Mit der Drosselung der QE-Maßnahmen der Fed und dem erreichten tiefen Niveau der Zinslandschaft stellt sich immer drängender die Frage, ob die Zinswende schon hinter uns liegt oder ob die Zinsen nochmals deutlich tiefer sinken. Die meisten Beobachter sind sich einig, dass solch tiefe Zinsniveaus wie zuletzt langfristig nicht haltbar sind. Nur – viele haben das schon vor Jahren gesagt, und es ging dennoch weiter runter. Die Zinswende hat darüber hinaus gewichtige Konsequenzen für andere Anlageklassen, etwa Aktien.
Auch Dr. Martin Hüfner, Assénagon, fragt in seinem Wochenkommentar vom 12. Februar 2014: „Könnte es sein, dass wir vor einer Neuorientierung in der Anlagepolitik stehen.“ In der Vergangenheit hätte es ein ständiges hin und her in der Bewertung von Aktien und Renten gegeben. Die landläufige Meinung war, Aktien hätten eine bessere Performance, seien aber auch volatiler. Renten hingegen seien „Langeweiler“, brächten weniger Rendite, seien aber auch nicht so schwankungsanfällig. Dieses Vorturteil hält aber einer objektiven Betrachtung nicht stand. Die Gesamt-Performance von festverzinslichen Wertpapieren sei bis 2012 nicht schlechter gewesen als bei Aktien – und deutlich weniger schwankungsanfällig, schreibt Hüfner und zeigt den folgenden Chart.
Der Grund für die per Saldo bessere Anlageklasse der Renten ist in der 30-jährigen Zinssenkungsphase zu sehen, seit 1980 haben sich die Renditen für langlaufende Bundesanleihen von zehn auf fast ein Prozent verringert. Außerordentliche Kursgewinne waren die Folge, auch der Koupon der vergleichsweise hohen Zinsen sei nicht unerheblich gewesen, schreibt Hüfner.
Er sieht nun eine neuerliche Kehrwende kommen. Per Saldo sei der REX im vergangenen Jahr nicht mehr gestiegen und die Koupons seien mittlerweile ohnehin gering. Aktien hingegen hätten im selben Zeitraum um 26% zugelegt. Er rechnet damit, dass die Zinsen jetzt so niedrig sind, dass eine weitere Abwärtsbewegung wenig wahrscheinlich ist. Sie bleiben entweder auf diesem Niveau oder werden leicht ansteigen. Letzteres hält Hüfner für wahrscheinlicher, weil sich die Zentralbanken über kurz oder lang von ihrer ultralockeren Geldpolitik verabschieden werden und erinnert an die Phase zwischen 1950 und 1980, als die Renditen in den USA von zwei Prozent auf 14% gestiegen sind. Sollte das wieder so kommen, könne man Rentenanlagen vergessen.
In einer ultralangen Sicht auf die Realzins-Entwicklung seit dem 13. Jahrhundert wird deutlich, dass sie über den gesamten Zeitraum deutlich gesunken sind – ein wahrhaft säkularer Trend.
In dieses große Bild eingebettet sind kürzere Auf-und Ab-Zyklen. Die Entwicklung der Renditen (am Beispiel der 10-jährigen US-Treasuries – “10yr Treasury Yield”) seit 1892 zeigt in 1920 und 1981 lokale Maxima und Tiefzinsphasen um 1900, zwischen 1940 und 1950, sowie seit 2012. Grob lässt sich hier ein etwa 60 Jahre langer Zyklus identifizieren mit entsprechend halb so langen, also je etwa 30 Jahre anhaltenden Auf- und Abwärtsphasen (siehe Teilbild in der Mitte des Charts!). Das passt also durchaus dazu, dass die seit den frühen 1980er Jahren laufende Abwärtsphase der Zinsen zu Ende geht.
Gut ist im langfristigen Verlauf der Zinsen auch zu erkennen, wie ab 1920 die sinkenden Zinsen den Aufbau einer Kreditblase begleitet haben, die 1929 schließlich zum Borsenkrach führte und danach die Rentenperformance für nahezu zwei Dekaden relativ besser aussehen ließ.
Der Chart wertet im oberen Teilbild die langfristige Entwicklung von S&P 500 und der invertierten 10-jährigen Bond-Rendite (als Proxy für die Bond-Preise) aus. In Phasen, in denen das gezeigte rote Band steigt, ist die langfristige relative Performance von Aktien besser, ansonsten ist die Renten-Performance höher. Deutlich zu sehen, dass zwischen etwa 1910 und 1928/1929 Aktien relativ besser liefen, danach liefen sie bis Anfang der 1950er Jahre schlechter als Renten.
Die in den frühen 1950er Jahren gestartete Outperformance von Aktien ging Mitte der 1980er Jahre in eine Seitwärtsphase über, die etwa zehn Jahre andauerte. Hier hielt sich die relative Performance der beiden Anlageklassen in etwa die Waage. In diese Betrachtung ist der Zins-Koupon nicht einbezogen. Nimmt man ihn hinzu, verschiebt sich das Bild etwas zugunsten der Rentenanlage – umso mehr, je höher der Zins notiert. Ab 1995/1996 liefen Aktien historisch wieder besser – bis zur Jahreswende 2007/2008.
