Die Verbraucherpreise in der Eurozone bewegen sich seit Anfang 2013 unter der Marke von 2%, dem Zielwert der EZB. Im Februar lag die Inflationsrate bei 0,8%. Die Preisentwicklung gestaltet sich von Land zu Land sehr unterschiedlich. So lagen im Januar die Preise in Finnland 1,9% über dem Wert des Vorjahres, in Deutschland waren es 1,2%, Griechenland bildet mit minus 1,4% das Schlusslicht.
In den Krisenländern wird „interne Abwertung“ betrieben. Kosten und Preise sinken, damit sie wieder wettbewebsfähig werden. Ländern wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien bleibt angesichts der einheitlichen Währung nichts anderes übrig, so lange die „Nordländer“ nicht deutlich inflationieren. Und davon hat letztlich niemand etwas, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit über den Euroraum hinaus geht.
In der Vergangenheit hatte die EZB immer wieder betont, dass sie auf Verschiebungen des Preisniveaus, die durch die Veränderung relativer Preise verursacht sind, nicht mit geldpolitischen Maßnahmen reagieren würde. Erstrunden-Effekte etwa durch einen höheren Ölpreis waren hinzunehmen, schreibt Thomas Mayer. Erst wenn Effekte einer zweiten und dritten Runde drohen, war eine Reaktion der Geldpolitik gefragt.
Gemäß dieser Logik wäre eine weitere Lockerung der Geldpolitik jetzt nur notwendig, wenn es aufgrund der inneren Abwertung einiger Länder zu einer Abwärts-Spirale beim allgemeinen Preisniveau kommt.
Der EZB-Stab erwartet in seinen jüngsten, bis Ende 2016 reichenden Prognosen keine deflationäre Spirale, sondern einen Anstieg der Inflationsrate der Eurozone insgesamt bis in die Nähe des Zielwerts der EZB.
Der IWF wiederum sieht markante Deflationsgefahren und mahnt deutliche Lockerungen durch die EZB an. Er führt drei Gründe ins Feld. Erstens fällt die niedrige Inflation mit schwacher Nachfrage zusammen. Die reale Nachfrage in der Eurozone liegt im Durchschnitt 5% unter dem Niveau aus dem ersten Quartal 2008. In Spanien sind es minus 16%, in Italien minus 12%. In Deutschland, dieser „Lokomotive“ der Eurozone, stagniert sie seit dem zweiten Quartal 2011. Zweitens gibt es zwar nach Definition keine Deflation. Auch sind die langfristigen Inflationserwartungen gut verankert bei nahe 2%. Der IWF zeigt, dass diese auch in Japan unmittelbar vor drei Deflationsausbrüchen deutlich positiv waren. Es waren die kurzfristigeren Inflationserwartungen, die nachgaben und Deflationsspirale von fallenden Preisen und Löhnen geführt haben, warnt er – siehe Chart (Chartquelle).
Drittens ist eine sehr niedrige Inflation per se kostspielig. Das gilt besonders für Länder, die ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen müssen. Die durchschnittliche Inflation in den Überschuss-Ländern beträgt lediglich 1,5%, in den Krisenländern liegt sie bei 0,6%. Sinkende Preise verbessern zwar die Wettbewebsfähigkeit, erhöhen aber die reale Schuldenlast – und das kombiniert mit den ohnehin dort wesentlich höheren Schuldenquoten. Lägen die Inflationsraten insgesamt deutlich höher, wären die realen Zinsen niedriger und das würde es den Schuldnern leichter machen. Mit der geringen Inflationsrate ist der Puffer gegen externe Schocks zu schwach, warnt der IWF. Diese Feststellung vom geringen Sicherheitspolster stimmt zwar, der eigentliche Grund liegt aber nicht in einer zu geringen Preissteigerung, sondern in Faktoren dahinter, wie schwacher Nachfrage, hohen Schulden, hoher Arbeitslosigkeit, ungünstiger Bevölkerungsstruktur, übermäßiger Finanzialisierung der Wirtschaft usw.
Nehmen wir an, die EZB hätte recht mit ihrer Politik der „ruhigen Hand“. Was würde eine deflationäre Entwicklung begünstigen? Dazu muss gar nicht viel passieren angesichts des geringen Sicherheitspolsters, mit dem die Eurozone unterwegs ist (oder besser gesagt angesichts der strukturell schwachen Wirtschaft).
