland“ eine Rolle. Hier sollen Verhandlungen über das Wochenende eine Lösung bringen. Das Land kann seinen fälligen Rückzahlungsverpflichtungen nicht nachkommen. Das ist nicht wirklich neu, Konkursverschleppung wird hier schon seit Jahren betrieben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die weitergeht, ist groß, sei es mit dem Mittel der Verlängerung der Laufzeiten bereits bestehender Schulden, sei es mit der Ausgabe neuer Schulden, mit zusätzlichen Kredit-finanzierten Subventionen oder auch mit einem kosmetischen Schuldenschnitt. Griechenland wird höchstwahrscheinlich nicht aus dem Euro entlassen, was für das Land längerfristig die beste Lösung wäre. Zu groß sind die Bedenken im Brüsseler Zentralkomitee, bzw. im Frankfurter Politbüro namens EZB, dass dies ein weiterer Sargnagel für die Missgeburt namens Euro ist. Man darf gespannt sein, wie lange es in der Eurozone noch gelingt, ökonomische Realitäten der Politik unterzuordnen.
Der Euro konnte sich am Freitag gegen Dollar befestigen und schloss knapp unter dem Psycho-Pegel bei 1,10, was wohl auch die Erwartung der normalerweise gut informierten und reational handelnden Akteure an den Devisenmärkten ausdrückt, dass eine stille Lösung gefunden wird, die ein „business as usual“ ermöglicht.
Zurück zum US-BIP. Auch nach der Revision der zweiten Schätzung liegt das BIP immer noch 2,7% über dem des ersten Quartals 2014. Das hängt natürlich auch mit der damals dem harten Winter zugeschriebenen schlechten Entwicklung zusammen. Aber es gibt in den aktuellen Daten einige positive Punkte zu vermerken. So sind z.B. die Wohnbauinvestitionen im Jahresvergleich real um 5% angestiegen, gegenüber dem Vorquartal waren es +1,2%. Auch bei den Investitionen in Geschäftsausstattung gab es stärkere Zuwächse als zunächst geschätzt. Der Lageraufbau hat sich langsamer vollzogen als zunächst geschätzt (bei „Investitionen“ im folgenden Chart). Das bedeutet eine geringere „Hypothek“ für die künftige Entwicklung. Die große Belastung bei der BIP-Entwicklung in Q1 gegenüber der ersten Schätzung kommt vom Außenbeitrag.
Eine Bloomberg-Umfrage unter Ökonomen sieht für Q2 ein BIP-Plus von 2,7% voraus, wobei die Ausgaben der privaten Haushalte um 3,2% steigen sollen. In Q1 hatten sie sich um 1,8% verbessert.
Klar ist: Wenn Q2 kein signifikantes Wachstum mit sich bringt, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession deutlich an. Insofern stehen in der kommenden Woche wichtige Makrodaten an. Da ist zunächst der landesweite ISM-Index für Mai. Er wird im Mittel bei 51,8 erwartet nach 51,5 im April. Am Freitag gibt es die US-Arbeitsmarktdaten für Mai. Hier wird im Mittel mit 220.000 neuen Jobs (Nonfarm Payrolls) gerechnet, also etwa auf dem Niveau des Vormonats. Die Erwartung erscheint im Lichte des ISM-Subindex „Employment“ anspruchsvoll, wie der folgende Chart zeigt. Er stellt ihn in seiner vierteljährlichen Entwicklung der ebenfalls vierteljährlichen Veränderung der Zahl der Arbeitsplätze (“non-farm”) gegenüber. Deutlich ist, dass er einerseits etwas vorausläuft, andererseits fällt insbesondere seit Mitte 2013 eine Entkopplung beider Zeitreihen auf. Dies dürfte damit zu tun haben, dass sich der Arbeitsplatzaufbau immer stärker auf den Servicesektor konzentriert. Der ISM-Employment-Subindex fokussiert die verarbeitende Industrie.
Ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Geschäftszyklen im Finanz- und nicht-Finanz-Bereich: Für den erstgenannten Bereich bleibt das Zyklus-Topp aus der zweiten Jahreshälfte 2012 weiterhin gültig, der nicht-Finanz-Bereich zeigt hingegen noch einen leichten Anstieg. Auch andere Rezessionsindikatoren, wie sie hier vorgestellt wurden, geben kein Warnsignal, so dass mangels anderer Erkenntnisse davon ausgegangen werden sollte, dass das Glas noch (mehr als) halb voll ist.
Was macht der S&P 500 vor diesem Hintergrund? Der folgende Chart zeigt die fraktale Sicht auf den S&P 500. Seine Aussage ist unverändert. Die obere rote Linie („Linearity“) zeigt, wie weit der Herdentrieb fortgeschritten ist. Sie hatte im Dezember einen Rekordwert von 96% erreicht, aktuell liegt sie wie im Vormonat auch bei 94%. Das ist im historischen Vergleich sehr hoch. Für sich alleine sind solch hohe Werte aber keine Indikation auf eine unmittelbar bevorstehende massive Korrektur, bzw. einen beginnenden Bären-Markt. Damit ist erst zu rechnen, wenn das Niveau von 90% unterschritten wird. Auch von anderen Indikatoren, die die statistische Verteilung der Dynamik im Kursverlauf (gelbe Linie im oberen Chart-Bereich) und die Zuordnung und Richtung verschiedener gleitender Durchschnitte (hellgrüne Linie) auswerten, kommt bisher kein Warnsignal (vergleichen Sie dazu die Topp-Phasen 2000 und 2007 im Chart!).
Ich will hier nicht weiter auf das mittlerweile sehr elaborierte Niveau der KGV-Bewertung eingehen. Das scheint momentan eine eher untergeordnete Rolle zu spielen und lässt sich insbesondere auch angesichts der enormen Cash-Position der US-Unternehmen per Aktienrückkauf weitreichend manipulieren (Chartquelle).
Exkurs:
Es gab schon immer berechtigte Zweifel, ob das BIP der beste Weg ist, das Wachstum unserer Lebensqualität zu messen. Hierzu hat u.a. der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen wichtige Beiträge geleistet. Angesichts der zunehmenden Verbreitung des Internet dürfte das BIP aber auch nicht mehr unbedingt die Entwicklung der tatsächlichen Wirtschaftskraft widerspiegeln.
Der zunehmende Internethandel sorgt einerseits dafür, dass die Transportkosten beim Einkauf sinken. Dafür steigen zwar die Transportaufwendungen der Paketdienste usw., kompensieren das aber nicht. Hinzu kommt, dass mit der stärkeren Verbreitung des Internet die Zahl derjenigen steigt, die zumindest teilweise von zuhause aus arbeiten. Auch das spart Transportleistungen.
Geht die Entwicklung des Internets auch hinsichtlich Entertainment und elektronischem Lesen von Büchern so weiter, führt das alles in der Tendenz dazu, dass die Nachfrage nach Treibstoff, nach Autos, nach Bürokleidung, nach Kino- und Theaterdienstleistungen, nach Papier und Druckdienstleistungen usw. nachlässt. Schließlich machen Skype, Telefonkonferenzen usw. sowohl manche private Fahrt zu den Enkeln als auch manche Geschäftsreise überflüssig.
Auf der einen Seite wird die BIP-Entwicklung also tendenziell verlangsamt, andererseits steigt die Produktivität an, u.a. weil weniger Zeit mit Fortbewegung verbracht wird. Jede Steigerung der Produktivität führt cet. par. zu Druck auf die Preise. Das dürfte auch hierbei gelten.
Exkurs Ende