Die Ölpreise brechen Support für Support. Jetzt notiert WTI Öl unter 60 Dollar, genau bei 57,7. Öl Brent kostet noch 61,80 Dollar. Zur Jahresmitte, als der Absturz begann, notierten die beiden Sorten bei 106, bzw. 115 Dollar. Die Optimisten freuen sich, angeblich wäre jetzt mehr Raum für die Konsumenten, ihre Verbrauchsausgaben zu steigern. Sie rechnen schon vor, dass das deutsche BIP Rückenwind von um die 0,8% bekommt, wenn, ja wenn die Preise so tief bleiben.
Es gab ja auch mal solche Optimisten, die von der Hypothekenblase in den USA ähnliches sagten. Auch hier wurde vorgerechnet, dass die niedrigen Hypothekenzinsen einen gewaltigen Boom bewirken würden. Das geschah ja auch – der durch die steigenden Hauspreise bewirkte Wohlstandseffekt setzte tatsächlich zeitweilig Wachstumspotenzial frei. Und dann verrauchte dieses “Konjunkturprogramm” in der Finanzkrise.
Nun scheint es, als haben die abstürzenden Ölpreise auch die Aktienmärkte erfasst. Wenn die „Santa Claus“-Rally dieses Jahr ausfällt, wäre das ein äußerst ungünstiges Zeichen. Denn historisch kündigte ein solcher Ausfall oft einen Bären-Markt bei Aktien an.
Der Kursverlauf eines US-ETF auf Aktien von Firmen, die im Bereich unkonventioneller Öl- und Gasvorkommen tätig sind zeigt, wie die Kurse dieser Fracking-Unternehmen von Mitte 2012 von 20 auf fast 35 Dollar zur Jahresmitte 2014 angestiegen sind. Jetzt sind sie wieder bei rund 20 Dollar gelandet, die Kursgewinne sind gerade wieder ausgelöscht (Chartquelle).
Das Fracking begann seinen Aufstieg 2005, der beschleunigte sich ab 2009, angetrieben durch immer mehr billige Kredite. Die Fracking-Industrie ist ein schnell wachsender Teil der High-Yield Unternehmensanleihen. Diese Blase wurde zwischen 2008 und heute mit Neuausgaben von 43 auf 340 Mrd. Dollar aufgepumpt, also nahezu verachtfacht (Quelle).
Die Neuausgabe aller Unternehmensanleihen zusammengenommen hat sich in dieser Zeit von 707 auf 1431 mehr als verdoppelt. Zum Vergleich: 2007 kamen sie auf knapp 1130 Mrd. Dollar, 2000 auf knapp 590 Mrd. Dollar. Bei durchschnittlichen Laufzeiten von mittlerweile mehr als 14 Jahren (1997 waren es noch zehn Jahre) wird alleine der High-Yield-Teil bei den Unternehmensanleihen auf einen Bestand von 1,3 Bill. Dollar geschätzt. Der Anteil der Energie-Firmen hieran betrug 2005 gut 4%, aktuell wird er auf rund 16% geschätzt.
Es ist einerseits die schiere Größe der Blase bei Unternehmensanleihen, die Sorgen macht. Es andererseits ihre Struktur – der Anteil der High-Yield-Bonds ist zwischen 2008 und heute von 6,1% auf 23,8% angestiegen. Und es ist ihre Verwendung. Durch die Liquiditätsschwemme der Notenbanken künstlich gedrückte Zinsen sorgen stets dafür, dass Projekte finanziert werden, deren Ertrag unter normalen Bedingen mehr als fraglich ist. Zu einem nicht unbedeutenden Anteil wurden damit Aktienrückkäufe finanziert, um die Bewertung je Aktie künstlich zu steigern, was aber im operativen Sinne völlig unproduktiv ist. Im Sinne einer langfristigen Unternehmensentwicklung wird hier Geld aus dem Fenster geschmissen. Die Fremdfinanzierung von Aktienrückkäufen ist die fraglichste Art der Kreditverwendung überhaupt. Aber „Shareholder-Value“-Maximierung und billiges Geld machen es möglich.
Üblicherweise beträgt die Lebensdauer von „taktischen“ Kreditblasen fünf bis sechs Jahre (ein großer Kreditzyklus überspannt 28 bis 30 Jahre). Gut möglich, dass der Anlass zum Platzen aus dem Energiesektor kommt. Bei aktuellen Ölpreisen sind mehr als 50% der Fracking-Projekte unwirtschaftlich. Energie-Anleihen stehen mit ihren nahezu 16% des Marktes für High-Yield-Unternehmensanleihen für ein Volumen von fast 210 Mrd. Dollar.
Üblicherweise reicht in einer solch angespannten Situation ein kleiner Anlass, um eine Kettenreaktion auszulösen.