Eine scharfe Aufwertung des Euro könnte die zaghafte Erholung der Wirtschaft des Euroraums abwürgen, schreibt Mayer. „Ein Rückfall in die Rezession wäre besonders für die Krisenländer sehr schmerzhaft und könnte letzten Endes dort eine deflationäre Entwicklung der Preise einleiten.“
Eine solche Aufwertung des Euro erscheint zurzeit „eigentlich“ unwahrscheinlich. Denn angesichts des langsamen Anziehens der geldpolitischen Zügel durch die Fed sollte der Euro gegen Dollar „eigentlich“ unter Abwertungsdruck kommen.
Aber aktuell scheint genau das Gegenteil zu geschehen. Der Euro zeigt markante Stärke gegen Dollar. Er ist im Umfeld der jüngsten EZB-Sitzung aus einer langfristigen Chartformation nach oben ausgebrochen.
Nimmt man die Entwicklung der Währungen vieler Emerging Markets und die Entwicklung ihrer Aktienmärkte hinzu, so zeigt sich, dass internationales Kapital offenbar aus den Schwellenländern nicht in die USA unterwegs ist – es fließt in die Eurozone. Das betrifft inbesondere die Schwellenländer, die sich an die amerikanische Geldpolitik gehängt hatten, um eine Aufwertung ihrer Währungen abzuwehren. So sind z.B. lateinamerikanische Länder stärker betroffen als viele Länder in Asien. Ein weiterer Hinweis auf Kapitalbewegungen in die Eurozone ist die Tatsache, dass sich Euro gegen Yen besser entwickelt als Dollar gegen Yen.
Wohin geht dieses internationale Kapital, das nun aus Schwellenländern abgezogen wird, innerhalb der Eurozone? Es scheint in die Peripherieländer der Eurozone zu fließen. Das erklärt auch, warum sich z.B. der DAX zuletzt mit relativer Schwäche zeigte, während etwa der italienische Aktienmarkt Stärke bewies und so hoch liegt wie im Februar 2011.
In den Krisenländern werden höhere Erträge erwartet und beim Risiko glauben die Investoren nach wie vor daran, was Draghi im Sommer 2012 sagte: Die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten, hieß es damals. Zudem werden keine weiteren, den privaten Sektor betreffende Schulden-Restrukturierungen mehr erwartet. Auch Staatsanleihen der Krisenländer stehen hoch im Kurs. Ein zweites Mal wird auch auf Zinskonvergenz gesetzt. Beim ersten Mal ging das gründlich schief: Bis 2008 wurden die Zinsen in der Eurozone gleicher und gleicher – was danach geschah wissen wir. (Chartquelle – das angegebene Werbe-Dokument für den Euro ist auch sonst höchst interessant, wenn es um Anspruch und Wirklichkeit geht).
Wenn der Kapitalzufluss anhält, also ausländische Investoren verstärkt in der Eurozone investieren, wertet der Euro weiter auf. Wegen der schwachen Verfassung der Euro-Wirtschaft ist deren Toleranz gegen eine solche Beschneidung ihrer externen Wettbewerbsfähigkeit gering – viel geringer jedenfalls als vor 2008, als der Euro auf über 1,60 gegen Dollar steigen konnte, ohne dass es zunächst deutliche Bremsspuren in der Realwirtschaft gab. Finanzmärkte neigen ja bekanntlich nicht gerade dazu, sich selbstgenügsam zu verhalten. Die Gefahr besteht also, dass die Aufwertung so richtig in Schwung kommt. Dann werden die ausländischen Anleger, die zwecks höherer Renditen in die Krisenperipherie ziehen, möglicherweise bald sehen, wo die Wahrheit liegt. Gleichzeitig gerät die EZB zunehmend unter Handlungsdruck – weil dann die Gefahr einer Deflationsspirale tatsächlich akut wird.
Gold-Anleger können von dieser Situation einstweilen schon ordentlich profitieren – wegen der Dollar-Schwäche, aber auch aus Krisenvorsorge ist das Edelmetall gefragt.