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"Wollen die Farbe Grün nicht nur plakativ vor uns hertragen"

Foto: ­Martin Graf: »Wenn wir eine Ökologisierung des Energiesystems in Summe wollen, müssen wir den Pfad auch beschreiten.« Foto: ­Martin Graf: »Wenn wir eine Ökologisierung des Energiesystems in Summe wollen, müssen wir den Pfad auch beschreiten.« Foto: Energie Steiermark Jungwirth

Martin Graf, Vorstandsdirektor Energie Steiermark, im Interview über Glaubwürdigkeit am Energiemarkt, neues Geschäft und in welchem Bereich er sich in einer besonderen Verantwortung sieht.

Report: Welche Herausforderung sehen Sie derzeit zentral für die Energie Steiermark?

Martin Graf: Wir positionieren uns als innovativ, digital und grün – wollen daher auch mehr Eigenerzeugung, mehr grüne Erzeugung erreichen. Stärker etwa in Windkraft zu investieren – wie jüngst mit der Eröffnung des Windparks Handalm –, hilft auch dem Land Steiermark, die Ausbauziele der Klima- und Energiestrategie zu erreichen. Ebenso spielen Wasserkraft und Photovoltaik eine wichtige Rolle, die den Fokus im Strombereich auf rohstoffunabhängige Erzeugung ergänzen. Und auch im Sektor Wärme geht es um die Ökologisierung. Einen Schritt wurde mit der Eröffnung eines weiteren Biomasseheizwerks im letzten Jahr gesetzt. Ein weiterer wird »Big Solar« sein, das weltgrößte Solarthermieprojekt für Wärmeversorgung, das südlich von Graz geplant ist.

Report: In welchen Zeiträumen muss man bei der Umrüstung auf Erneuerbare denken?

Graf: Bei Strom ist die Umstellung in Österreich schon sehr fortgeschritten und entsprechende Ziele sind in der Mission-2030-Strategie der Bundesregierung enthalten. Das begrüßen wir dem Grunde nach – jetzt geht es aber um die Umsetzung. Wesentlich dabei werden die Rahmenbedingung des Energiegesetzes 2020 sein, auch um die Erneuerbaren wie vorgesehen auf 100 % auszubauen. Wir wollen dazu einen Beitrag leisten und werden alleine in der Steiermark 300 MW Windkraft zusätzlich in den nächsten Jahren errichten.

Report: Sie müssen bei größten Investitionen das Energiegesetz abwarten?

Graf: Natürlich – dabei geht es aber nicht nur um die finanzielle Frage, ob es ein Auktions- oder ob es Marktprämienmodelle geben wird. Die Energiewirtschaft braucht vielmehr ein Gesamtpaket, das den Fokus auf Erneuerbare hat. Wir benötigen stabile Rahmenbedingungen für Investitionssicherheit. Im Unterschied zu Ostösterreich können wir bei neuen Anlagen in der Steiermark Leitungen nicht mit dem Künetten-Pflug verlegen, sondern haben entsprechend höhere Netzanschlusskosten. Diese schauen auf der Handalm in 1.650 Metern Seehöhe anders aus als auf der Parndorfer Platte.

Report: Wie entwickelt sich der Energiemix bei der Energie Steiermark?

Graf: Derzeit erzeugen wir Strom ausschließlich mit Erneuerbaren, haben aber historisch bedingt durch die Fusion von Steweag und Steg und dem Wegfall der Steg-Kraftwerke an die Verbund-Gesellschaft einen sehr geringen Eigenerzeugungsgrad. Die Wasserkraftwerke, die wir jetzt in der Steiermark errichten, werden gemeinsam mit dem Verbund umgesetzt und es gibt natürlich entsprechende Strombezugsrechte.

In der Ökologisierung im Wärmebereich engagieren wir uns in der Arbeitsgruppe Wärmeversorgung Graz 2020/2030 – unter anderem mit einer stärkeren Nutzung industrieller Abwärme und von Biomasse. Mit Solarthermie aus dem Big-Solar-Projekt werden in einer ersten Phase bis zu 15 % des Wärmebedarfs der Stadt Graz gedeckt sein. Bis 2030 könnte der Anteil sogar in Kombination mit anderen Maßnahmen auf 50 % ansteigen. Auch wenn wir in der Fernwärme weiterhin von Gas abhängig sind, bedeutet diese schrittweise Substitution eine fundamentale Veränderung.

Beim Thema »Greening the Gas«, das ja auch in der Klima- und Energiestrategie enthalten ist, ist die Sektorkopplung mit Power-to-Gas und Power-to-Heat das Gebot der Stunde. Mit dem Ausgleich über verschiedene Medien werden dann die Volatilitäten der Erneuerbaren abgefedert.

Report: Wir sprechen hier von einer Pilotphase –  oder ist die Sektorkopplung bereits reales Geschäft?

