Das griechische Volk hat gewählt – es hat sich nach Jahren (Jahrzehnten) von Korruption und Vetternwirtschaft für eine Partei entschieden, die einen radikalen Neuanfang verspricht. Zu staatlicher Misswirtschaft kam seit dem offenen Ausbruch der Griechenland-Krise die Austeritätspolitik der Missgeburt namens Eurozone hinzu, die in ihrem sozialen Gehalt nichts anderes bedeutete, als dass die breiten Bevölkerungsschichten die Folgen ausbaden musste. Der griechischen Oberschicht hingegen wurde unendlich viel Zeit gegeben, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen – weder wurde sie mit irgendwelchen substanziellen Einkommensteuern behelligt, noch wurde der Kapitalflucht begegnet.
Viele Kommentatoren außerhalb Griechenlands geifern: Die neue griechische Regierung sei utopistisch, populistisch, die Koalition sei absurd. Die wenigsten erwähnen, dass es die Griechen waren, die gewählt haben und damit einen Schlussstrich unter die Fremdherrschaft durch die Troika ziehen wollen. Wenn wir in einer Demokratie leben, dann ist der Wille der Griechen zu respektieren – und zwar zuallererst durch das Politbüro in Brüssel namens EU-Kommission. Tritt man diesen Willen erneut mit Füssen, dann zeigt das nur, was das Recht auf Selbstbestimmung in dieser Eurozone wert ist – nichts.
Der Wille der Griechen ist, so denke ich, klar. Sie wollen nicht länger ausbaden, was ihnen ihre diversen Regierungen eingebrockt haben. Sie haben verdammt lange gebraucht, um diesen Willen manifest werden zu lassen…
Das Brüsseler Politbüro und die dieses vor sich hertreibende Banken-Lobby malen gerne das Schreckensszenario an die Wand, wonach ein Staatskonkurs Griechenlands zu einem Ausschluss aus der Eurozone (und vielleicht gleich auch noch aus der EU – warum nicht aus Europa???) führt. Und wenn man schon mal dabei ist – es könnte dann ja auch zu einem Dominoeffekt kommen, an dessen Ende der Zusammenbruch des Euro steht. Und das will die Banken-Szene der Eurozone zu allerletzt, wo sich hier doch selbst mit untauglichen Geschäftsmodellen gut leben lässt.
Der Konkurs wäre ein Ende mit Schrecken – immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende. Primär läuft ein Staatsbankrot darauf hinaus, die öffenlichen Schulden ganz oder teilweise zu annullieren. Damit wird ein Neuanfang möglich. Ob er stattfinden kann, hängt davon ab, dass die griechische Bevölkerung ihre Fähigkeiten selbstbestimmt zum Wohle aller mobilisieren kann. Das wiederum wird nur gelingen, wenn der Staat die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft. Keine leichte Aufgabe, aber lösbar.
Unlösbar bleibt diese Aufgabe, wenn so weitergemacht wird wie bisher. Ob Syriza der große Hoffnungsträger auf diesem Weg ist, ist nicht klar – insbesondere in der Koalition mit dem Haufen alter Hinterbänkler und politischer Versager namens „Neue Griechen“.
Das vorherrschende ökonomische Gedankengut in der EU ist keynesianisch gepägt. Indem man die von Keynes zunächst als Notfallmaßnahme konzipierte öffentliche Anreizpolitik verewigt, hat man sich auf den Weg der permanten staatlichen Interventionen begeben und landet genau im von Schumpeter prognostizierten bürokratischen Sozialismus, auch Sozialdemokratie genannt. Der den Völkern Europas aufgezwungene Brüsseler Zentralismus begünstigt diese Entwicklung.
Die neue griechische Regierung unterscheidet sich hinsichtlich ihrer ökonomischen Grundlinie nicht wesentlich vom „Mainstream“ in der EU. Und so besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass nach einem „zähen Ringen“ um die Zukunft Griechenlands ein „mühsamer Kompromiss“ zustande kommt, der eben keinen Grundstein für einen marktwirtschaftlichen Neuanfang in Griechenland legt. Dafür wird das dann umso lauter als alternativlos gefeiert werden – allen voran wahrscheinlich in Berlin.
Vermutlich wird also das Griechenland-Problem im Endeffekt so „gelöst“, wie schon andere Krisenszenarien in der Eurozone vorher – der marode griechische Staat wird durch neue Darlehen ökonomisch weiter vergiftet, die politische Entmündigung der griechischen Bevölkerung wird nicht zurückgedreht. Und dies wird dann das Vorbild, mit dem auch die Probleme in Frankreich und in Italien behoben werden sollen. In Italien und Spanien ist die Staatsverschuldung mit ca. 131% ähnlich hoch wie in Griechenland (rund 175%).
Für einen Neuanfang in Griechenland sind ein Schuldenschnitt und ein radikaler Umbau des Staatsapparates notwendige Bedingungen. Auch wenn das neue produktive Energien der Bevölkerung freisetzt, so reichen diese Bedingungen nicht aus. Denn so lange Griechenland im Euro festgezerrt ist, bleibt das Problem zu hoher Lohnstückkosten bestehen, das unter der Bedingung der festen Kopplung an das einheitliche Währungsgebiet zu mangelnder Wettbewerbsfähigkeit führt. Behält man diese Bedingung bei, wird der Anpassungsprozess wie auch in der Vergangenheit dazu führen, dass die Löhne effektiv weiter sinken müssen. Somit bleibt die Last bei der griechischen Bevölkerung, ihre Verelendung geht weiter.