Einen frischen unteren Umkehrpunkt bei der Rendite gab es Mitte 2012, unter mittelfristigen Gesichtspunkten manifestiert sich seitdem eine bessere Aktientendenz (Kurve “SPX vs inv. 10yr yield” aufwärts). Das Signalband verläuft über die jüngsten 18 Monate aber noch seit-, leicht abwärts (rot: „n-“). Demnach ist die Zeitenwende hin zu historischer Outperformance von Aktien mit langfristiger unterer Zinswende (noch) nicht vollzogen. Bestätigt würde die Entwicklung endgültig erst, wenn die obere Begrenzung des Bandes von der Zeitreihe durchbrochen wird und dieses sich aufwärts orientiert. Dies ist bisher nicht der Fall.
Im Chart wird an der Breite des Bandes auch deutlich, dass seit Mitte der 1990er Jahre das Verhältnis zwischen beiden Klassen sehr schwankungsfreudig geworden ist. Dies war auch im Umfeld von 1929 so.
Hüfner weist auf einen wichtigen Punkt hin: Die Rentenanlage wird für institutionelle Anleger wie Pensionskassen, Versicherungen, Stiftungen usw. immer schwieriger. Sie schätzen die relative Sicherheit dieser Anlageform und benötigen die laufenden (Zins-)Erträge für ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden. Die Situation wird durch die älter werdende Bevölkerungsstruktur noch zusätzlich verkompliziert, es werden immer höhere Pensionsansprüche aufgebaut, die zukünftig bedient werden müssen. Hüfner schätzt, dass für diese Anleger eine jährliche Rendite von vier bis fünf Prozent auskömmlich wäre.
Wenn die Zinswende tatsächlich erfolgt, dürften solche Anleger zunehmend auch in Aktien getrieben werden, wobei sie ihrem Geschäftsmodell entsprechend v.a. an Aktien großer Unternehmen mit relativ geringer Kursvolatilität und attraktiven Dividendenausschüttungen als Ersatz für Rentenkoupons interessiert sein dürften.
Wenn die Zinswende tatsächlich erfolgt, werden die hauptsächlichen Nutznießer der ultralockeren Geldpolitik, die Regierungen der USA und in Europa, aber auch vor der Herausforderung stehen, einen steigenden Schuldendienst zu schultern. Das dürfte noch für einige Verwerfungen sorgen.
Es spricht in der Tat vieles dafür, dass die Zinsen aus langfristiger Sicht eher Aufwärtspotenzial haben. Auf Sicht der nächsten 12 bis 24 Monate allerdings sollte durchaus damit gerechnet werden, dass die 2012 erreichten Tiefs von 1,4 bis 1,7% bei den zehnjährigen US-Treasuries noch einmal auf ihren Bestand hin getestet werden. Es ist schwer vorstellbar, dass eine solch lange Abwärtsbewegung durch „Herausschleichen“ beendet wird. Andererseits zeigt sich bei den vorhergehenden Tiefzinsphasen um 1900 und zwischen 1940 und 1950 auch ein eher breit angelegtes Tief und somit im Unterschied zu den Zins-Hochpunkten kein ausgeprägtes, zeitlich klar abgegrenztes Extremum.
Ob dynamisch oder „schleichend“ – in beiden Fällen sollte man damit rechnen, dass die Bodenbildungsphase bei den Zinsen noch einige Zeit in Anspruch nimmt. Dementsprechend dürften es Aktien in dieser Zeit –insbesondere nach den starken Zugewinnen in den jüngsten 18+ Monaten- schwer haben, die Frage der langfristigen („historischen“) Outperformance im Vergleich zu Renten für sich zu entscheiden. (Zur langfristigen, zyklischen Einschätzung der Aktienperformance siehe hier!)
Ein weiteres Argument für einen noch andauernden Bodenbildungsprozess bei den Zinsen liefert der Verlauf der Inflation. Nachhaltig steigende Inflation war und ist eine Voraussetzung für dauerhaft steigende langfristige Zinsen. Irving Fisher hat dies vor 84 Jahren in seiner “Theory of Interest” gezeigt: Langfristige Zinsen ergeben sich als Summe aus Inflationserwartungen und realen Zinsen. Dieser Zusammenhang ist in zahlreichen statistischen Studien bestätigt worden und kann empirisch am Vergleich der Treasury-Bond-Zinsen mit der Inflationsrate beobachtet werden (siehe hier!).
Die Inflationsrate kann aktuell nur als anemisch bezeichnet werden. Das gilt besonders für die Eurozone (siehe hier, hier und hier!). Aber auch in den USA bleibt die CPI-Inflationsrate (violette Zeitreihe im kleinen Chart unten im Bild!) seit Mitte 2012 unter dem Zielniveau der Fed von 2% und langfristig seit 1980 unter einer fallenden Linie (blau gestrichelt), was im Zeitablauf sinkende Zuwächse bedeutet.
Wir befinden uns bei Zinsen in einer historischen Bodenbildungsphase und damit am Ende einer drei Dekaden langen Abwärtsphase. Der Bodenbildungsprozess vollzieht sich wahrscheinlich wiederum als mehrjährige Tiefzinsphase, die Mitte 2012 begonnen hat. Tiefe und erst recht nachhaltig steigende Zinsen (fallende Kurse) machen die Anlage in Renten uninteressant. Das verschafft alternativen Anlageklassen, z.B. Aktien, Zuspruch.