Werfen wir einen Blick auf den Kurs-Verlauf bei US-Junk-Bonds, so zeigen sich interessante Parallelen. Vor dem Platzen der Tech-Blase bildete sich hier im Juli 1998 ein Topp aus, das nächste Topp gab es im Mai 2007, kurz vor Beginn der 2008er Rezession und dem Lehman-Zusammenbruch. Nun scheint sich wieder ein Topp gebildet zu haben, und zwar im Juni 2014, zusammenfallend mit dem Beginn des Absturzes bei den Ölpreisen.
Dieselbe Aussage liefert der Verlauf des Renditespreads. Er hatte im Juni bei 3,35% ein Tief in der Nach-Finanzkrisen-Ära ausgebildet, aktuell notiert er bei 5,25%. Historisch lassen sich kritische Schwellen bei 5% („Vorwarnstufe“) und gut 7% ausmachen. Diese wurde zuletzt im Sommer 2011 im Zuge der US-Schuldenkrise und Eskalation der Eurokrise kurzzeitig überschritten.
Damit ist die Aussage aus dem Junk-Bond-Markt klar: Die Risikoneigung der Investoren, genauer, der Kreditgeber, lässt deutlich nach. Und das ist immer ein Warnzeichen, dass sich diese „Risk-off“-Haltung in andere Asset-Bereiche fortpflanzt.
Selbstverständlich steckt in der aktuellen Preisbewegung beim Öl auch ein Stück spekulative Selbstverstärkung. Aber dass die Rohstoffpreise auf breiter Front abbröckeln, und das eben nicht erst seit der Jahresmitte, ist ein negatives Zeichen für die Entwicklung der Weltkonjunktur. Nehmen Sie die Verläufe des Baltic-Dry-Index und des Harpex-Index hinzu. Beide laufen seit 2012 seitwärts, der die Container-Frachtraten für Halbfertig-, bzw. Fertigprodukte anzeigende Harpex besonders ausgeprägt in einer Spanne zwischen 350 und 450.
Sollten die Preise für Öl und andere Rohstoffe so tief bleiben (oder noch weiter sinken), bleibt das nicht ohne Auswirkung auf die Inflation. Beim deutschen Warenkorb, mit dem die Inflation berechnet wird, entfallen über 10% auf Haushaltsenergie und Kraftstoffe.
Das wird insbesondere in der Eurozone den Effekt haben, dass die Zentralbanken sich berufen fühlen, den Geldhahn noch weiter aufzureißen, um das Deflationsgespenst zu bekämpfen. Deflation, das sollte man sich bei aller bewusst gesteuerten Hysterie hierbei vor Augen führen, wird erst dann zum realwirtschaftlichen Problem, wenn sie zu breiter Kaufzurückhaltung führt, weil die Verbraucher über einen relativ kurzen Zeitraum noch deutlich tiefere Preise erwarten. Dies war aber selbst in den zwei „verlorenen“ Dekaden in Japan nicht der Fall – es gab diese sich selbst verstärkende Spirale nicht. Das, was an disinflationärer oder deflationärer Entwicklung hauptsächlich problematisch ist, ist der finanzwirtschaftliche Aspekt des realen Schuldendienstes, der die Schuldner mit sinkender Inflationsrate zunehmend drückt. Angesichts des hohen Verschuldungsgrades ist das genau das, was die Zentralbanken im Auge haben, wenn sie die Inflation ankurbeln wollen.
Dass die Eurozone nur noch Inflationsraten von knapp über Null vorweisen kann (und damit weit von der Zielmarke der EZB von knapp unter 2% entfernt ist), ist bekannt. Aber auch in den USA zeigen sich erste Tendenzen einer nachlassenden Inflation. So läuft der PPI seit Jahresmitte abwärts von 202,4 im Juli auf 200 im November. Es dauert drei bis sechs Monate, bis sich eine solche Tendenz im CPI niederschlägt. Der läuft seit Juli seitwärts, der Novemberwert wird zu Anfang der nächsten Woche veröffentlicht.
Es dürfte relativ klar sein, was die Zentralbanken tun werden, wenn die Schwäche in den Inflationsraten nachhaltig zu werden beginnt (oder wenn sie dies vermuten). Sie werden auf die eine oder andere Art die Geldschleusen wieder (Fed), bzw. weiter aufreissen (EZB). Möglicherweise schinden sie dadurch Zeit heraus, möglicherweise sind sie aber auch schon nicht mehr Herr der Lage. Selbst wenn sie das Steuer nochmals herumreissen können, bedeutet noch mehr Liquidität nur, dass der Schuldenaufbau beschleunigt weiter geht, bis es auf noch höherem Niveau noch stärker kracht.
In diesem Sinne wird die FOMC-Sitzung in der kommenden Woche interessant – wird die Fed erste Andeutungen in dieser Richtung machen? Gut möglich, dass sie damit den Kursverfall bei Aktien zunächst stoppen kann und den Dollar-Index auf Talfahrt schickt. Und wenn nicht?