Die Diskussion rund um den nächsten Kommissionspräsidenten wird mit dem Hinweis auf »mehr Demokratie für die EU« geführt. Denn ein »Spitzenkandidat« als Kommissionspräsident würde durch die Wahl demokratisch legitimiert sein, so das Argument. Dahinter verbirgt sich aber ein wahrer Machtkampf: nämlich um die Frage, wer die stärkere Institution sein soll: Rat oder Parlament.
David Cameron hat Recht: Weder Jean-Claude Juncker noch Martin Schulz standen – streng nach Wahlrecht – formal zur Wahl. Schulz kandidierte zumindest in Deutschland für das Europaparlament, Juncker nicht einmal in seiner Heimat Luxemburg. Es gibt nämlich keine gesamteuropäischen Listen, und auch kamen die beiden Spitzenkandidaten nur sehr begrenzt im jeweiligen nationalen Wahlkampf vor. Drückt das Wahlergebnis daher überhaupt diesen Anspruch auf den Kommissionspräsidenten aus, den die beiden stellen? Camerons Gegner haben aber auch Recht: Es braucht langfristig einen wahrlich europäischen Wahlmodus, um die demokratische Wirkung der Europawahlen voll zu entfalten. Die Europäischen Institutionen brauchen einen Spiegel, den der Wähler ihnen vorhalten kann und so zwischen ihrem Handeln und der Auswirkung beim Bürger ein direkter Zusammenhang gezogen wird. Daher ist es wichtig, mit der Nominierung eines Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten ein Exempel zu statuieren, auf dem man für die nächste Wahl in fünf Jahren ein ordentliches System bauen kann.
Wer ist Barthel, wer ist Most.
Hinter der grundsätzlich demokratiepolitischen Debatte tobt aber eine ganz andere, viel profanere Schlacht: nämlich um die Frage, welche europäische Institution die stärkere sein soll. Mit Rat und Parlament agieren gleich zwei Kammern, die nach den europäischen Verträgen meist gleichgestellt über die EU-Gesetze entscheiden. In der Realität sieht sich der Rat (vulgo die Mitgliedstaaten) als die wichtigere Institution. Die Staats- und Regierungschefs verstehen sich überhaupt als die wahren Entscheider und Machthaber über alle EU-Institutionen. Margaret Thatcher verspottete das EU-Parlament einst als »Mickey-Maus-Parlament«. Seitdem ist aber viel passiert, und das Parlament hat sich viele neue Kompetenzen erstritten. Die Idee der Spitzenkandidaten ist auch im Parlament entstanden und von dort aus schrittweise durchgesetzt worden. Die Regierungschefs wurden von dieser Kampagne überrollt, teilweise waren sie aber auch Teil von ihr. Sozialdemokratische Politiker erhofften sich, auf diese Weise den Posten des Kommissionspräsidenten erobern zu können – was letztendlich aufgrund des Wahlausgangs nicht gelang.
Nächste Diskussion: Inhalte.
Dennoch könnten die Sozialdemokraten zu den Gewinnern der Diskussion gehören. Denn nach der Personalfrage geht es nun um die Inhalte, sprich: die politischen Prioritäten der EU-Kommission. Kluge Köpfe wie der italienische Premier haben die beiden Punkte miteinander verknüpft und sich im Gegenzug für seine Zustimmung zu Juncker Lockerungen bei den Maastricht-Kriterien für Italien rausverhandelt. Das Parlament strebt nun danach, bei der inhaltlichen Ausrichtung des Kommissionsmandats ein gewichtiges Wort mitzureden. Damit will die Institution ihre größte Schwäche ausmerzen: Denn das Recht, Richtlinien und Verordnungen vorzuschlagen, liegt ausschließlich bei der Kommission. Die Forderung des Parlaments, ihm dieses Initiativrecht auch zu geben, werden die Staats- und Regierungschefs angesichts der jüngsten Niederlagen in den Machtkämpfen auf lange Sicht sicher nicht erfüllen. n