Graf: Power-to-Heat wird derzeit in einem Projekt beim Kraftwerk Gössendorf umgesetzt, mit Direktleitungen in der Verbindung mit Wärmepumpen zu einer Kläranlage. Bei Power-to-Gas läuft derzeit ein Forschungsprojekt mit internationalen Partnern, darunter große deutsche Energieunternehmen. Wir wollen die Farbe Grün der Energie Steiermark nicht nur plakativ als Marke vor uns hertragen, sondern wollen dieses Bekenntnis mit realen Projekten umsetzen.

Report: Fordern diese Ausrichtung auch Ihre KundInnen? Letztlich zählt doch am Ende oft doch wieder der Energiepreis.

Graf: Für manche Kundensegmente mag dies sicherlich gelten. Doch wenn wir eine Ökologisierung des Energiesys­tems in Summe wollen, müssen wir den Pfad auch beschreiten. Eine glaubwürdige Unternehmensstrategie wirkt sich auf die Kundentreue aus. Nach Zahlen der Energie-Control ist die Steiermark eines jener Bundesländer, in denen die Wechselzahlen massiv zurückgegangen sind. Natürlich gelingt das auch mit Aktionen, aber eben auch mit Innovation – etwa Services rund um Elektromobilität, Wärmepumpen oder Mieterstrommodelle für den mehrgeschoßigen Wohnbau. Das sind alles Themen, die ein stimmiges Bild ergeben. Ich denke, die Kunden würden nicht tolerieren, wenn man sich nur ein grünes Mascherl aufsetzt, dahinter aber eine ganz andere Politik fährt.

Report: Was erwarten Sie sich konkret von Elektromobilität? Welche Zukunft sehen Sie hier für die Energie Steiermark?

Graf: Im Schwerverkehr und Überlandtransport wird Elektromobilität künftig eine geringere Bedeutung haben als andere Technologien – ich denke da etwa an Flüssiggas, das ebenfalls eine klimaschonendere Variante für den Verkehr wäre. Im Überlandverkehr gibt es dann noch die Elektromobilität, die Eisenbahn heißt. Diese könnte man stärker nutzen. Im Individualverkehr sehen wir hervorragende Nutzungsmöglichkeiten. Die Energie Steiermark legt aktuell ein flächendeckendes Netz an Elektrotankstellen mit Distanzen von 15 km über die gesamte Steiermark. Das Projekt wird im ersten Halbjahr 2019 fertiggestellt sein und über 750 Ladepunkte umfassen. Auch für die ÖBB bauen wir Ladestellen im Bundesland. Über den Bundesverband Elektromobilität Österreich, dem alle Landesenergieversorger angehören, können Autofahrer aus allen Bundesländern bei uns tanken. Diese Interoperabilität ist wichtig für die Akzeptanz. Es wird in die Richtung gehen, dass Sie am Ende des Tages alle Leistungen Ihres Energieversorgers – oder vielmehr Dienstleis­ters – auf einer einzigen Rechnung, der Stromrechnung, haben.

Report: Sie sagen bewusst Dienstleis­ter?

Graf: Es geht dorthin. Kunden betanken ihr Elektromobil am Ladenetz der Energie Steiermark oder sie erwerben eine PV-Anlage oder einen Haushalts-Stromspeicher von uns – 2017 wurden von unserem Tochterunternehmen E1, einem spezialisierten Betrieb, allein 400 PV-Anlagen installiert. Wir setzen überdies auf digitale Services, bauen Lichtwellenleiter aus oder bieten Telefonie- und Internetzugang. Wir bauen in Zusammenarbeit mit dem Land Steiermark in strukturschwachen Regionen ein Breitbandnetz aus – in einem Plattformmodell, ähnlich wie es das Land Niederösterreich tut. Zusätzlich errichten wir für die Anbindung der Smart Meter ein eigenes CDMA-Netz, über das künftig auch andere Schmalband-Services angeboten werden könnten.

Am anderen Ende setzen wir Beratung und Maßnahmen für Energieeffizienz im Großgewerbe und in der Industrie um – bis hin zu sehr großen PV-Anlagen, die auch von unseren Mitarbeitern betreut und gewartet werden.

Report: Was kann man sich unter neuen Services vorstellen?

Graf: Zum Beispiel unser Smart-Village-Projekt: In Gemeinden werden Sensoren in Abwasserkanälen getestet, um frühzeitig Abflusswerte zu erkennen und die Steuerung der Kanäle zu optimieren. In einem weiteren Projekt in der Nähe der Riegersburg wird Sensorik direkt in der Straße installiert, um Glatteis zu monitoren – und in Folge auch Streumaßnahmen der Gemeinde zu dokumentieren. Mit Saubermacher wiederum gibt es ein gemeinsames Projekt, in dem vernetzte Mistkübel die Routen für die Müllabfuhr optimieren. Die Sensorik erkennt sogar, welche Art von Müll sich in der Tonne befindet, um Informationen an die Sammlung und das Recycling zu liefern. Das alles sind Themen, die deutlich über die Rolle eines Energieversorgers hinausgehen.