Hier hilft ein klarer, harter Schnitt – und der bedeutet, dass das Land die Eurozone verlässt und zu einer eigenen Währung zurückkehrt. Aus meiner Sicht ist dies der letztendlich beste Weg. Genau deshalb ist er auch am wenigsten wahrscheinlich. Denn das Politbüro in Brüssel wird sich diese Blöße auf keinen Fall geben – aber das ist genau die Stärke in der Verhandlungsposition der griechischen Regierung.
Daneben gibt es die Möglichkeit, einen „Euro-Nord“ und einen „Euro-Süd“ einzuführen. Die Süd-Länder würden durch eine Abwertung ihrer Parallelwährung wettbewerbsfähiger und bekämen damit die entscheidende Unterstützung, die sie brauchen, damit der Anpassungsprozess nicht länger ausschließlich auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird.
Auch die Einführung von Euro-Parallelwährungen wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl eine Illusion bleiben. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe. Der erste ist wieder, dass sich niemand offiziell eingestehen will, dass der einheitliche Euro von Anfang an eine Missgeburt war. Der zweite ist, dass die deutsche Exportindustrie empfindlich tangiert würde.
Ob Griechenland mit einem Schuldenschnitt rechnen kann, die Eurozone verlässt oder Parallelwährungen eingeführt würden – in allen drei Fällen käme es zu erheblichen Verlusten bei denen, die griechische Anleihen besitzen. Im Zweifelsfall wäre es immer noch besser (wenn auch das ordnungspolitisch fragwürdig), solchen notleidenden Anleihebesitzern unter die Arme zu greifen, als die griechische Staatsverschuldung nach altem Muster weiter zu treiben.
Der Vollständigkeit halber sei noch eine Variante erwähnt, die zu Wochenbeginn im Vorfeld der Aufnahme der Verhandlungen auf europäischer Ebene hochkochte. Der griechische Verteidigungsminister deutete an, dass die griechische Regierung im Zweifelsfall auch auf Finanzmittel aus Drittländern zurückgreifen würde. Er nannte die USA, Russland oder China. Ich sehe darin allerdings lediglich eine Drohkulisse, um die eigene Position zu stärken. Eine dauerhafte Lösung wird sich daraus nicht ergeben, lediglich Notfallkredite wären denkbar. Aber es stärkt natürlich die Verhandlungsposition von Tsipras & Co.
Weiterführend:
- “Staatskonkurs als Chance” von Robert Nef
- “Parallelwährungen – Eine echte „Alternative“ für Griechenland und Europa?”
- Hajek über Wettbewerbsgeld
Nachtrag:
(17.2.15) Die Verhandlungen in der Eurogruppe um neue Kredite an Griechenland sind zunächst gescheitert. Die griechische Regierung sperrt sich gegen eine Verlängerung des aktuellen Hilfsprogramms. Dies war von den übrigen Eurozonen-Vertretern verlangt worden. Der griechische Finanzminister Varoufakis hat die Reform- und Sparauflagen der Euro-Partner als “fiskalisches Waterboarding” und “sozialen Holocaust” bezeichnet.
Die neue griechische Regierung hatte vor ihrer Wahl angekündigt, sie werde die Bedingungen dieser Hilfsprogramme nicht länger akzeptieren.
Ende Februar läuft das gegenwärtige Hilfsprogramm der Eurozone aus, die letzte Milliarden-Rate liegt auf Eis. Bis spätestens zum Sommer benötigt Athen einen zweistelligen Milliardenbetrag, um Zahlungsforderungen der Geldgeber zu erfüllen. Zusätzlich werden Mittel zur Finanzierung laufender Ausgaben und von Vorhaben gebraucht, die die Regierung vor ihrer Wahl versprochen hat.
Die griechische Notenbank stützt das einheimische Bankensystem durch Finanzspritzen, die sie im Rahmen von ELA-Maßnahmen gewährt. Diese Maßnahmen müssen jeweils durch die EZB genehmigt werden. Über den Kauf von T-Bills durch die Banken gelangt offenbar ein Teil dieser Mittel zum griechischen Staat, weshalb mittlerweile Kritik einer verbotenen Staatsfinanzierung durch die EZB laut wird.
(17.2.15) Paul Krugman schreibt, die EU-Autoritäten hätten Griechenland ein Dokument zur Unterzeichnung vorgelegt, dass die griechische Regierung auf keinen Fall unterschreiben konnte, ohne einen vollständigen Gesichtsverlust zu erleiden. Und er fragt, ob die Eurogruppen-Minister vielleicht einfach zu bescheuert sind, um zu wissen, was sie tun. Wahrscheinlicher, so überlegt er weiter, sei es allerdings, dass sie beschlossen haben, Griechenland über die Klinge springen zu lassen. Sie zögen es wohl vor, das Land in die Pleite und wahrscheinlich aus dem Euro zu zwingen, um allen anderen Eurozonen-Ländern eine Lektion zu erteilen, die ebenfalls Erleichterungen wollen. Krugman fühlt sich an den Versailler Friedensvertrag erinnert, den Frankreich Deutschland nach dem ersten Weltkrieg aufgezwungen hat.
Guter Vergleich! Dies lieferte damals eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Nazi-Regime in Deutschland entstehen konnte. Wiederholt sich die Geschichte (nach der Tragödie vielleicht als Farce?) oder entpuppt sich diese “Hardlinerei” wahrscheinlich von Schäubles Gnaden als Schuss, der nach hinten losgeht?