Ich glaube nicht, dass unsere Hauptkonkurrenten die klassischen Energieversorger sind. Lidl verkauft in Österreich ebenso wie in Deutschland Strom an Endkunden – in Deutschland gemeinsam mit E.ON, hierzulande gemeinsam mit der Energie Steiermark. Wir sind auch die Einzigen, die eine Kooperation mit einer Onlinebank, der easybank, haben: easy green energy hat nahezu mittlerweile 100.000 Kunden. Man sieht: Nicht nur die Dienstleistungen, auch die Vertriebswege verändern sich. Dazu haben wir intern auch knapp hundert »digital use cases« laufen. Jede Gesellschaft und jeder Bereich müssen sich künftige Digitalisierungsschritte zur Umsetzung überlegen. Beispiele wären Robotics-Anwendungen in der Buchhaltung oder der Einsatz von Drohnen in der Leitungsbegutachtung.

Report: Welchen Anteil am Gesamtgeschäft werden diese neuen Dienstleis­tungen betragen können? Was schätzen Sie?

Graf: Das ist extrem schwer einzuschätzen. Noch macht dies einen sehr kleinen Anteil aus. Ich bin überzeugt, dass wir jetzt einfach neue Geschäftsmodelle ausprobieren müssen. In unserer Bilanz bildet das Netz das Gros des Umsatzes. Es ist ein großes Schiff, das ruhig und konsequent – auch mit viel Innovation und Investitionen – durch die raue See des Energiemarkts gleitet. Drumherum gibt es viele Schnellboote. Unsere Kultur muss es zulassen, dass wir einige davon an uns herankommen lassen, andere aber auch wieder abstoßen. Unser Fokus ist, vielleicht nicht immer der First Mover mit entsprechendem Kostenaufwand zu sein – aber zumindest der First Follower.

Report: Finden Sie für alle diese Herausforderungen auch die passenden Leute am Arbeitsmarkt?

Graf: Ich glaube, dass der Fachkräftemangel in Österreich schon ein Stück weit hausgemacht ist. Nur darüber zu klagen, ist mir zu wenig. Die Altersstruktur in den österreichischen Energieunternehmen ist vergleichbar, in den nächsten zehn Jahren wird es eine relativ hohe Pensionierungsrate geben. Wir haben uns daher entschlossen, den E-Campus in Graz zu errichten, das österreichweit größte und modernste Ausbildungszentrum der Energiebranche. Das ist nicht nur eine moderne Lehrwerkstätte, sondern ein Ort, wo im Sinne von »Lifelong Learning« unterschiedlichste Kompetenzen gelehrt werden. Die Energie Steiermark inves­tiert dazu in einem ersten Schwung über zehn Millionen Euro. Wir übernehmen die Verantwortung, zeitgerecht mit eigener Aus- und Weiterbildung unsere Mitarbeiter selbst zu entwickeln. Unser umfassendes Ausbildungssystem beinhaltet unterschiedlichste Wissensbereiche und fördert in einem eigenen Programm beispielsweise besonders Frauen.

Wir haben in den letzten 60 Jahren mehr als tausend Lehrlinge ausgebildet – aktuell sind es knapp unter hundert. Wir sind fest der Meinung, dass unsere Lehrlinge der Schlüssel zu unserem Erfolg sind.


Drehscheibe E-Campus

Die Energie Steiermark errichtet mit einem Investitionsvolumen von rund zehn Millionen Euro das österreichweit größte und modernste Ausbildungszentrum der Energiebranche. Der »E-Campus«, 3.000 Quadratmeter groß, soll im Herbst 2019 bezugsfertig sein. Er entsteht am Areal des Technik-Zentrums Graz-Süd, wo sich seit 1956 die Lehrwerkstätte der Energie Steiermark befindet. In der neuen Fortbildungs-Drehscheibe sollen künftig jährlich über 700 Kurse, Seminare und Qualifizierungsmaßnahmen angeboten werden.


Über das Unternehmen

Die Energie Steiermark ist das viertgrößte Energie- und Dienstleistungsunternehmen Österreichs – mit rund 600.000 KundInnen im In- und Ausland, rund 1.750 MitarbeiterInnen und 1,05 Mrd. Euro Jahresumsatz (2017).  Auslandsniederlassungen befinden sich in Deutschland (Energiedienstleistungen), der Slowakei (Fernwärme), Tschechien (Fernwärme) und Slowenien (Gasverteilnetz, Abwasser). Eigentümer des Energieversorgers sind das Land Steiermark (75 %) und die australische Investmentgesellschaft Macquarie (25 %). Inlandsbeteiligungen werden unter anderem an Energie Graz, Feistritzwerke Steweag, Stadtwerke Hartberg und Verbund Hydro Power sowie der RAG Austria AG gehalten. n

Last modified onDienstag, 16 Oktober 2018 12:03

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